Ausgleichsmaßnahmen können Verluste alter Lebensräume nur schwer kompensieren
(European Commission; AZ) Eine aktuelle Metastudie zeigt, dass Ausgleichsmaßnahmen nur begrenzt zum Erhalt der Biodiversität beitragen können, wenn alte Lebensräume betroffen sind. Zeiträume von (weit) über 100 Jahren sind nötig, um eine weitgehend vergleichbare Artenausstattung wiederherzustellen.
In einer weltweiten Metastudie wurden 108 Vergleichsstudien zur Artenausstattung von Ausgleichshabitaten einerseits und alten, gewachsenen Habitaten andererseits ausgewertet. Mit statistischen Modellen errechneten die Schweizer Wissenschaftler die Entwicklung der Artenvielfalt in den Ausgleichshabitaten anhand unterschiedlicher Biodiversitätsindices.
Die Ergebnisse zeigen, dass zumeist mehr als 100 Jahre vergehen, bis neu geschaffene Lebensräume alten, gewachsenen Vergleichshabitaten entsprechen. Darüber hinaus ist die tatsächliche Entwicklung der Ausgleichshabitate nur schwer prognostizierbar und mit großen Unsicherheiten verbunden.
Ein zentrales Ergebnis der Studie war, dass die Wiederherstellung von Lebensräumen ein langwieriger Prozess ist. So kann ein artenreicher Wald in rund 10 bis 30 Jahren entstehen, aber mit einer entsprechenden Artenvielfalt wie in einem alten Lebensraum ist erst nach 30 bis 90 Jahren zu rechnen. Vergleichbare Lebensgemeinschaften sind sogar erst nach Hunderten oder Tausenden von Jahren zu erwarten, sofern sie sich überhaupt einstellen – denn die Wiederherstellung kann auch scheitern. So liegt die Wahrscheinlichkeit, den ursprünglichen Artenreichtum innerhalb von 100 Jahren wiederherzustellen, bei 40 %; eine ähnliche Biozönose stellt sich sogar nur in einem von fünf Fällen ein.
Eine aktive Pflege der Flächen nach Umsetzung der eigentlichen Maßnahme kann den Erfolg des Ausgleichs deutlich fördern. Dennoch verbleiben Prognoseunsicherheiten und Risiken sowie ein erheblicher zeitlicher Verlust („time lag“) bis zur Wirksamkeit der Maßnahme. Aus diesem Grund empfehlen die Forscher einen deutlich erhöhten Kompensationsfaktor als er in der Praxis angewandt wird, um einen Nettoverlust an Biodiversität über Kompensationsmaßnahmen auszugleichen. Dabei zeigte die Studie auch, dass eine aktive, gesteuerte Wiederherstellung den Prozess deutlich beschleunigen kann, aber die langen Zeiträume und die ungewissen Erfolgsaussichten deutlich größere Kompensationsflächen erfordern, als bislang in der Praxis angesetzt. Realistisch wäre aus Sicht der Forschenden eher ein Verhältnis von Kompensationsfläche zu Eingriffsfläche von 20:1 bis hin zu 100:1, je nach Lebensraumtyp. Die bisherige Kompensationspraxis führt daher zu einem Nettoverlust von biologischer Vielfalt.
Damit kommen die Forscher auch zum Schluss, dass Ausgleichsmaßnahmen unbedingt weiterentwickelt werden müssen und in bisheriger Form nur flankierend zum Schutz der biologischen Vielfalt beitragen können. Bessere Naturschutzstrategien – wie Landschaftsplanung und strenger Schutz – sind dagegen entscheidend, um die Beeinträchtigung wertvoller Habitate zu vermeiden.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich wie wichtig es ist, wertvolle Lebensräume erst gar nicht zu beeinträchtigen, da eine Wiederherstellung fast nicht möglich ist. Der Eingriffsvermeidung kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Kompensation stößt hier an ihre Grenzen. Für jüngere und weniger wertvolle Lebensräume muss dies aber nicht in gleicher Weise gelten, denn hier steigen die Chancen, dass sich die Ausgleichsflächen wie prognostiziert entwickeln und sich mit einem geringen zeitlichen Vollzug eine ähnliche Artenzusammensetzung etablieren kann.
Mehr:
Science for Environment Policy (2015): European Commission DG Environment News Alert Service; www.ec.europa.eu/environment/integration/research/newsalert/pdf/biodiversity_offsetting_habitat_386na3_en.pdf.
Curran, M., Hellweg, S. & Beck, J. (2014): Is there any empirical support for biodiversity offset policy? – Ecological Applications 24(4): 617–632, DOI: 10.1890/13-0243.1; www.esajournals.org/doi/abs/10.1890/13-0243.1.
Zitiervorschlag: European Commission & Zehm, A. (2015): Ausgleichsmaßnahmen können Verluste alter Lebensräume nur schwer kompensieren. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/kompensation/.