Veranstaltung "Wilder Fluss! Alpine Fließgewässer in der Planung" (September 2013)
In seiner Begrüßung erläuterte Herr Simon Untergruber, Abteilungsleiter am Landratsamt Garmisch-Partenkirchen, die Wünsche des Landkreises für eine zukünftige Entwicklung der Oberen Isar. Als besonderes Anliegen hob er den Schutz der Gemeinden vor Hochwasser und den Erhalt der Trinkwasserbrunnen und die Bedeutung für den Tourismus hervor.
Gelungener Versuch der Reaktivierung eines Seitenarms der Isar bei Wallgau. Die hergestellte Rinne wurde vom Hochwasser gut durchflossen, aber gleichzeitig deutlich zugelagert.
Foto: Martin Kyek.
Monitoring Fauna-Flora-Habitate (FFH)
Im ersten Fachvortrag stellte Dr. Andreas Zehm von der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege in Laufen (ANL) die aktuellen Ergebnisse des ersten Durchgangs des Monitorings der FFH-Lebensräume von Wildflüssen in Bayern dar. Grundlage seiner Bestandsanalyse war ein Bericht des FFH-Monitorings für die Kontinentale Biogeographische Region des Bayerischen Landesamts für Umwelt und die Experteneinschätzung für die Alpine Region. Das FFH-Monitoring wird in Bayern von Werner Rehklau koordiniert. Da 75 Prozent der untersuchten wildflussspezifischen Lebensräume keinen guten Zustand aufweisen, besteht dringender Handlungsbedarf.
An wesentlichen Defiziten zeigten sich in der Kontinentalen Region:
- Eine mit Ausnahme der Halbammer und der Ammer ungünstige Geschiebesituation in nahezu allen Systemen und eine zum Teil untypische Geschiebezusammensetzung (beispielsweise im Inn nur noch Feinteile).
- Eine vor allem auch aus Raummangel unzureichende oder reduzierte naturnahe Dynamik und dadurch eine fortschreitende Sukzession.
- Eine starke Fragmentierung der als Lebensraumtyp ansprechbaren Flächen mit geringem Entwicklungspotenzial und weiterer Degradation, sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
- Zahlreiche Eutrophierungszeiger und Neophyten in den Auen (besonders in alpenferneren Flächen).
Als Resümee bleibt festzuhalten: Es ist entscheidend, den Gewässern einen ausreichend großen Raum für natürliche Dynamik (Umlagerung und Geschiebehaushalt) zu geben und auf die Artenausstattung sowie einen Aufbau von ausreichend großen Metapopulationen zu achten.
Sedimentmanagement in Bayern
Im Vortrag „Sedimentmanagement Bayern“ erläuterte Alexander Neumann vom Bayerischen Landesamt für Umwelt Ursachen und Auswirkungen anthropogener Eingriffe in Wildfluss-Landschaften. Ein Hauptproblem fast aller Alpenflüsse ist die Eintiefung der Flusssohle. Sohleintiefungen gefährden nicht nur die Stabilität von Bauwerken und Infrastrukturen, sondern führen auch zu vielfältigen negativen ökologischen Auswirkungen, besonders zu einer Entkopplung von Fließgewässern und Auen. Statt Einzelmaßnahmen wie bisher sollen künftig Sedimentmanagementpläne erstellt werden. Fachplanungen anderer Disziplinen, beispielsweise des Naturschutzes, werden dabei in einem frühen Planungsstadium mitberücksichtigt. Als weitere Herausforderung des Sedimentmanagements nannte Herr Neumann, die Geschiebedurchgängigkeit an Wasserbauwerken wiederherzustellen.
