Grün, grün, grün ist alles, was ich habe – Warum grüne Wiesen unseren Schmetterlingen nicht genug sind
(Andrea Grill) Wer ins Alpenvorland reist, mag beim Anblick der saftig-grünen Wiesen Freude verspüren. Grün assoziiert man mit Natur. Doch die satte Farbe der heimischen Graslandschaften ist vor allem ein Indiz dafür, dass sie auch satt machen: nämlich unsere Nutztiere. Schmetterlingsraupen verdauen diese stickstoffangereicherten Wiesen weniger gut, wie eine in der renommierten Zeitschrift Oecologia erschienene Studie zeigt.
Fettwiesen werden mehrfach im Jahr gemäht. Düngemittel sorgen für einen hohen Nährstoffgehalt im Boden und ein rasches Nachwachsen der Gräser nach jeder Mahd. Typisch auf solchen Wiesen sind hohe Dichten von Gräsern, vorwiegend Deutsches Weidelgras, unter die sich ab und zu Löwenzahn, Klee und Hahnenfuß mischen. Das Vorkommen dieser Arten verrät einen hohen Stickstoffanteil im Boden und auch die darauf wachsenden Pflanzen sind außergewöhnlich stickstoffreich.
Das Experiment
Für Raupen von Tag- und Nachtfaltern kann eine derart hohe Stickstoffkonzentration im Gewebe ihrer Futterpflanzen ein Todesurteil sein. Das bewies ein Forscherteam um die Potsdamer Biologin Susanne Kunze in einem Experiment an sechs in Deutschland relativ weit verbreiteten Schmetterlingsarten (KURZE et al. 2018), vier davon Tagfalter: Coenonympha pamphilus (Kleines Wiesenvögelchen), Lycaena phleas (Kleiner Feuerfalter), Lycaena tityrus (Bauner Feuerfalter), Pararge aegeria (Waldbrettspiel), und zwei Nachtfalter: Rivula sericealis (Seideneulchen) und Timandra comae (Ampferspanner). Drei der untersuchten Lepidopteren ernähren sich im Larvalstadium von Gräsern, die anderen drei von Knöterichgewächsen, wie dem Kleinen Sauerampfer, Rumex acetosella.
Im Experiment wurden die Raupen auf zwei Arten von Wirtspflanzen (Poa pratensis und Rumex acetosella) gezüchtet, die mit drei unterschiedlichen Düngemittelkonzentrationen behandelt worden waren: (I) 150 kg Stickstoff pro Hektar pro Jahr (N/ha/Jahr), (II) 300 kg N/ha/Jahr und (III) Kontrollgruppe ohne Dünger.
Dünger bedeutet Todesurteil
Das Resultat war eindeutig. Im Gewebe beider Pflanzenarten verdoppelte sich der Stickstoffgehalt infolge des Düngens. Die Überlebensrate der Raupen sank hingegen mit steigendem Stickstoffgehalt rapide. Bei den grasfressenden Arten auf den mit 300 kg N/ha/Jahr gedüngten Pflanzen ging sie gegen Null, auch bei 150 kg N/ha/Jahr blieb die Überlebensrate unter 10 %. Diese Zahlen sind besonders interessant, da laut deutscher Düngeverordnung “Stickstoff als Wirtschaftsdünger bis zu einer Menge von bis zu 170 kg je ha und Jahr auf Acker- und Grünland“ ausgebracht werden darf.
Die auf Sauerampfer gezüchteten Bläulinge hatten generell höhere Überlebensraten als die Grasfresser, sie reagierten aber genauso stark auf die Düngung. Bei den gesetzlich erlaubten 150 kg je ha und Jahr überlebten um 40 % weniger Raupen als in der unbehandelten Kontrollgruppe. Kurz gesagt, je höher der Stickstoffgehalt, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit, dass eine Raupe das Puppenstadium erreicht.
