Wiesenpflanzen aus regionalem Saatgut sind ortsfremden Sämlingen überlegen
(MO) Extensiv genutzte Wiesen mit ihrem großen Reichtum an Gräsern und Kräutern werden in unserer Kulturlandschaft immer seltener. Um dem entgegenzuwirken, werden auf geeigneten Flächen gezielt heimische Wiesenpflanzen angesät. Aus der Region gewonnenes Saatgut bringt besonders wuchskräftige und an den Standort angepasste Pflanzen hervor. Das belegen zwei aktuelle wissenschaftliche Studien an sieben ausgewählten Wiesenarten.
Förster wissen nur zu gut, dass frisch gepflanzte Bäumchen am besten dort gedeihen, wo auch deren Mutterbäume wachsen. Deshalb darf für Neuanpflanzungen im Forst nur Saatgut aus der Region verwendet werden. Dahinter steckt folgende Beobachtung: Innerhalb einer jeden Pflanzenart gibt es eine Vielzahl von Individuen, die sich in ihrer genetischen Ausstattung – und damit auch in ihrer Wuchskraft und weiteren Eigenschaften – unterscheiden. Manche vertragen zum Beispiel mehr Trockenheit als ihre Artgenossen, andere kommen womöglich mit Bodenfrösten oder Stürmen besser zurecht. Weil sich stets die am besten angepassten Exemplare stärker vermehren als ihre weniger fitten Artgenossen, bilden sich mit der Zeit regionale Unterschiede zwischen den räumlich getrennten Populationen einer Spezies aus.
Diese Gesetzmäßigkeit hatte bereits Charles Darwin erkannt. Sie gilt nicht nur für Bäume: Auch bei unseren heimischen Wiesenpflanzen findet man regionale Unterschiede im Erbgut und den daraus resultierenden äußeren Merkmalen und Eigenschaften. Dennoch gibt es bislang keine Vorschriften darüber, welches Saatgut etwa in den Alpen oder an der Donau zur Aufwertung von Straßenrändern, Hochwasserdämmen oder extensivierten Wiesenflächen verwendet werden darf. Tatsächlich werden in der Praxis Saatgutmischungen ausgebracht, deren Herkunft sich meist gar nicht nachvollziehen lässt; häufig werden sie in Osteuropa oder gar in Übersee produziert, wo die zur Anzucht nötigen Flächen und Arbeitskräfte billiger zu haben sind, als hierzulande. Allein in den Jahren 2007 und 2008 hat Deutschland 13.000 Tonnen Grassamen und 280 Tonnen Kräutersamen aus dem Ausland importiert. Dies sollte sich unbedingt zugunsten von Regio-Saatgut ändern, fordert Dr. Walter Durka vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Zur Begründung verweist der Biologe auf die Ergebnisse seiner jüngsten Forschungsarbeiten, die er zusammen mit Kollegen der Universitäten in Tübingen, Münster und München im renommierten „Journal of Applied Ecology“ veröffentlicht hat: „Unsere Studien belegen ganz klar, dass regionales Saatgut demjenigen aus weiter entfernten Herkunftsorten überlegen ist“.
Dass lokal angepasstes Saatgut besser wachsen sollte als das aus entfernten Regionen, wurde schon seit längerem vermutet. „Doch bislang gab es nur wenige experimentelle Untersuchungen, die das an mehreren Arten gleichzeitig einwandfrei belegen“, betont Walter Durka: „Deshalb haben wir uns von sieben Wiesenpflanzen Saatgut aus acht verschiedenen Herkunftsregionen innerhalb Deutschlands kommen lassen. Das haben wir dann alles parallel zum gleichen Zeitpunkt und unter denselben Bedingungen ausgesät und untersucht“. Die Wahl fiel auf den Gewöhnlichen Glatthafer, eine Grasart, dazu auf Wiesen-Flockenblume, Möhre, Weißes Labkraut, Gewöhnliches Ferkelkraut, Acker-Witwenblume und Kuckucks-Lichtnelke. Dabei wollten die Biologen zweierlei wissen: wie groß die genetischen Unterschiede zwischen Artgenossen aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten sind – und ob sie das Wachstum der Pflanzen beeinflussen.
