Neue Studien zu Outdoor-Aktivitäten und der Fluchtdistanz von Vögeln
(Gerti Fluhr-Meyer) Die Fluchtdistanz ist ein beliebtes Maß, um die Auswirkung von Störungen auf Vögel festzustellen. Es handelt sich dabei um die Entfernung, ab der Individuen bei Annäherung von Menschen oder anderen Störfaktoren die Flucht einleiten. Aktuelle Studien haben die Fluchtdistanzen von Vögeln in Reaktion auf menschliche Freizeitaktivitäten untersucht und daraus Empfehlungen zum Schutz und zur Ausweisung von Schutzzonen entwickelt.
Joggen stört Vögel mehr als normales Gehen – das ist das Ergebnis einer australischen Studie. Wissenschaftler verglichen die Auswirkungen von Jogging und einfachem Gehen auf die Fluchtdistanzen von Vögeln auf der Mornington Peninsula, einer Halbinsel 75 km südlich von Melbourne. Bei acht von zehn untersuchten Vogelarten flogen die Individuen bei der Annäherung von Joggern früher weg als bei normal gehenden Personen. Die Tiere zeigten bei Joggern außerdem intensivere Fluchtreaktionen (Wegfliegen statt -laufen). Jogger tauchen schneller im Sichtfeld der Vögel auf und verursachen größeren Lärm als Spaziergänger. Die Forscher empfehlen deshalb, nicht nur die Art eines eventuell störenden Reizes zu regulieren, sondern auch dessen Geschwindigkeit.
Auch in einem sogenannten Ramsar-Gebiet, also einem Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung für Watt- und Wasservögel, an der Küste Nordspaniens wurden Fluchtdistanzen untersucht. Ziel war, artspezifische Pufferzonen für überwinternde Vögel entlang der Routen touristischer Bootstouren zur Vogelbeobachtung durch die Wasserläufe im Watt festzulegen. Auf der Grundlage von in den Jahren 2006 bis 2008 und 2012 bis 2015 gemessenen Fluchtdistanzen berechneten die Wissenschaftler eine generelle Pufferzone von 100 m sowie artspezifische Pufferzonen zwischen 41 und 211 m.
Australische Wissenschaftler verglichen den Einfluss von Kanufahren als Freizeitsport und Spazierengehen auf die Vogelwelt in Feuchtgebieten Nordwest-Queenslands. Kanufahrer können dort in Gebiete vordringen, die für Autofahrer und Fußgänger unzugänglich sind. Für 13 untersuchte Vogelarten konnten sie zeigen, dass Kanufahrer sich diesen weiter nähern können als Fußgänger. Ähnlich wie in der Studie im spanischen Ramsar-Gebiet (Pufferzone von 100 m für Boote zur Vogelbeobachtung) errechneten die australischen Forscher einen für Kanufahrer in den Untersuchungsgebieten einzuhaltenden Abstand von etwa 90 Metern.
Eine Gesamtschau von 17 bislang veröffentlichten Untersuchungen und Gutachten der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen untersucht den Einfluss von Kitesurfen auf Wasser- und Watvögel. Die umfangreiche Studie enthält Übersichten über die Fluchtdistanzen verschiedener Vogelarten zu Kitesurfern und anderen Freizeitaktivitäten. Die Ergebnisse zeigen, dass manche Vogelarten allgemein stark auf Kitesurfer reagieren und schon auf große Distanz Alarmverhalten zeigen oder flüchten, während andere die Sportart selbst in relativ geringer Entfernung tolerieren. Grundsätzlich stellt Kitesurfen für Vögel, denen die Sportler auf offenem Wasser begegnen, eine stärkere Störquelle dar, als für Vögel, die am Ufer der Gewässer oder im Watt rasten. Übertroffen wird Kitesurfen hinsichtlich seiner Störwirkung lediglich von motorbetriebenen, schnell fahrenden Booten. Aus den Ergebnissen folgert der Autor, dass wertvolle Lebensräume von Wasser- und Wattvögeln vor Kitesurfern geschützt werden müssten und die Sportart in Gebieten mit rechtlichem Schutzstatus verboten werden sollte.
Grundsätzlich gilt: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Fluchtdistanzen sind eine wichtige Grundlage, um Schutzmaßnahmen festzulegen und Schutzzonen auszuweisen. Sie können jedoch nicht einfach übertragen werden. „Fluchtdistanzen sind artspezifisch und hängen von vielen weiteren Faktoren ab“, sagt Michael Schaad, Mediensprecher an der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach. Entscheidend sind unter anderem die lokalen Verhältnisse, die Jahreszeit und die Lebensphase (Brutzeit, Revierbildung, Gefiederwechsel und Ähnliches). Klar muss auch sein: Flucht ist die stärkste und auffälligste Art von Vögeln, auf Störungen zu reagieren. Wenn ein Vogel scheinbar ruhig auf seinem Nest sitzen bleibt, bedeutet das nicht, dass er unbeeinflusst ist! Auch wenn keine sichtbare Reaktion erfolgt, können sich Herzschlagraten ändern oder Stresshormone ausgeschüttet werden.
Mehr:
LETHLEAN, H. et al. (2017): Joggers cause greater avian disturbance than walkers. – Landscape and Urban Planning 159: 42–47.
MCFADDEN, T. N. et al. (2017): Waterbird responses to regular passage of a birdwatching tour boat: Implications for wetland management. – Journal for Nature Conservation 40: 42–48.
GLOVER, H. K. et al. (2015): Up the creek with a paddle – avian flight distances from canoes versus walkers. – Wetlands Ecol Manage 23: 775–778.
KRÜGER, T. (2016): Zum Einfluss von Kitesurfen auf Wasser- und Watvögel – eine Übersicht. – Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 1: 3–66.
Fluhr-Meyer, G. (2018): Neue Studien zu Outdoor-Aktivitäten und der Fluchtdistanz von Vögeln. – ANLiegen Natur 40/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/fluchtdistanzen_voegel/.
Ein Lob der ANL (bzw. natürlich der Autorin!), solche Zeitschriften-Artikel für „Normale“ aufzuarbeiten, die weder die Zeit haben, alles zu lesen, noch die Möglichkeit haben, da dranzukommen. Die Zusammenfassung dürfte sogar ruhig noch etwas detaillierter sein.
Sehr geehrter Herr Schreiber,
vielen Dank für das Lob – Wir freuen uns, wenn unsere Arbeit sinnvoll ist und angenommen wird.
Herzliche Grüße
Ihre ANL