Pilze gehören stärker in den Fokus des Naturschutzes (Februar 2013)
Auf der hochkarätig besetzten Tagung „Pilze und Naturschutz“ der Bayerischen Akademie für Naturschutz, der Deutschen Gesellschaft für Mykologie, der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft und des Landesamtes für Umwelt am 25. Februar in Augsburg herrschte Einigkeit: Pilze werden viel zu wenig beachtet. Gemessen an ihrer Artenvielfalt und ihrer essentiellen Leistungen für Ökosysteme und für die Menschen, führen die Pilze weitgehend ein Schattendasein im Naturschutz und der Gesellschaft. Wissenschaftler wie Biologen, Mykologen und Ökologen sowie Praktiker fordern eine verstärkte Beachtung des Reiches der Pilze in Naturschutz, Planung und Bildung, die über eine Wahrnehmung von Speisepilzen oder Bierhefen hinausgehen muss.
Granatroter Saftling (Hygrocybe punicea).
Foto: Peter Karasch.
Die Tagung hatte Wissenschaftler und Praktiker aus Deutschland und den Niederlanden geladen, um einen Überblick über die Vielfalt der Pilze, ihren ökosystemaren Leistungen und ihrer aktuellen Schutz- und Gefährdungssituation zu geben.
Eingeleitet vom Vortrag des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Mykologie, Dr. Christoph Hahn, wurde über Vielfalt, Artenzahlen, Kenntnislücken und Kuriositäten berichtet. Weltweit gibt es demnach mindestens sechsmal so viele Pilzarten wie Pflanzenarten, also mehr als 1,5 Millionen.
Dr. Claus Bässler vom Nationalpark Bayerischer Wald verdeutlichte in seinem engagierten Vortrag die bislang zu wenig beachteten Leistungen der Pilze am Beispiel der Wälder. Hierbei wurde herausgestellt, dass Pilze die wesentlichen Prozesse im Waldökosystem, wie Primärproduktion und Abbau organischer Materialien, steuern.
Prof. Dr. Peter Spiteller vom Lehrstuhl für Analytische Chemie in Bremen zeigte den konkreten Nutzen von Wirkstoffen aus Pilzen. Eine Vielzahl von nützlichen Verbindungen konnte bislang einzig und allein aus Pilzen extrahiert und weiter entwickelt werden. Geht nur eine Pilzart verloren, kann das den Verlust eines bedeutenden Nutzungspotenzials bedeuten.
Frau Dr. Rita Lüder deckte die oft zu geringe Wertschätzung von Pilzen auf: Pilze sind bislang kaum in der alltäglichen Bildung vertreten. Ihr von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie unterstützter Lösungsweg: Ausbildung zum „Pilz-Coach“, einer sechstätigen Basisausbildung für Einsteiger aus den Bereichen Forstpädagogik, Biologie, Naturschutz, Kräuterpädagogik oder anderen.
Die Analyse der bayerischen Lehrpläne verschiedener Schulformen sowie Hoch- und Fachhochschulen verdeutlichte das Dilemma erneut. Dr. Christoph Hahn, als Gymnasiallehrer tätig, analysierte die Lehrpläne und stellt fest: Pilze sind ein absolutes Randthema. Sie werden in der Schule eher als Hygieneproblem thematisiert, als deren reale Leistungen im Lebensumfeld der Menschen darzustellen. Selbst einfachste Funktionen, wie die Bierhefe-Gärung, werden nicht am Pilz verdeutlicht. Ökologische oder ökosystemare Zusammenhänge fehlen völlig. Auch den Hochschulen fehlt es an Ausbildern, Professuren oder Forschungseinrichtungen, die sich mit Pilzen beschäftigen.
Der Schwerpunkt der Tagung lag auf der Gefährdungssituation und den Maßnahmen zum Schutz von Pilzen. Ines Langensiepen vom Bayerischen Landesamt für Umwelt erläuterte die Artenschutzkartierung und Biotopkartierungen, die sich bislang in der Hauptsache an Flora und Fauna orientiert haben. Als Grundlagenarbeit für die Pilze (Funga) wurde in den vergangenen Jahren die Rote Liste der Großpilze Bayerns sowie aktuell die Bearbeitung der Checkliste der Ascomycota von Bayern beauftragt.
Prof. Dr. Thomas Kuyper von der Universität Wageningen, Niederlande, zeigte eindrücklich die Konsequenzen von Stickstoffeinträgen auf die Pilzartenzusammensetzung: Der Vergleich von naturnahen mit stickstoffbelasteten Standorten zeigte extreme Unterschiede in der Artenausstattung. Nur wenige Arten profitieren von Stickstoffüberfluss, viele Arten verschwinden. Hunderte von Arten sind durch Einträge von Stickstoff gefährdet.
Das Bild zeigt das Publikum der Tagung im großen Sitzungssaal der Bayerischen Landesanstalt für Umwelt in Augsburg.
Foto: Dr. Wolfram Adelmann (ANL).