Als Maß für die genetischen Unterschiede untersuchten sie Art und Häufigkeit bestimmter Gensequenzen, die zumeist keinen Einfluss auf die Eigenschaften der Pflanzen nehmen und somit anpassungsneutral sind. Das Fazit der Studie: Bei allen Arten fanden die Forscher solche neutralen genetischen Unterschiede zwischen Pflanzen aus verschiedenen Regionen. Wie groß diese sind, hängt allerdings von der je eigenen Biologie der Arten ab, erklärt Walter Durka: „Beim Glatthafer haben wir die geringsten Unterschiede gefunden. Das leuchtet ein, denn das Gras ist sehr weit verbreitet und wird durch den Wind bestäubt, so dass hier eine starke Durchmischung des Erbmaterials stattfinden kann. Die Kräuter werden dagegen durch Insekten bestäubt; entsprechend finden wir zum Beispiel beim Labkraut und beim Ferkelkraut einen viel geringeren genetischen Austausch. Die stärksten Unterschiede zwischen den Regionen finden wir bei der Kuckucks-Lichtnelke – das ist die einzige der von uns untersuchen Arten, die sich selbst bestäuben kann und dadurch offenbar relativ wenig Austausch mit dem Rest der Population hat.“
Ganz allgemein zeichnet sich folgender Trend ab: Je größer die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus. Da die Untersuchungsmethode nur neutrale genetische Marker erfasst, sagt sie nichts darüber aus, ob Pflanzen an ihre angestammte Region besonders gut angepasst sind und dort besser gedeihen als in anderen Teilen Deutschlands. Um eben dies zu klären, machten die Biologen folgendes Experiment: „Wir haben jede der sieben Arten aus acht verschiedenen Herkünften in vier Gärten in Freising, Tübingen, Halle und Münster ausgesät“, sagt Walter Durka: „Dann haben wir notiert, wann jede Pflanze ihre erste Blüte angesetzt hat, denn das zeigt, ob und wie gut sie an das regionale Klima angepasst ist. Als fitnessrelevantes Merkmal haben wir die Zahl der Blüten vermerkt – denn die bestimmt darüber, wie viele Samen die Pflanze in die nächste Generation bringen wird und wie gut sie überleben kann.“
Die Auswertung der Freilandstudie ergab einen überraschend klaren Zusammenhang: Die Pflanzen fielen stets dort positiv auf – zum Beispiel durch mehr Blüten oder eine höhere Biomasse –, wo auch ihr Saatgut herstammte. So konnte zum Beispiel Labkraut aus regionalem Saatgut ganze 40 Prozent mehr Biomasse ansetzen als Sämlinge, die ursprünglich aus anderen Gegenden stammten. Dass der Versuchs-Sommer 2013 außergewöhnlich heiß war, bescherte den Forschern eine zusätzliche Erkenntnis: Auch aus Süddeutschland stammendes Saatgut gedeiht besonders gut in seiner angestammten Region. Kritiker des Regio-Saatgut-Konzeptes mutmaßen indes, dass Pflanzen aus dem Süden sich in Zeiten des Klimawandels schon alleine aufgrund ihrer guten Hitzetoleranz überall in Deutschland besser behaupten sollten als Populationen aus dem kühleren Norden. „Obwohl die Temperaturen 2013 in den Versuchsgärten im Mittel 1,5 bis 2 Grad höher lagen als in gewöhnlichen Sommern, hatten die Gewächse aus wärmeren Regionen keinen Vorteil. Entscheidend ist immer die Herkunft des Saatguts“, betont Versuchsleiter Walter Durka.
Doch nicht nur die Pflanzen selbst profitieren von ihrer regionalen Anpassung – sondern auch die Tiere, die mit ihnen zusammenleben. Dies zeigt sich besonders deutlich daran, wann die ersten Blüten austreiben. Bei Wiesen-Flockenblumen lagen die Blühtermine je nach Herkunft bis zu 17 Tage auseinander, beim Weißen Labkraut sogar bis zu 23 Tage. „Das ist aus ökologischer Sicht sehr viel“, sagt Durkas Kollegin und Erstautorin der Pflanzstudie, Dr. Anna Bucharova von der Universität Tübingen. Schließlich haben sich zahlreiche Insekten und andere kleine Tiere, die die Blütenköpfe bewohnen oder sich von deren Nektar, Pollen oder Samen ernähren, auf den regional üblichen Zeitplan eingerichtet. „Es kann durchaus sein, dass die ganze Lebensgemeinschaft in Schwierigkeiten kommt, wenn gebietsfremde Pflanzen zur falschen Zeit blühen“, befürchtet die Wissenschaftlerin. Noch ein Grund mehr, bei Saatgut auf Regionalität zu setzen.
Mehr:
Durka, W. et al. (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. – Journal of Applied Ecology; http://dx.doi.org/10.1111/1365-2664.12636.
Bucharova, A. et al. (2016): Genetic differentiation and regional adaptation among seed origins used for grassland restoration: lessons from a multispecies transplant experiment. – Journal of Applied Ecology; http://dx.doi.org/10.1111/1365-2664.12645.
Bucharova, A. et al. (2016): Plants adapted to warmer climate do not outperform regional plants during a natural heat wave. – Ecology & Evolution; http://dx.doi.org/10.1002/ece3.2183.
Bucharova, A. et al. (2016): Plant ecotype affects interacting organisms across multiple trophic level – Basic and Applied Ecology; http://dx.doi.org/10.1016/j.baae.2016.09.001
Einführung in das Regio-Saatgut-Konzept mit Karte der Herkunftsgebiete: http://www.regionalisierte-pflanzenproduktion.de/.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2017): Wiesenpflanzen aus regionalem Saatgut sind ortsfremden Sämlingen überlegen – ANLiegen Natur 39/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/regionales_saatgut/.