Neues Leben in alten Abbaustellen
Laufzeit: ab 2011
Eisvogel und Schwarzspecht, Laubfrosch und Teichmolch, Sandbiene und Laufkäfer, Arnika und Zittergras eint ein gemeinsames Schicksal: Weil die ursprünglichen Lebensräume dieser Wildtiere und -pflanzen aus unserer weitgehend ausgeräumten Landschaft verschwunden sind, müssen sie auf "Lebensräume aus zweiter Hand" ausweichen. Steinbrüche und andere Abbaustellen gehören zu den Refugien, die ähnliche Bodenstrukturen aufweisen und ähnlichen dynamischen Prozessen unterliegen wie sie natürlicherweise in den Auen von Fließgewässern vorkommen, die durch regelmäßige Störungen einem steten Wandel unterliegen. Daher haben sich, wo Stein gebrochen, Sand und Mergel entnommen oder umgelagert werden, wertvolle Ersatz-Biotope entwickelt. Sie zeichnen sich durch den kleinräumigen Wechsel von trockenen und feuchten Lebensräumen aus und bieten damit einer Vielzahl von unterschiedlichen Arten Schutz und Nahrung: In den unzugänglichen Steilwänden der Felsabbrüche finden Greifvögel geschützte Horstplätze. Schlangen und Eidechsen haben auf der Sohle ihre besonnten Jagdreviere. Auf mageren Böden siedeln sich konkurrenzarme Wildkräuter und -gräser an. In Tümpeln und Wasserlöchern entwickeln sich Insektenlarven und dienen ihrerseits als Nahrung von Amphibien. Unter ihnen befinden sich auch etliche Natura 2000-Anhangsarten wie Kammmolch, Kreuz- und Knoblauchkröte, zu deren Schutz Bayern verpflichtet ist.
Schleichender Verlust wertvoller Lebensräume
In Mittelfranken haben mehrere Tier- und Pflanzenarten in Abbaustellen ihre letzten regionalen Vorkommen, darunter Tannen- und Sumpfbärlapp (Huperzia selago und Lycopodiella inundata), verschiedene Sandlaufkäfer der Gattung Cicindela, die Gefleckte Keulenschrecke (Myrmeleotettix maculatus), die Kleine Moosjungfer (Leucorrhinia dubia), die Schwarze Heidelibelle (Sympetrum danae) und die Kreuzkröte (Epidalea calamita). Diese Vorkommen bilden das Potenzial für eine mögliche Wiederausbreitung und begründen somit die überregionale Bedeutung ihres Schutzes. Die Naturschutzgesetzgebung hat auf die teils hochgradige Gefährdung dieser Tiere und Pflanzen reagiert und ihre Refugien unter Schutz gestellt. So wurden allein im Landkreis Ansbach im Mai 1999 per Sammelverordnung insgesamt 19 aufgelassene Sand-, Lehm- und Mergelgruben sowie ein Gipsbruch nach Artikel 23 des Bayerischen Naturschutzgesetzes als geschützte Landschaftsbestandteile ausgewiesen, weitere Stellen kamen in den Jahren 1989 bis 1996 hinzu. Dennoch sind ihre oft empfindlichen Bewohner oft weiterhin gefährdet. Teils bringt die unerlaubte Nutzung als Schuttdepot oder Freizeitgelände die sensible Flora und Fauna der Schutzgebiete in Bedrängnis, teils führte die natürliche Sukzession nach Einstellung der vormaligen Nutzung zum schleichenden Verlust dieser besonderen Lebensräume und der daran angepassten Arten.
Überregional bedeutsame Vorkommen seltener Arten
2011 hat die Regierung von Mittelfranken ein Biodiversitätsprojekt gestartet mit dem Ziel, den Zustand von acht ehemaligen Abbaustellen im gesamten Landkreis Ansbach zu untersuchen und Vorschläge für eine bestmögliche Förderung der darin lebenden Zielarten zu erarbeiten. Die Flächen wurden nach folgenden Kriterien ausgewählt: Sie sollten unterschiedliche Substrate wie Muschelkalk, Mergel, Sand und Sandstein enthalten. Wenn möglich sollten frühere Untersuchungen vorliegen, die als Referenz für Entwicklungstrends dienen können. Bevorzugt wurden Flächen mit besonders schützenswerten Arten und regional oder überregional bedeutsamen Vorkommen. Schließlich sollten sich die Flächen möglichst in öffentlichem Eigentum oder dem von anerkannten Naturschutzverbänden befinden.
