7.9 Beweidung mit Wisenten
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Zusammenfassung
Die Haltung von Wisenten ist aufwendig und kann nur für große Gebiete ohne festgelegtes Entwicklungsziel empfohlen werden. Eine umfassende Vorinformation bei laufenden Projekten ist anzuraten.
Wisent im Donaumoos bei Ingolstadt.
Foto: Andreas Zahn.
Wisente sind Waldrinder, die Misch- und Laubwälder mit feuchten Lichtungen und reichlich Unterholz bevorzugen. Dennoch stellen Gräser zwei Drittel der Nahrung. Gemeinsam mit anderen großen Weidetieren prägten Wisente vermutlich über Jahrtausende das Bild der europäischen Landschaft. Heute sind Wisente hochgradig vom Aussterben gefährdete Wildtiere. In Mitteleuropa stehen nur wenige großräumige Gebiete zur Verfügung, in denen sie ausgewildert oder halbwild gehalten werden können. Zur Stützung des Bestandes sind aber auch kleinere Anlagen sinnvoll.
Naturschutzrelevante Informationen zu Biologie, Verhalten und Nutzungsgeschichte
Wisente (Bison bonasus) sind Wildtiere, die ursprünglich in weiten Teilen Europas beheimatet waren. In der Wildbahn ausgerottet, wurden sie durch Erhaltungszucht in zoologischen Gärten gerettet. In den letzten Jahren fanden Wiederansiedelungsprojekte, insbesondere in Osteuropa, statt (KERLEY et al. 2011). Erwachsene Bullen erreichen Widerristhöhen von 160 bis 200 cm. Einzelne Tiere können über 1.000 kg schwer werden und eine Schulterhöhe von über 2 m erreichen. Kühe bleiben kleiner und erreichen ein Gewicht von 350 bis 500 kg.
Als bevorzugter Lebensraum gelten lichte Wälder im Verbund mit Offenland, Waldsteppen und Steppen mit Gehölzinseln (BUNZEL-DRÜKE et al. 2008; PUCEK et al. 2004). Nach RIEDL (brieflich) dürften sich Wisente bei geeignetem Habitatangebot durchaus überwiegend in offener Landschaft aufhalten.
Wisente eignen sich am ehesten für großflächige Gebiete, die auch Wälder und Gehölzinseln umfassen. Steht die naturnahe Entwicklung (und nicht die Haltung von Wisenten) im Vordergrund, so sollten die Flächen so groß sein, dass die Tiere auch ohne wesentliche Zufütterung im Winter ihr Auskommen finden.
Wisente verhalten sich untereinander zum Teil recht aggressiv. Das Gehege muss so gestaltet sein, dass keine Tiere in die Enge getrieben werden können. Sie verteidigen jedoch keine Reviere. Den Gruppen aus Kühen, Kälbern und älteren Jungtieren (im Schnitt zirka 8 bis 20 Tiere) schließen sich zeitweise adulte Bullen an, die ansonsten auch Bullengruppen bilden können. Ältere Bullen sind Einzelgänger. Heftige Kämpfe zwischen Bullen kommen vor. In der Nähe von Winterfütterungen bilden Wisente auch größere Gruppen (KRASINSKA & KRASINSKI 2008).
Nach RIEDL (brieflich) sind Angriffe auf Menschen sowohl in freier Wildbahn als auch im Gehege dokumentiert, wobei neben Kälber führenden Kühen insbesondere Bullen, aber auch Kühe vor der Kalbung und während der Fortpflanzungssaison, aggressives Verhalten zeigen und relativ unvermittelt angreifen können.
Fraßverhalten
Wisente ähneln ernährungsphysiologisch dem Rind (Gras- und Raufutterverwerter, Wiederkäuer), sind jedoch etwas besser an die Verdauung von verholzter Nahrung angepasst. Untersuchungen zur Nahrungswahl ergaben einen (jahreszeitlich wechselnden) Gehölzanteil von maximal 30 %. Gehölze werden eher im Winter verstärkt gefressen, während die Nahrung im Sommer überwiegend aus Gräsern und Kräutern besteht (BUNZEL-DRÜKE et al. 2008). Angaben zu bevorzugten oder gemiedenen Gehölzen gehen weit auseinander und sind teilweise widersprüchlich, zum Beispiel hinsichtlich der Meidung von Arten wie Birken, Erlen und Fichten. Nach Erfahrung von RIEDL (brieflich) werden Birken zwar weniger gern als Weiden oder Pappeln geschält, aber dennoch massiv geschädigt. Im Gegensatz zu Rindern können Wisente auch bei höheren Schneelagen an ihr Futter gelangen, indem sie den Schnee mit dem Kopf beiseiteschieben.