Grasfressende Arten sind sensibler
Auffallend ist, dass grasfressende Schmetterlinge sensibler auf die Veränderung der Futterqualität reagierten als solche, die sich an Ampfer entwickeln. In früheren Studien wurde noch vermutet, grasfressende Falter seien resistenter gegen hohen Stickstoffeintrag (KURZE et al. 2017). Angesichts der nun vorliegenden Ergebnisse wird es schwer, die hohen Düngemitteldosen auf landwirtschaftlich bewirtschafteten Wiesen nicht mit dem Rückgang der Schmetterlingszahlen in Verbindung zu bringen. Erwähnt sei auch, dass ein Drittel der heimischen Tagfalterraupen obligat an Gräsern frisst.
Für Fachleute kommen diese Daten wenig überraschend. Bereits im Jahr 2000 hatte eine Studie am Braunen Feuerfalter Lycaena tityrus, eine Art, die auch in der aktuellen Arbeit untersucht wurde, gezeigt, dass die Überlebensrate von Raupen an gedüngten Sauerampferpflanzen nur 33 % betrug (FISCHER & FIEDLER 2000). An ungedüngten Pflanzen war die Überlebensrate hingegen 73 %.
Es gab in der Vergangenheit Arbeiten, die zeigten, dass Schmetterlinge von einem höheren Stickstoffgehalt in ihren Futterpflanzen profitierten (CHEN et al. 2004). Dabei wurden jedoch einerseits Arten untersucht, die als sogenannte Schädlinge gelten, wie beispielsweise Kohlweißlinge, und andererseits Arten, die an Pflanzen fressen, die als Stickstoffzeiger gelten, wie die Brennnessel (KURZE et al. 2017). Diese Arten, und es sind nur einige wenige, sind die Ausnahmen, die hohe Stickstoffkonzentrationen gut vertragen.
Stickstoffeintrag auch in Schutzgebieten
Für die meisten Schmetterlinge übersteigt die stetig und allgegenwärtig steigende Stickstoffdeposition die physiologische Toleranzgrenze. Grund dafür ist wahrscheinlich das geänderte Kohlenstoff-Stickstoff-Verhältnis im Pflanzengewebe. Zu viel kann folglich genauso schlecht sein wie zu wenig. Besorgniserregend ist zudem, dass der Stickstoffeintrag sich naturgemäß nicht auf landwirtschaftliche Flächen beschränkt, sondern auch vor Nationalparks und Naturschutzgebieten nicht Halt macht. Er ist eine der versteckten Ursachen des europaweiten Verschwindens von Schmetterlingsarten.
Was könnte dagegen getan werden? Die Antwort liegt auf der Hand, ist aber nicht leicht umzusetzen. Eine Extensivierung der Landwirtschaft und ein daraus resultierender sukzessiver Abbau des hohen Stickstoffeintrags in ihre Lebensräume würde nicht nur den Schmetterlingen helfen, sondern auch die Diversität anderer herbivorer Insekten in unseren Wiesen fördern.
Literatur:
KURZE, S., HEINKEN, T. & FARTMANN, T. (2018): Nitrogen enrichment in host plants increases the mortality of common Lepidoptera species. – Oecologia 188: 1227–1237.
KURZE, S., HEINKEN, T. & FARTMANN, T. (2017): Nitrogen enrichment of host plants has mostly beneficial effects on the life history traits of nettle-feeding butterflies. – Acta Oecologica 85: 157–164.
FISCHER, K. & FIEDLER, K. (2000): Response of the copper butterfly Lycaena tityrus to increased leaf nitrogen in natural food plants: evidence against the nitrogen limitation hypothesis. – Oecologia 124: 235–241.
CHEN, Y., LIN, L., WANG, C., YEH, C. & HWANG, S. (2004): Response of two Pieris (Lepidoptera: Pieridae) species to fertilization of a host plant. – Zoological Studies 43: 778–786.
Grill, A. (2019): Grün, grün, grün ist alles, was ich habe – Warum grüne Wiesen unseren Schmetterlingen nicht genug sind. – ANLiegen Natur 41/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/gruene_wiesen/.
Zum Volltext-Download:
ANLiegen Natur 41/1 (2019): 8 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,6 MB).