Markus Blaschke von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft erläuterte in seinem Vortrag die Ergebnisse aus der Forschung über Naturwaldreservate und die Abhängigkeit von Pilzarten hinsichtlich Totholzmengen und Vielfalt von Totholz als Substrat. Er berichtete über typische Arten, wie beispielsweise die Becherkoralle, die als Zeiger für Naturnähe (Urwaldreliktart) definiert wurde. Der Nachweis solcher Vorkommen ist für die Bewertung von naturschutzfachlich bedeutsamen Waldstandorten relevant. Für eine hohe Artenvielfalt bei den Pilzen sind unterschiedliche Holzstärken vom Reisig bis zum Starkholz im Wald von großer Bedeutung.
In Vertretung des leider erkrankten Autors Hans Halbwachs präsentierte Peter Karasch einen Vorschlag zur Entwicklung eines Bewertungssystems von naturnahem Grünland mittels Indikatorpilzen, vor allem Saftlingen. Ähnliche Konzepte werden offenbar mit Erfolg in einigen europäischen Ländern bereits angewendet. Als wichtige Merkmale des Konzepts stellte er die einfache Handhabung und Anpassbarkeit an die Verwaltungsrealität im bayerischen Naturschutz heraus. Der Autor regt im Nachgang zum Vortrag an, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die das Konzept auf Machbarkeit überprüft, konkrete Kriterien für eine Anwendung aufstellt und die weitere Vorgehensweise hinsichtlich Praxistests und Optimierung ausarbeitet.
Gleich im Anschluss konnte Peter Karasch die neue Rote Liste der Großpilzarten in Bayern vorstellen. Eindrücklich zeigte er, dass von den zirka 6000 Pilzarten mehr als 1500 gefährdet sind. Als Gefährdungsursachen führte er an:
- Düngung von Wiesen und Weiden mit Mineraldünger mit drastischem Artenrückgang
- Anhaltende Stoffeinträge in alle Naturräume über die Luft aus Landwirtschaft, Industrie und Verkehr
- Ungebremste Bautätigkeit mit enormem Flächenverbrauch
- Ausholzen von wertvollen Beständen ohne Rücksicht auf Pilzvorkommen unter Altbäumen
- Entfernen von wichtigen Mykorrhiza-Partnern im Wirtschaftswald (beispielsweise Espe, Birke und Erle)
- Geänderte Zielsetzung mit verstärkter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Priorität, speziell im Staatsforst, mit erhöhtem Holz-Einschlag
- Einsatz von Holzerntemaschinen mit massiven Eingriffen und Schädigungen des Bodenlebens ohne ausreichende Kenntnis der Folgen für eine nachhaltige Forstwirtschaft
- Beseitigung abgestorbener oder durch Windwurf umgestürzter Altbäume
- Pestizideinsatz in Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft.
Dr. Claus Bässler griff dieses Thema in seinen Vortrag „Konkurrenz um Holz - …“ auf und zeigte die erheblichen Unterschiede zwischen Wäldern mit langer Habitattradition und geringem forstlichen Einfluss und der heutigen Forstpraxis. Ausdrücklich plädierte er dafür, die Habitattradition in den Fokus von Schutzbemühungen zu stellen. Die Notwendigkeit, ein zeitlich kontinuierliches, wenn auch räumlich variierendes Angebot an Tot- und Lebendholz zu wahren, könne oft nur in nutzungsfreien Wäldern gelingen. Die notwendigen Dimensionen oder Mengen würden sich in einer rein wirtschaftlich orientierten Forstwirtschaft nicht realisieren lassen.
Dr. Wolfram Adelmann von der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege und Leiter der Veranstaltung fasste die Tagung zusammen: Die zukünftigen Aufgaben liegen darin, bewusst zu machen, wie vielfältig Pilze und ihre Leistungen für Mensch und Umwelt sind. Diese Erkenntnisse sind auch in die Lehrpläne von Schulen und Hochschulen zu integrieren, um eine breite Wertschätzung in der Gesellschaft zu entwickeln. Im Naturschutz muss die Botschaft ankommen, dass Hunderte von Pilzarten in Bayern massiv gefährdet sind und dass hier eine Erweiterung des Wahrnehmungshorizontes dringend notwendig ist, um wirksame Maßnahmen zu ergreifen:
- Stickstoff-Einträge deutlich reduzieren,
- extensiv bewirtschaftete Grünlandflächen und totholzreiche, naturnahe Nutzwälder erhalten,
- nutzungsfreie Waldflächen schaffen.
Nur so lassen sich auch bei der Organismengruppe „Pilze“ die Ziele der Bayerischen Biodiversitätsstrategie verwirklichen, nämlich eine erhebliche Verbesserung der Gefährdungssituation bis 2020.
Ansprechpartner an der ANL:
Dr. Wolfram Adelmann
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
Fachbereich 2: Angewandte Forschung und Wissenstransfer
Seethalerstraße 6
83410 Laufen
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Kooperationspartner:
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