Jede Abbaustelle wurde zwischen März und September 2011 vier- bis sechsmal begangen, um schützenswerte Pflanzen und Tiere zu erfassen – sei es durch Sichtbeobachtung und Verhören, die Suche nach potenziellen Verstecken in Steinhaufen und Totholz oder durch gezieltes Keschern. Fledermäuse wurden mithilfe eines Ultraschall-Detektors aufgespürt. Zur Erfassung weiterer nachtaktiver Arten erfolgte im Mai eine zusätzliche Begehung in den frühen Nachtstunden. In der Regel wurden Vögel, Amphibien, Reptilien, Heuschrecken, Tagfalter und Libellen sowie, je nach Habitat, weitere dort zu erwartende Tiergruppen erfasst. Zusätzlich zur Artenerhebung wurden Ausdehnung und Zustand der Biotope und Habitatstrukturen bilanziert. Eine Gegenüberstellung der aktuellen Daten mit denen früherer Erhebungen erbrachte Erkenntnisse darüber, inwieweit die ursprünglich definierten Schutzziele erreicht oder verfehlt wurden.
Rohboden-Bewohner sind besonders schutzbedürftig
Die Auswertung dieser umfangreichen Datensätze brachte sowohl positive, als auch – wie im Vorfeld des Projekts befürchtet – negative Entwicklungen zutage. Fast überall war zum Teil dringender Handlungs- und Pflegebedarf offensichtlich. Obwohl auf allen Flächen das vorrangige Schutzziel „Erhaltung der Bewohner von Rohboden“ formuliert wurde, ist ein entsprechendes Rohbodenmanagement auf 14 der 17 untersuchten Flächen bisher unterblieben. Darüber kamen vielerorts unzulässige Ablagerungen von Bauschutt, Erdaushub und Unrat zutage. Lediglich auf sechs der untersuchten 17 Flächen waren bereits vor Projektbeginn Pflegemaßnahmen im Rahmen des Landschaftspflegeprogramms (LNPR) erfolgt: Auf drei Flächen wurden Gewässer anlegt und Rohbodenmanagement initiiert, zwei Flächen waren entbuscht, entrümpelt und von Neophyten befreit, eine weitere Flächen gemäht und beweidet worden.
Wie verheerend sich die fehlende Dynamik und das Ausbleiben geeigneter Pflegemaßnahmen auf einige höchst schützenswerte Arten auswirken können, zeigt das Beispiel der Kreuzkröte. Von den vormals acht Vorkommen, die in der Artenschutzkartierung zwischen 1980 und 1994 auf den Probeflächen dokumentiert wurden, konnte keines bestätigt werden. Einige dieser Vorkommen waren ausschlaggebend für die Ausweisung der geschützten Landschaftsbestandteile und hätten unmittelbarer Schutzbemühungen bedurft. Neben der Kreuzkröte und weiteren Amphibien wie der Wechselkröte benötigen auch viele Insekten – zum Beispiel Sandlaufkäfer, Ameisenjungfern oder die Gefleckte Keulenschrecke – offenen und zugleich lockeren Rohboden, um dort ihre Brutstätten oder Larvengänge anzulegen. Dort finden auch zahlreiche Pflanzen ihr Auskommen, die aufgrund ihrer Keimbiologie oder Wuchsform besonders konkurrenzschwach sind, etwa der Bauernsenf (Teesdalia nudicaulis), der Lämmersalat (Arnoseris minima), die Kopf-Binse (Juncus capitatus) und verschiedene Filzkräuter der Gattung Filago. Wo Gehölze ungehindert hochwachsen können, verschatten sie den Boden und leiten Veränderungen in der Vegetation und im Mikroklima ein, die vielen Arten den Garaus machen: In den Abbaustellen bei Langfurth, Brunn und Friedrichsthal sind auch aufgrund der ungebremsten Gehölzsukzession die einst dort heimischen Populationen dreier Moorlibellen – namentlich die Kleine Moosjungfer (Leucorrhinia dubia), die Schwarze Heidelibelle (Sympetrum danae) und die Speer-Azurjungfer (Coenagrion hastulatum) – verschwunden.
Zielgerichtetes Management zeigt anhaltend positive Effekte
Neben diesen negativen Trends zeigt die Datenauswertung allerdings auch positive Entwicklungen. Viele Arten konnten durch ein zielgerichtetes Management der Abbaustellen stabilisiert werden: So sind bei Fetschendorf mehr als zwei Jahrzehnte nach Einstellung des Sandabbaus immer noch zahlreiche Pflanzen des Offen- und Lockersandes zu finden, zum Beispiel das Zwerg-Filzkraut (Filago minima) und der Zwerg-Lein (Radiola linoides). Am Sandweiher nahmen mehrere konkurrenzschwache Pflanzen nach dem Freilegen von Rohboden zumindest vorübergehend deutlich zu. Bei einer Reihe von Tier- und Pflanzenarten, die eine schwache Vegetationsdeckung vertragen, aber ohne Management zur Überalterung neigen, konnten bis heute anhaltende positive Effekte erzielt werden. Davon profitieren das Berg-Sandglöckchen (Jasione montana), die Heidenelke (Dianthus deltoides) und verschiedene Pflanzen der Flachmoore ebenso wie der Kleine Heidegrashüpfer (Stenobothrus stigmaticus) und diverse Wildbienen-Arten.
