Für die Artenvielfalt: Hunderte Kommunen verzichten ganz oder teilweise auf chemische Pestizide
(Monika Offenberger) Bei der Pflege ihrer Grün- und Freiflächen setzen immer mehr Städte und Gemeinden auf Alternativen zu chemisch-synthetischen Pestiziden und tragen so zum Schutz heimischer Tiere und Pflanzen bei. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat mehr als 460 Kommunen erfasst, die schon jetzt ganz oder teilweise auf Pestizide verzichten. Interessierte Kommunen können sich vom BUND bei der Planung und Umsetzung pestizidfreier Pflege- und Nutzungskonzepte beraten lassen.
Der massive Einsatz von Pestiziden gilt als eine der zentralen Ursachen für den dramatischen Rückgang der heimischen Artenvielfalt. Nicht nur in der Landwirtschaft werden die Giftstoffe ausgebracht, sondern auch in Parkanlagen, auf Sport- und Spielplätzen, Straßenrändern und Privatgrundstücken. 2017 gelangten in Deutschland rund 39 Tonnen Glyphosat in private Gärten und Kleingärten. Doch immer mehr Städte und Gemeinden suchen nach Alternativen zu chemisch-synthetischen Pestiziden. 2013 hat der BUND das Projekt „Pestizidfreie Kommunen“ ins Leben gerufen, um Vertreter von Städten und Gemeinden bei der Umstellung auf alternative Formen der Schädlingsbekämpfung zu unterstützen. Am 1. Dezember 2017 veröffentlichte der Naturschutzverband eine interaktive Landkarte, auf der alle damals bekannten 90 pestizidfreien Kommunen aufgeführt und kurz charakterisiert wurden. Heute, gut ein Jahr später, hat sich diese Zahl verfünffacht: auf mehr als 460 Städte und Gemeinden.
„Diese Zahl bezieht sich nur auf diejenigen, die sich aktiv bei uns registrieren lassen. Vermutlich gibt es noch viele weitere Städte und Gemeinden, die ihrer Verantwortung für den Artenschutz nachkommen“, sagt Corinna Hölzel, Koordinatorin des BUND-Projekts „Pestizidfreie Kommune“. Eine systematische Erfassung erfolgte bislang nur in Sachsen: Von den 314 der 421 aller sächsischen Städte und Gemeinden, die auf die Anfrage des BUND-Landesverbandes antworteten, kommen 177 ganz oder teilweise ohne Pestizide aus. „Bayern steht mit 64 gemeldeten pestizidfreien Kommunen auch sehr gut da. Im Vergleich zu anderen Bundesländern widmet Bayern diesem Problem besonders viel Aufmerksamkeit“, betont Corinna Hölzel und verweist auf das erfolgreiche Bürgerbegehren „Rettet die Bienen“.
„Pestizidfreie Kommune“ ist kein geschützter Begriff. „Wir haben uns bewusst gegen ein neues Logo mit strikten Auflagen entschieden. Denn auch der teilweise Verzicht auf die giftigen Chemikalien ist ein Schritt in die richtige Richtung“, betont Corinna Hölzel. Entsprechend heterogen ist das Engagement der einzelnen Städte und Gemeinden, wie einige Beispiele aus Bayern zeigen: In Garching bei München ist es Landwirten und Kleingärtnern mit Beschluss vom März 2018 untersagt, auf städtischen Pachtflächen Glyphosat auszubringen. Die Stadt selbst verzichtet schon seit 15 Jahren auf Pestizide und Insektizide. In Aichach beschloss der Stadtrat im Dezember 2017, den Einsatz von Glyphosat auf sämtlichen verpachteten städtischen Flächen zu untersagen. Wenn Pächter nicht freiwillig auf Glyphosat verzichten, sollen die Verträge bis 30.08.2019 gekündigt werden. In Augsburg ist Glyphosat auf städtischen Grünanlagen, in den Forsten und im Botanischen Garten tabu. Generell wird versucht, ohne Pestizide auszukommen; invasive Arten wie der Riesenbärenklau werden giftfrei entfernt. Auch die Gemeinde Gilching verzichtet seit 2011 auf Herbizide. Ausnahme: Friedhofswege. Diese sollen in Zukunft jedoch naturnäher gestaltet werden, breite Kieswege sind nicht mehr zeitgemäß. In neuen Pachtverträgen soll Pestizidverzicht verankert werden. Und der gesamte Bezirk Niederbayern beschloss im März 2018, auf den Einsatz von Glyphosat in nicht landwirtschaftlichen Betrieben und Thermalbädern zu verzichten. In der Landwirtschaft im Einflussbereich des Bezirks wird mittelfristig nach Alternativen gesucht.