Konzepte und Instrumente der Revitalisierung
Prof. Dr. Mathias Jungwirth von der Universität für Bodenkultur in Wien beschrieb zunächst die Merkmale intakter Wildfluss-Aue-Systeme und nannte als Schlüsselfaktoren Erosion, Sedimentation und Dynamik der Feststoffe. Eine intakte hydro-morphologische Dynamik ist die Voraussetzung, dass flusstypische Lebensräume entstehen. Die Vielzahl unterschiedlicher Habitate in zeitlicher und räumlicher Varianz bildet die Grundlage für die bemerkenswerte Biodiversität mitteleuropäischer Wildflüsse. Ausgehend von einem Überblick über realisierte und geplante Projekte an der österreichischen Donau und ihrer Nebenflüsse präsentierte er ausgewählte EU-Life-Projekte an Donau und Unterer Traisen. Ergebnisse des fischökologischen Monitorings belegten den großen Erfolg der Revitalisierungsmaßnahmen, wie beispielsweise Flussbett-Aufweitungen, Schüttung von Schotterbänken, Anbindung von Altwassern oder die Neuschaffung von Nebenarmen. Für künftige Flussprojekte braucht man eine neue Planungsphilosophie. Zielführend ist ein flussgebietsbezogenes, prozessorientiertes und adaptives Wildflussmanagement, bei dem die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie mit den Zielen von Natura 2000 verbunden werden und eine nachhaltige Vielfachnutzung unter Einbeziehung der Bevölkerung realisiert wird.
Prof. Dr. Mathias Jungwirth demonstriert in der Diskussion nach seinem Vortrag die Erfolgsparameter für Revitalisierungsmaßnahmen.
Foto: Dr. Andreas Zehm, ANL
Integrale Flussraumprojekte in Österreich
Klaus Michor, Geschäftsführer des Planungsbüros “REVITAL – integrative Naturraumplanung“, gab den Teilnehmern einen Überblick über integrale Flussraumprojekte in Österreich. Am Beginn seines Vortrags erläuterte auch er die wesentlichen Erfolgsfaktoren, wie klare Organisationsstruktur, eindeutiger Projektauftrag oder verbindliche Festlegung von Entscheidungsprozessen. Außerdem ist es überaus wichtig, unter den Projektpartnern eine Vertrauenskultur zu schaffen und eine gemeinsame Sprache zu finden. Anschließend stellte Herr Michor Maßnahmen zur Hochwasserschutzfreilegung, zur Schaffung von Retentionsraum, zur Sohlstabilisierung, zur Verbesserung des Abflussmanagements und zum Geschiebemanagement vor. In seiner langjährigen Projekterfahrung haben sich folgende Erfolgsfaktoren herauskristallisiert:
- Integraler Planungsansatz
- Klare gemeinsame Strategie
- Flexible Maßnahmenkonzeption
- Intensive Kommunikationsarbeit
- Wissenschaftliche Begleitung
- (Abiotisches) Monitoring
Klaus Michor stellte in seinem Vortrag Beispiele aus Österreich vor, wie gute Kommunikation Projekte zur Revitalisierung von Fließgewässern gelingen lassen.
Foto: Dr. Andreas Zehm , ANL
Revitalisierung des Tiroler Lechs
Die Revitalisierungsmaßnahmen am Tiroler Lech stellten die beiden Projektverantwortlichen Dr. Reinhard Lentner vom Amt der Tiroler Landesregierung und Wolfgang Klien vom Bezirksbauamt Reutte vor. Dr. Lentner erläuterte die Ziele des Life-Projekts Wildflusslandschaft Tiroler Lech, das als Gemeinschaftsprojekt von Wasserwirtschaft, Naturschutz und anderen Organisationen mit unterschiedlichen Nutzungsinteressen entwickelt wurde. Die naturnahen, durch die Flussdynamik geprägten Lebensräume wurden erhalten und weiterentwickelt, der Hochwasserschutz verbessert, die Sohleintiefung gestoppt und das Naturschutz-Bewusstsein der Bevölkerung gefördert. Im Anschluss erklärte Wolfgang Klien Einzelmaßnahmen im Detail: Flussbett-Aufweitungen zur Sohlstabilisierung, Dynamisierung der Auen, Rückbau von Geschiebesperren und Maßnahmen eines ökologisch verträglichen Geschiebemanagements, wie beispielsweise der Bau einer Geschiebefalle.