Besonders bemerkenswerte Erfolge erbrachten auf größerer Fläche vorgenommene Managementmaßnahmen wie in Fetschendorf und am Sandweiher bei Diederstetten. Mit dem Biodiversitätsprojekt wurde nun die Grundlage für ein nachhaltiges Umsetzungskonzept für die naturschutzfachlich bedeutsamsten Abbaustellen in Stadt und Landkreis Ansbach geschaffen. Es listet für jede der 17 aufgelassenen Abbaustellen auf, welche Naturschutzziele angestrebt werden und in welchen Jahren auf welchen Flächen welche Einzelmaßnahmen durchzuführen sind. Die Wiederaufnahme des Rohbodenmanagements gehört dabei zu den übergeordneten Zielen. Je nach Zustand der Flächen und des Artenspektrums wird dies folgendermaßen erreicht: durch samenschonenden Humus- oder Streuabtrag, partielles Entfernen der Vegetationsdecke, Freistellen von Abbruchwänden und sonnenexponierten Böschungen, Einbringen von Lockersand, Entladung und Neuanlage von Kleingewässern und flachen Mulden, Auslichten und Entfernen von Baumbeständen, Junggehölzen, Gartenpflanzen und invasiven Neophyten sowie gegebenenfalls durch Beweidung. Umfang und Turnus der Pflegearbeiten sind so bemessen, dass sie ein dauerhaftes Überleben der Zielarten gewährleisten.
Seit 2012 werden die vordringlichen Maßnahmen aus dem Konzept umgesetzt. Ihre Organisation und Durchführung wurde dem Landschaftspflegeverband Mittelfranken übertragen, der bereits seit langem mit den betroffenen Kommunen und Verbänden vertrauensvoll zusammenarbeitet.
Seltene Libellen und Molche kehren zurück
Durch dieses spezifisch ausgearbeitete Konzept konnten bereits beachtliche Erfolge erzielt werden. So konnten zum Beispiel in der Mergelgrube bei Hornau 2017 mehrere Libellenarten erstmals nachgewiesen werden; 2018 wurden drei weitere Arten gefunden, darunter die regional sehr seltene Speer-Azurjungfer, deren Population infolge massiven Gehölzaufwuchs in der aufgelassenen Abbaustelle erloschen war. In den neuen Gewässern konnten sich 2017 und 2018 alle drei heimischen Molcharten fortpflanzen. In der Sandgrube bei Winden entwickelten sich 2017 und 2018 wieder Dutzende Knoblauchkröten. Die neu angelegten Flachmulden in der Mergelgrube Cadolzhöfer Hut sind im selben Zeitraum spontan von Kreuzkröten als Laichgewässer angenommen worden. Auch andernorts zeigen Wasserfrosch, Laubfrosch, Ringelnatter, Zauneidechse und weitere Arten ein erfolgreiches Fortpflanzungsverhalten. Aufgrund der anhaltenden Trockenheit in 2018 ist jedoch unklar, wie viele Individuen den Sommer tatsächlich überlebt haben.
Die Vegetation der entlandeten oder neu angelegten Gewässer weist mit Lanzettblättrigem Froschlöffel (Alisma lanceolatum), Schild-Ehrenpreis (Veronica scutellata), Salz-Teichbinse (Schoenoplectus tabernaemontani), Zungen-Hahnenfuß (Ranunculus lingua) und Knoblauch-Gamander (Teucrium scordium) vielerorts wieder wertgebende Arten auf. Insgesamt ist die Entwicklung auf den bereits bearbeiteten Abbaustellen als positiv und erfolgversprechend zu beurteilen. So soll das Gesamtprojekt auch in den nächsten Jahren fortgeführt werden, um auf möglichst allen Flächen die erforderlichen Pflegearbeiten und das begleitende Monitoring durchführen zu können.
Initiator/Träger:
Regierung von Mittelfranken
Werkvertragsnehmer:
Ulrich Meßlinger, Wolfgang Subal
Kooperationspartner:
Bund Naturschutz in Bayern
Gemeinden
Landschaftspflegeverband Mittelfranken e.V.
Landkreis:
Ansbach
Ansprechpartner:
Dr. Stefan Böger, Andrea Kerskes, Regierung von Mittelfranken
Weitergehende Informationen
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Was ist biologische Vielfalt?
Biologische Vielfalt (Biodiversität) lebt auf vielen Ebenen: Die unterschiedliche genetische Ausstattung bestimmt die Vielfalt der Arten, die zusammen eine Vielzahl verschiedener Lebensräume besiedeln.
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