Was tun, wenn auf dem Sportrasen Pilze wachsen? Wie schützt man den historischen Rosengarten gegen Blattläuse, Spinnmilben und Mehltau? Wie lassen sich Eichenprozessionsspinner und Buchsbaumzünsler giftfrei bekämpfen? Was hilft gegen invasive Arten wie Knöterich und Riesenbärenklau? Diese Fragen beschäftigen immer mehr Verantwortliche. „Wir geben nicht nur konkrete Tipps, sondern liefern auch Argumentationshilfen oder Beschlussvorlagen, die man in den Gemeinderat einbringen kann. Oftmals entscheiden sich die Verantwortlichen dann für weitere insektenfreundliche Projekte, zum Beispiel werden pflegeintensive Rasenflächen mit heimischem Saatgut in mehrjährige Blühwiesen umgewandelt“, berichtet Hölzel. Damit lassen sich langfristig Kosten einsparen, die man bei einer Umstellung anfangs für die Anschaffung spezieller Maschinen oder für zusätzliches Personal aufbringen muss.
Die größte Herausforderung für die Kommunen sei jedoch die öffentliche Akzeptanz durch die Bürgerinnen und Bürger, glaubt die Expertin: „Die Leute müssen sich erst daran gewöhnen, Löwenzahn, Wegerich und Wegwarte auf dem Kiesweg zu akzeptieren. Das erfordert Kommunikation und Überzeugungsarbeit.“ Anregungen und Hilfe können sich interessierte Kommunen beim BUND und seinen Regionalgruppen holen – bei einem persönlichen Treffen, am Telefon oder in Form von Flyern und Broschüren. Zudem plant der BUND mit Unterstützung des Umweltbundesamtes eine Fachtagung zum Pestizidverzicht in Kommunen. Sie soll im Herbst 2019 in Dessau stattfinden.
Mehr:
Eine interaktive Karte dokumentiert mehr als 460 Städte und Gemeinden, die ganz oder teilweise auf den Einsatz von Pestiziden verzichten: www.bund.net/pestizidfreie_kommune.
Ein Flyer fasst die wichtigsten Informationen über „Pestizidfreie Kommune“ zusammen:
Die 20-seitige Broschüre „Stadtnatur ohne Gift“ kann als pdf-Datei geladen oder in Printformat bestellt werden unter www.bund.net/service/publikationen/detail/publication/stadtnatur-ohne-gift-pestizidfreie-kommunen/.
Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen listet nichtchemische Verfahren zur Unkrautbekämpfung auf befestigten Flächen auf:
www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/pflanzenschutz/genehmigungen/unkrautohnechemie/index.htm.
Die Beiträge einer Fachtagung, die 2015 in Dessau stattfand, finden sich hier: www.umweltbundesamt.de/pestizidfreie-kommune-review.
Offenberger, M. (2019): Für die Artenvielfalt: Hunderte Kommunen verzichten ganz oder teilweise auf chemische Pestizide. – ANLiegen Natur 41/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/pestizidfreie_kommunen/.
Zum Volltext-Download:
ANLiegen Natur 41/1 (2019): 8 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,6 MB).