Einfluss auf Vegetation und Landschaft
Wie Wisente in natürlicher Dichte die Landschaft beeinflussen, ist wenig bekannt. Sicherlich wird die Zusammensetzung der Gehölzvegetation beeinflusst. In Gattern gehaltene Wisente beeinträchtigen die Gehölzvegetation und den Jungwuchs deutlich. Bis zu 10 cm dicke Bäume werden während des Fellwechsels umgedrückt oder niedergetreten, viele Bäume werden auch geschält (POPP & SCHEIBE 2001; ZENTNER 1999). Auch Beobachtungen an freilebenden Wisenten (zum Beispiel im Rothaargebirge), wie auch in relativ großen Gehegen (zum Beispiel Damerower Werder mit zirka 300 ha) zeigen, dass die Tiere massive Schälschäden verursachen können (RIEDL, brieflich).
In Bayern werden bislang im Donaumoos bei Ingolstadt Wisente zur Landschaftspflege eingesetzt. Dabei wird erprobt, ob der Wisent für eine extensive Beweidung feuchter Grünlandflächen und zur Landschaftspflege auf Niedermoorstandorten geeignet ist. Gleichzeitig wird untersucht, inwieweit die Versuchsfläche mit der gewählten Besatzdichte (1 Tier pro Hektar) vor Verbuschung bewahrt werden kann und ob sich damit ein auch aus touristischer Sicht ansprechendes Landschaftsbild schaffen und kostengünstig erhalten lässt. Die massive Zäunung von Wisentgehegen kann das Landschaftsbild beeinträchtigen. Da Wisentgehege in der Regel großflächig sind und nicht betreten werden dürfen, bedeutet dies einerseits eine „Beruhigung“ der Flächen, andererseits wird die Bevölkerung auf Dauer von einem Landschaftsausschnitt ausgeschlossen.
Wisente in einem Großgehege an der Niederländischen Küste.
Einfluss auf die Fauna
Wisente benötigen massive Zäune, die für andere Großtiere schlecht passierbar sind. Hirsche können die Zäune jedoch überspringen. Für kleinere Arten wie Rehe und Wildschweine sind Durchlässe möglich.
Ansonsten dürften die Auswirkungen von Wisenten einer Ganzjahresbeweidung mit Rindern ähneln. Wisentgehege, die nicht betreten werden dürfen, bieten Wildtieren einen Schutz vor Störungen durch den Menschen.
Empfohlenes Weidemanagement
Will man den Wildtiercharakter erhalten, sollten Wisente auf möglichst großen Weiden ganzjährig ohne wesentliche Zufütterung und im natürlichen Herdenverband gehalten werden. Freilebende Gruppen nutzen Reviere von über 4.000 ha (CABON-RACZYNSKA et al. 1987). Gemäß der „Vilmer Thesen zum Wisent in der Landschaft in Deutschland“ (FINCK & RIECKEN 2007) sollten Wisente in Landschaftsentwicklungsprojekten von mindestens 200 ha Größe Verwendung finden. RIEDL (brieflich) weist jedoch darauf hin, dass sich Wisentprojekte, bei denen die Tiere ganzjährig ohne wesentliche Zufütterung auf großen Flächen gehalten werden, kaum aktiv an der Zucht beteiligen können, da die Einzeltiererkennung und damit die Angabe der eindeutigen Abstammung der Kälber, aber auch Fang und Transport, unter diesen Haltungsbedingungen kaum möglich sind. Daher gilt die Empfehlung zur Flächengröße der „Vilmer Thesen“ ausdrücklich nicht für Zuchten zur Arterhaltung. Projekte, die sich an der Erhaltungszucht beteiligen wollen, sollten daher den Empfehlungen des European Bison Conservation Center folgen, wobei sich nach RIEDL (brieflich) Erhaltungszucht und naturschutzfachlich motivierte Beweidung auf kleineren Flächen durchaus kombinieren lässt.
Besatzdichte und Herdgröße
Nach den "Leitlinien für eine tierschutzgerechte Haltung von Wild in Gehegen" (BMEL 1995) ist für jedes erwachsene Tier eine Mindestfläche von 0,5 ha nötig. In Naturschutzprojekten dürften erheblich geringere Dichten sinnvoll sein.
Welche Unterart?
Von ursprünglich mindestens drei Unterarten des Wisents ist nur noch der Flachlandwisent (Bison bonasus bonasus) in Reinzucht vorhanden. Vom Berg- oder Kaukasuswisent (Bison bonasus caucasicus) überlebte ein Bulle, der mit Flachlandwisentkühen gepaart wurde und somit zu einem geringen Anteil in der „Flachland-Kaukasus-Linie“ der heutigen Wisente vertreten ist. Letztere soll nach Ansicht der IUCN/SSC European Bison Spezialist Group im südlichen und mittleren Teil Deutschlands verwendet werden.
Kombination mit anderen Weidetieren
In größeren Gebieten wurden Wisente erfolgreich mit Hirschen, Mufflons, Wildschweinen oder Pferden gehalten. In kleinen Gehegen kommen jedoch Angriffe auf andere Arten vor (BUNZEL-DRÜKE et al. 2008).
Zäunung
Wisente benötigen zirka 2 m hohe, massive Zäune, zum Beispiel aus Knotengeflecht mit zusätzlichem Elektrodraht oder aus Stahlträgern mit gespannten Stahlseilen, was für kleinere Wildtiere besser durchlässig ist.
