Internationales Insektenschutzsymposium: Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben
(Katharina Heuberger) Insekten sind die artenreichste Tiergruppe auf der Erde. Für die Funktion von Ökosystemen sind sie unerlässlich. Doch trotz ihrer grundlegenden ökologischen Bedeutung sind mittlerweile viele Insektengruppen in Mitteleuropa so massiv bedroht, dass man von einem regelrechten Artenkollaps sprechen kann. Auf dem ersten internationalen Insektenschutzsymposium am Naturkundemuseum Stuttgart am 19.10.2018 wurden die Gründe für diese Entwicklung auf Basis neuester Forschungsergebnisse diskutiert. Ziel der Tagung, auf der sich Wissenschaftler aus ganz Europa mit Praktikern aus Politik, Wirtschaft und Naturschutz trafen, war es, Lösungsvorschläge und Handlungsanweisungen für die Politik zu erarbeiten.
Zur Konkretisierung und Stützung des kürzlich veröffentlichten „Aktionsprogramms Insektenschutz“ von Bundesumweltministerin Svenja Schulze präsentierten die Wissenschaftler einen Neun-Punkte-Plan.
„Es ist höchste Zeit, die Spielregeln in unserem System zu ändern. Das Insektensterben zeichnet sich bereits seit Jahrzehnten ab und wird dramatische ökonomische und ökologische Folgen haben“, warnt Prof. Dr. Lars Krogmann, Leiter des Fachgebiets Systematische Entomologie an der Universität Hohenheim, der das Symposium in Stuttgart organisierte. „Von der Politik wird oft angeführt, dass wir erst noch mehr Daten sammeln müssen. Wir haben aber schon genügend Daten und müssen jetzt konkrete Maßnahmen ergreifen, die sofort im Freiland wirksam werden. Diese haben wir im Neun-Punkte-Plan zusammengefasst“, erläutert Krogmann weiter die Perspektive der Wissenschaft.
Die Kernforderungen der Wissenschaftler zum Schutz der Insekten sind:
1. Einschränkung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft, unter anderem durch veränderte Zulassungsverfahren, einem Verbot von vorbeugendem Pflanzenschutz und einem Verbot von Neonikotinoiden und Totalherbiziden.
2. Extensivierung der Landwirtschaft durch Kopplung der EU-Agrarsubventionen an ökologische Leistungen, durch Förderung von Brachflächen und Ökolandbau. Nährstoffüberschüsse müssen begrenzt, strukturreiche Flächen und die Vernetzung der Biotope gefördert werden.
3. Erhöhung der Artenvielfalt des Grünlands. Ein Rückgang der Grünlandflächen ist zu stoppen. Die Bewirtschaftung muss insektenfreundlicher, der Einsatz von Mulchgeräten und Mähaufbereitern begrenzt werden.
4. Bei der Pflege von Naturschutzgebieten muss das Pflegemanagement Insekten besser berücksichtigt werden. Die unter Naturschutz stehende Fläche ist zu erhöhen und der Einsatz von Pestiziden darin zu untersagen. Die Naturschutzbehörden brauchen einen höheren Etat.
5. Mehr Natur im öffentlichen Raum. Öffentliche Grünflächen sollen insektenfreundlicher gestaltet werden: Mehr heimische Blühpflanzen statt mehr Grün in der Stadt. Rasenflächen müssen zu extensiven Mähwiesen umgestaltet werden.
6. Weniger Lichtverschmutzung. Straßenleuchten sind auf LED umzurüsten, die Farbtemperatur sollte maximal 3.000 Kelvin betragen, die für Insekten weniger attraktiv ist als die üblichen 4.000 Kelvin.
7. Forschungs‐und Bildungsoffensive. Die Artenkenntnisse der Bevölkerung in Deutschland sind gering. Daher ist eine Taxonomie-Offensive für Experten und Amateur-Entomologen nötig. Das Insekten-Monitoring muss ausgebaut, naturkundliche Sammlungen besser unterstützt werden.
8. Förderung von Wildbestäubern. Wildbienen sollen einen höheren Schutzstatus erhalten und in die FFH-Richtlinie aufgenommen werden. Um Krankheitsübertragungen zu vermeiden, ist bei Honigbienen streng auf die Hygiene zu achten, eine Nahrungskonkurrenz zu den Wildbienen ist zu vermeiden, etwa durch die Festlegung einer Höchstzahl.
9. Öffentlichkeitsarbeit. Das Bewusstsein der Bevölkerung für das Problem ist zu schärfen, damit zum Beispiel auch insektenfreundlicher gestaltet werden. Fortbildungen für Lehrer und Erzieher können bereits bei den Jüngsten ansetzen.
Die Autoren des Neun-Punkte-Plans benennen das Insektensterben als „eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, die nur durch einen gemeinsamen gesellschaftlichen Kraftakt zu bewältigen sei. „Der Kardinalfehler unseres Wirtschaftssystems ist, dass die ökologischen Folgekosten menschlichen Handelns nicht in den Preisen enthalten sind“, kommentiert Prof. Dr. Krogmann von der Universität Hohenheim.
Der Neun-Punkte-Plan wurde an der Universität Hohenheim der Bundesumweltministerin Svenja Schultze persönlich übergeben und deutschlandweit an alle Umwelt-, Agrar-, Bildungs- und Forschungsministerien auf Bundes- und Länderebene verschickt. Der vollständige vierseitige Neun-Punkte-Plan kann über den unten aufgeführten Link abgefragt werden.
Mehr:
Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben – Die Perspektive der Wissenschaft. – www.naturkundemuseum-bw.de/sites/default/files/presse/9-punkte_plan_gegen_das_insektensterben_19_okt_2018_0.pdf (Zugriff 12.12.2018)
Verfasst von den zwölf Vortragenden des internationalen Insektenschutzsymposiums:
Prof. Dr. Lars Krogmann (Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart)
Prof. Dr. Oliver Betz (Universität Tübingen)
Dr. Jonas Geldmann (University of Cambridge)
Prof. Dr. Dave Goulson (University of Sussex)
Prof. Dr. Randolf Menzel (Freie Universität Berlin)
Dr. Uwe Riecken (Bundesamt für Naturschutz)
Prof. Dr. Joachim Ruther (Universität Regensburg)
Hans Richard Schwenninger (Arbeitskreis Wildbienen-Kataster)
Dr. Martin Sorg (Entomologischer Verein Krefeld)
Prof. Dr. Johannes Steidle (Universität Hohenheim)
Prof. Dr. Teja Tscharntke (Georg‐August‐Universität Göttingen)
Prof. Dr. Wolfgang Wägele (Zoologisches Forschungsmuseum Alexander König)
Heuberger, K. (2019): Internationales Insektenschutzsymposium: Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben. – ANLiegen Natur 41/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/plan_gegen_insektensterben/.
Zum Volltext-Download:
ANLiegen Natur 41/1 (2019): 8 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,6 MB).