Aktuelle Konzepte und Instrumente der Wildflussrevitalisierung
„Neue Konzepte und Instrumente bei der Wildflussrevitalisierung“ präsentierte Mario Klösch, Mitarbeiter von Prof. Dr. Habersack an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er erläuterte innovative Maßnahmen zur Sohlstabilisierung an verschiedenen Projektbeispielen. An der Oberen Drau sieht das Revitalierungskonzept eine Aufweitung des Flussbetts vor, der Geschiebeeintrag aus der Drau und ihren Nebenflüssen bleibt erhalten. Am Beispiel der Grenzmur erläuterte Mario Klösch eine Kombination aus eigendyamischer Aufweitung mit ergänzender künstlicher Geschiebezugabe. Bei der „Granulometrischen Sohlvergröberung“ wird Geschiebe mit großen Korngrößen in das Gewässer eingebracht und durch den Fluss selbst in die Sohle gemischt. Dadurch erhöht sich der Widerstand der Sohle gegenüber der erosiven Kraft des Wassers. Ein entsprechender Pilotversuch an der Donau steht kurz bevor. Beeindruckt waren die Teilnehmer von den Videoeinspielungen des Referenten, die den Ablauf seiner Experimente zur Modellierung des Geschiebetransports dokumentierten. In seinem Fazit stellte Mario Klösch unter anderem folgende Aspekte heraus:
- Weniger „Design“, mehr eigendynamische Prozesse
- Statt eng gestalteter Sicherungsmaßnahmen: Eigendynamische Dynamik innerhalb von Entwicklungskorridoren mit Sicherungen in ausreichendem Abstand zum Fluss beziehungsweise Initialgerinne
- Generelle Aufweitungen über lange Flussstrecken sind sinnvoller als Einzelaufweitungen – Umsetzung flussaufwärts
- begleitendes Monitoring, das in eine adaptive Bauausführung umgesetzt wird
- Langfristige Effekte auf die Sohlentwicklung beim Monitoring berücksichtigen
Standpunkt der Fluss-Allianzen
Als Sprecher der Bayerischen Fluss-Allianzen trug Dr. Josef Paukner die Anliegen der Umweltverbände vor: Den Flüssen mehr Raum zu geben, Auen flussverträglich zu gestalten, Hochwasserschutzstrategien und Wasserkraftnutzung zu überdenken, die biologischen Durchgängigkeit, wie die Geschiebedurchgängigkeit herzustellen, wasserrechtliche Bewilligungen verstärkt zu kontrollieren und nicht zuletzt Wildflüsse mit intakter Flussdynamik zu schützen und zu entwickeln. Außerdem warb Dr. Paukner darum, die Bayerischen Fluss-Allianzen als kompetente Partner in künftige Planungsprozesse einzubeziehen.
Exkursion Obere Isar
Vor der Exkursion zur Oberen Isar am 19.09.2013 führten Franz Speer und Dr. Zehm kurz in die Thematik ein. Franz Speer vom Verein „Rettet die Isar jetzt“ schilderte die Flusslandschaftsgeschichte eindrucksvoll mit historischen Karten und Luftbildern. Dr. Zehm stellte die einzelnen Exkursionsstandorte vor und gab wichtige Hintergrundinformationen. Während der Exkursion gab es Beiträge von Bernhard Schaipp vom Bayerischen Umweltministerium, Siegfried Sappl von der Regierung von Oberbayern, Johannes Riedl vom Wasserwirtschaftsamt Weilheim sowie von Wolfgang Kraus von der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt Garmisch-Partenkirchen, dem Gebietsbetreuer Michael Schödl und Dr. Andreas Zehm.
Erster Exkursionsstandort war das nahe der Landesgrenze bei Scharnitz gelegene Naturschutzgebiet „Riedboden“. Hier präsentiert sich die Isar noch als Wildfluss mit weitgehend natürlichem Abfluss. Allerdings sind auch hier Veränderungen sichtbar. Flussumlagerungen im gesamten Talraum finden nicht mehr statt, die Flusslandschaft und die von Schneeheide-Kiefernwäldern bewachsenen Auen sind daher nicht mehr miteinander verzahnt. Dr. Andreas Zehm stellte Charakterarten alpiner Flussauen wie Silberwurz (Dryas octopetala) oder Bunter Schachtelhalm (Equisetum variegatum) vor. Eine lebhafte Diskussion entspann sich um die Frage, warum die lokalen Standortverhältnisse das Aufwachsen der Kiefer begünstigt und unerwünschte Weidengebüsche hier nicht auftreten.