Im Donaumoos ist die Weide mit einem massiven, zirka 1,90 m hohen Zaun umfriedet. Die Umzäunung besteht aus im Abstand von 3 m im Boden verankerten senkrechten Pfosten und drei dazwischen angebrachten Querriegeln. Ein weideseitig angebrachter Elektrozaun verhindert, dass die Tiere den Festzaun beschädigen können.
Land- und betriebswirtschaftliche Aspekte, Tierschutz
Wisente werden bisher nicht vermarktet, doch ist diese Tierart aus touristischer Sicht sehr attraktiv. Das Herdenmanagement sollte den Anforderungen des Europäischen Wisent-Erhaltungsprogramms gerecht werden, schon um die in beträchtlichem Umfang existierende Inzucht der Wisentpopulation zu minimieren. Die „Vilmer Thesen zum Wisent in der Landschaft in Deutschland“ (FINCK & RIECKEN 2007) sollten Beachtung finden. Bei der Errechnung von Flächenprämien, aber auch im Hinblick auf veterinärrechtliche Vorschriften, werden Wisente weitgehend wie Rinder behandelt. Der Umgang mit Wisenten (Fang, Transport, tierärztliche Behandlung) ist allerdings deutlich schwieriger als bei Haustieren. Wichtige Hinweise zu veterinärmedizinischen Aspekten gibt SCHRÖDER (2010).
Sonstiges
Die Betreuung aller Wisenthalter in Deutschland wird von vier "Regionalzentren" durchgeführt. Das Wisentgehege Donaumoos (Regionalzentrum Süd) ist für Bayern und Baden-Württemberg zuständig.
Literatur
BMEL (= Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten; Hrsg., 1995): Leitlinien für eine tierschutzgerechte Haltung von Wild in Gehegen. – 24 S.
Bunzel-Drüke, M., Böhm, C., Finck, P., Kämmer, G., Luick, R., Reisinger, E., Riecken, U., Riedl, J., Scharf, M. & Zimball, O. (2008): "Wilde Weiden", Praxisleitfaden für Ganzjahresbeweidung in Naturschutz und Landschaftsentwicklung. – Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. (ABU), Bad Sassendorf-Lohne, ISBN 978-3-0002-4385-1: 215 S.
Cabon-Raczynski, K., Krasinska, M., Krasinski, Z. A. & Wojcik, J. M. (1987): Rhythm of daily activity and behavior of European bison in the Bialowieza Forest in the period without snow cover. – Acta Theriologica, 22: 335–372.
Finck, P. & Riecken, U. (2007): Vilmer Thesen zum Wisent in der Landschaft in Deutschland. – Bundesamt für Naturschutz: 7 S.; www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/landschaftsundbiotopschutz/Wisentpositionspapier_20070725_FINAL.pdf (Stand: 18.05.2016).
Schröder, M. (2010): Veterinärmedizinische Aspekte bei der Renaturierung von Biotopen mit dem Konzept der halboffenen Weidelandschaft. – BfN-Skripten 270; www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/service/skript_270.pdf (Stand: 18.05.2016).
Krasinska, M. & Krasinski, Z. A. (2008): Der Wisent. Die Neue Brehm-Bücherei 74: 1–328, 223 SW-Abb., 35 Farb-Abb., Westarp-Wissenschaftsverlag, Hohenwarsleben: 344 S.
Kerley, G. I. H., Kowalczyk, R. & Cromsigt, J. P. G. M. (2011): Conservation implications of the refugee species concept and the European bison: King of the forest or refugee in a marginal habitat? - Ecography 35(6): 519–529.
Popp A. & Scheibe K. (2001): Zur Haltung und Wiederansiedlung des Wisents (Bison bonasus) und seine Rolle in der Landschaftsentwicklung. – Natur- und Kulturlandschaft Höxter/Jena 4: 360–366.
Pucek, Z., Belousova, I. P., Krasiñska, M., Krasiñski, Z. A. & Olech, W. (2004): European Bison. Status Survey and Conservation Action Plan. – IUCN/SSC Bison Specialist Group, IUCN, Gland, Switzerland and Cambridge, UK: ix + 54 pp.
Zentner F. (1999): Das Wisentreservat Damerower Werder (Mecklenburg). – Natur- und Kulturlandschaft 3: 208–209.
Autor:
Dr. Andreas Zahn
Hermann-Löns-Straße 4
84478 Waldkraiburg
Telefon +49 8638 86117
andreas.zahn@iiv.de
Gutachter:
Dr. Johannes Riedl
Zitiervorschlag:
Zahn, A. (2014): Beweidung mit Wisenten. – In: Burkart-Aicher, B. et al., Online-Handbuch "Beweidung im Naturschutz", Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL), Laufen, www.anl.bayern.de/fachinformationen/beweidung/handbuchinhalt.htm.
Ansprechpartnerin an der ANL:
Dr. Bettina Burkart-Aicher
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
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