Je gröβer die Artenvielfalt, insbesondere der seltenen Arten, desto gröβer der Nutzen für den Menschen
(Steffen Boch) Je mehr Arten aus unterschiedlichen trophischen Ebenen der Nahrungskette ein Ökosystem beherbergt, desto besser ist dies für den Menschen, der von den vielfältigen, kostenlos erbrachten Dienstleistungen der Natur profitiert. Aber nicht nur die häufigen Arten, sondern speziell die seltenen, leisten einen groβen Beitrag zum Erhalt von Ökosystemfunktionen und sichern dadurch die vielfältigen Dienstleistungen. Das ist das Ergebnis zweier Studien von über 300 Wissenschaftlern, die zusammen in den „Biodiversitäts-Exploratorien“ forschen. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, artenreiche Ökosysteme und seltene Arten zum Wohl des Menschen zu erhalten und zu fördern.
Bisher wurden die Auswirkungen einer schwindenden Artenvielfalt auf Ökosystemleistungen nur beispielhaft an einzelnen Gliedern der Nahrungskette – zum Beispiel an Pflanzen – untersucht. Offen blieb auch, ob die Artenzahl selbst oder eher die Eigenschaften der am jeweiligen Standort besonders häufigen Arten für den Erhalt der Ökosystemdienstleistungen verantwortlich sind. Obwohl unterirdisch lebende Organismengruppen, wie Bodenbakterien und Mykorrhiza, eine Schlüsselfunktion für Nährstoffkreisläufe und das Pflanzenwachstum besitzen, ist ihr Beitrag zum Erhalt von Ökosystemdienstleistungen weitgehend unbekannt. Ebenso unbeantwortet blieb bislang die Frage, wie die Landnutzungsintensität die Beziehungen zwischen der Diversität von seltenen und häufigen, oberirdisch und unterirdisch lebenden Organismen und den Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen beeinflusst.
In zwei von S. Soliveres und E. Allan (Universität Bern, Schweiz) geleiteten Studien wurde genau dies untersucht. Die Daten stammen aus den „Biodiversitäts-Exploratorien“, einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten, langfristig angelegten Forschungsprogramm (www.biodiversity-exploratories.de). In drei Regionen Deutschlands sammelten etwa 300 Wissenschaftler auf den gleichen 150 Grünland-Untersuchungsflächen Daten zu Identität und Häufigkeit von über 4.600 Arten. Die untersuchten Arten decken verschiedene trophische Ebenen der Nahrungskette in Grünländern ab, von Pflanzen über Pflanzenfresser und -zersetzer bis hin zu räuberischen Organismengruppen. Insgesamt konnten neun dieser Gruppen entlang der Nahrungskette unterschieden werden.
Auβerdem wurden auf jeder Untersuchungsfläche 14 verschiedene Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen gemessen, die mit Nährstoffkreisläufen, der Nahrungsmittelproduktion, einer nachhaltigen Bodennutzung und der Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheitserregern in Verbindung stehen oder zu kulturellen Leistungen wie dem Nutzen der Ökosysteme als Erholungsraum beitragen.
Jede Ökosystemdienstleistung war von mindestens drei Gruppen der Nahrungskette abhängig. Je artenreicher eine Gruppe war, desto zuverlässiger wurde die jeweilige Ökosystemdienstleistung erbracht. Jede einzelne Gruppe hatte zudem positive Effekte auf mindestens eine Ökosystemdienstleistung. Dies verdeutlicht die bisher weitgehend unterschätzte Bedeutung der Artenvielfalt entlang der gesamten Nahrungskette.
Interessanterweise waren oberirdisch lebende, seltene Arten besonders wichtig für Versorgungs- und Regulierungsleistungen sowie kulturelle Leistungen. Umgekehrt leisteten besonders häufige Arten nur einen mittleren Beitrag und waren nicht für einen hohen Anteil der Ökosystemfunktionen verantwortlich. Auch sank ihr funktioneller Einfluss mit ansteigender Landnutzungsintensität.
Alle Arten, die für einen besonders hohen Anteil verschiedener Ökosystemdienstleistungen verantwortlich waren, egal ob häufig oder selten, reagierten empfindlich auf Landnutzungsintensivierung, wie hohe Düngergaben oder häufige Mahd. „Eine intensive Landnutzung erhöht die Nahrungsmittelproduktion. Dies kompensiert jedoch nicht die negativen Effekte auf Dienstleistungen, die etwa eine nachhaltige Landnutzung ermöglichen oder der Erholung des Menschen dienen. Nur die Extensivierung der Landwirtschaft und die Förderung artenreicher Ökosysteme kann langfristig die kostenlos erbrachten Dienstleistungen der Natur zum Wohl des Menschen sichern“, fasst Soliveres zusammen. „Bei Renaturierungsmaβnahmen könnten zudem Arten mit besonders groβem funktionellen Nutzen identifiziert und gefördert werden, um unmittelbar einen hohen Grad an Ökosystemfunktionen zu erreichen“ ergänzt Allan.
Mehr:
Soliveres, S. et al. (2016): Biodiversity at multiple trophic levels is needed for ecosystem multifunctionality. – Nature 536: 456–459.
Soliveres, S. et al. (2016): Locally rare species influence grassland ecosystem multifunctionality. – Philosophical Transactions of the Royal Society B 371(1694): 20150269.
Zitiervorschlag: Boch, S. (2017): Je gröβer die Artenvielfalt, insbesondere der seltenen Arten, desto gröβer der Nutzen für den Menschen. – ANLiegen Natur 39/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/nutzen_grosser_artenvielfalt/.