Diskussion der im Geschiebehaushalt wenig beeinträchtigten Isar im Naturschutzgebiet Riedboden oberhalb von Mittenwald.
Foto: Stefanie Riehl, ANL.
Die starken Regenfälle der letzten Tage bescherten ein besonderes Exkursions-Highlight: Eine Spülung am Krüner Wehr. Die Spülung wurde notwendig, da der Stauraum völlig mit Geschiebe aufgefüllt war. Die EON als Betreiber des Wehrs öffneten daher die Wehrklappen und nutzten den höheren Abfluss der Isar (zum Zeitpunkt des Besuchs etwa 44 Kubikmeter pro Sekunde), der das Geschiebe durch das Wehr hindurch ins Unterwasser transportierte. Interessiert begutachteten die Teilnehmer das historische Wehr aus dem Jahr 1924, das wegen der Spülung trocken gefallene Ausleitungsbauwerk der Isarüberleitung zum Walchensee und die neu errichtete Fischaufstiegsanlage. Mitarbeiter der E.ON Energie Deutschland GmbH informierten über den Betrieb des Krüner Wehres und das Stauraummanagement.
Durch die geöffneten Wehrklappen des Krüner Wehr fließt die Isar und spült dabei das beim Juli-Hochwasser 2013 angespülte Geschiebe aus dem Stauraum der Ableitung.
Foto: Martin Kyek.
Stark turbulente Strömung im Staubereich der Wehranlage des Krüner Wehr. Die starken, regelmäßigen und langsam nach Oberwasser wandernden Wellen zeigen eine deutliche Geschiebeumlagerung im bodennahen Bereich des Wasserkörpers an.
Foto: Dr. Andreas Zehm, ANL.
Im Jahr 1990 wurde für die Isar unterhalb des Krüner Wehrs eine Restwassermenge festgesetzt. Seither fließt die Isar wieder durch die ehemals ausgetrocknete Flusslandschaft. Die aquatischen Lebensgemeinschaften, besonders die Fische haben sich seither sehr positiv entwickelt. Allerdings gab es auch negative Auswirkungen: Die Isar hat sich eingetieft, statt vieler verzweigter Flussarme ist der Flusslauf in wenigen Gerinnen fixiert. Kiesbänke werden nicht mehr umgelagert, so dass Pionierstandorte und junge Sukzessionsstadien abnehmen. Stattdessen breiten sich dichte Weidengebüsche aus und behindern massiv die wildflusstypischen Umlagerungsprozesse. Da das Geschiebe bei Spülungen zumeist nicht weit genug flussabwärts transportiert wird, landet es unterhalb des Krüner Wehrs an und führt zu einer Verschlechterung des Hochwasserschutzes. Regelmäßige Räumungen der Flusssohle und Kiesentnahmen sind in großem Umfang nötig, um die Hochwassersicherheit für an den Fluss angrenzende Siedlungen und menschliche Nutzungen zu gewährleisten. Sie stellen jedoch einen erheblichen Eingriff in die Flusslandschaft mit ihren äußerst seltenen und hochspezialisierten Tier- und Pflanzenarten dar. Im Abschnitt nordöstlich von Wallgau erläuterten die mit der Oberen Isar betrauten Fachleute aus Naturschutz- und Wasserwirtschaftsbehörden den aktuellen Sachstand, stellten die geplanten naturschutzfachlichen Ausgleichsmaßnahmen vor und diskutierten mit den Teilnehmer Lösungsmöglichkeiten. Angeregt wurde, die Spülungen am Krüner Wehr zu optimieren mit dem Ziel, eigendynamische Umlagerungsprozesse zu fördern und den Geschiebetransport zu verbessern.
Bernhard Schaipp stellt die Auswirkungen von Spülungen auf die Geschiebesituation an der Finzbachmündung vor.
Foto: Dr. Andreas Zehm, ANL.
Ansprechpartnerin:
Stefanie Riehl
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
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