Umsiedelungsprogramm für einen kleinen Schmetterling
Laufzeit: ab 2013
Der Großteil der bayerischen Tagfalter-Arten ist durch die intensive Landnutzung bedroht, die den Verlust geeigneter Lebensräume zur Folge hat.
Für den Kreuzenzian-Ameisenbläuling (Phengaris rebeli) ist die Situation besonders prekär, sodass dringend gehandelt werden muss. Der Entwicklungszyklus dieses Schmetterlings macht seinen Schutz besonders schwierig: Die erwachsenen Insekten legen ihre Eier ausschließlich auf Blätter ganz bestimmter Pflanzenarten ab. In den Magerrasen Bayerns ist das nahezu ausschließlich der Kreuzenzian (Gentiana cruciata), der in Bayern mittlerweile fast ebenso selten zu finden ist wie der Bläuling. Die Schmetterlingsraupen wandern in die Blütenknospen ihrer Wirtspflanze und ernähren sich von den Samenanlagen. Nach mehrmaliger Häutung lassen sich die Raupen auf den Boden fallen und werden von einer spezifischen Knotenameisenart in deren Nest getragen. Weil sie den Geruch der Ameisenlarven imitieren und ähnliche Geräusche wie die Ameisenköniginnen erzeugen, werden die Schmetterlingslarven nicht von dieser Ameise erkannt und bis zu ihrer Verpuppung im nächsten Jahr gefüttert.
Das Leben der Bläulinge ist bedroht
Um seinen komplizierten Lebenslauf zu vollenden, muss der Kreuzenzian-Ameisenbläuling in nächster Nähe sowohl die passende Futterpflanze als auch die richtige Ameisenart finden. Und genau hier liegt das Problem. Denn der Kreuzenzian liebt es trocken und wächst daher nur auf Kalkmagerrasen, Wacholderheiden oder sonnenbeschienenen Hängen. Einst waren solche Lebensräume in verschiedenen Naturräumen Bayerns weit verbreitet, denn sie wurden regelmäßig von Rindern und Schafen beweidet. Durch die Tritte der Tiere entstanden offene Bodenstellen in der Grasnarbe, die der Kreuzenzian zum Keimen und Aufwachsen braucht. Heute ziehen nur noch wenige Schäfer mit ihren Tieren durch die Landschaft, weil diese traditionelle Nutzungsweise wirtschaftlich unrentabel geworden ist. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass viele der Kreuzenzian-Populationen nur mehr wenige Individuen umfassen und aus der Not mit zu vielen Schmetterlingseiern belegt sind. Die schlüpfenden Raupen lassen kaum intakte Samen übrig und die Pflanzen vermehren sich nicht mehr ausreichend. Das verschärft die Gefährdungssituation – sowohl für den Bläuling, als auch für den Kreuzenzian.
Im Rahmen der Bayerischen Biodiversitätsstrategie hat die Regierung der Oberpfalz bereits 2013 ein Artenhilfsprojekt "Schmetterlinge & Co. in der Oberpfalz" ins Leben gerufen. Bestandteil dieses Projektes war unter anderem der Kreuzenzian-Ameisenbläuling. Diese rein europäisch verbreitete Tagfalterart besitzt in Bayern einen deutschland- und europaweiten Verbreitungsschwerpunkt. Daraus resultiert eine besondere Schutzverantwortung des Freistaats für diesen Tagfalter. Das Schutzkonzept umfasst zwei wesentliche Ziele: Die wenigen Flächen im Freistaat, die den Ansprüchen des Dreigespanns aus Falter, Enzian und Knotenameise genügen, müssen unbedingt erhalten und mit besonderer Umsicht gepflegt, beweidet und geschützt werden. Zudem sollen geeignete Flächen gefunden werden, die dem bedrohten Schmetterling als neue Lebensräume dienen können.
Erfolgreiche Suche nach neuen Lebensräumen
Letzteres Ziel im Auge, machten sich Dr. Matthias Dolek und Anja Freese-Hager zunächst im Auftrag der Regierung der Oberpfalz an eine Bestandsaufnahme. Die beiden Biologen erfassten das Vorkommen des Bläulings, seiner Wirtspflanze sowie der Knotenameisen. Tatsächlich fanden sie in der Oberpfalz und in Niederbayern mehrere Standorte, wo es zwar genügend Enziane gibt, aber derzeit noch keine Bläulinge. Oft handelte es sich um Flächen, die gezielt durch Pflegemaßnahmen verbessert worden waren und auf denen sich der Kreuzenzian wieder ausgebreitet hatte. Diese Standorte kommen jedoch nur noch sehr isoliert vor und sind durch Mais- und Getreideäcker, Straßen oder Siedlungen voneinander getrennt. Aus eigener Kraft können die Bläulinge höchstens drei bis vier Kilometer weit fliegen und sind daher kaum in der Lage, neue, noch nicht oder nicht mehr besiedelte Lebensräume zu erreichen. Daher wurde getestet, ob man den Bläulingen die Reise in ein neues Zuhause erleichtern kann: mit der Übertragung ausgewachsener Raupen an einen Standort, wo sowohl die Knotenameise als auch gesunde und ausreichend große Kreuzenzian-Populationen vorkommen.
2014 wurden erstmals insgesamt 100 Raupen aus einer großen Falterpopulation in der Oberpfalz aufgesammelt und auf eine rund 60 Kilometer entfernte, von Kreuzenzianen und Wirtsameisen besiedelte Wiese bei Oberpindhart in Niederbayern gebracht. Alle Raupen wurden so lange beobachtet, bis sie von einer Arbeiterin der Wirtsameisenart Myrmica sabuleti abtransportiert wurden. Eine Erfolgskontrolle im Folgejahr zeigte, dass sich aus den importierten Raupen tatsächlich Schmetterlinge entwickelt und vermehrt hatten: Die Biologen zählten mehr als 600 Bläulings-Eier auf über 100 Enzianpflanzen. Weitere 18 Eier fanden sie an einem benachbarten Kreuzenzianstandort, der durch eine Straße vom Ausbringungsstandort getrennt war. Obwohl der außergewöhnlich heiße und trockene Sommer zahlreiche Wirtspflanzen absterben ließ, konnten sich einige Raupen nachweislich bis zur Adoptionsreife entwickeln. Im zweiten Jahr erbrachte eine Zählung bereits rund 2.000 Eier auf insgesamt 150 Enzianpflanzen an den Standorten beiderseits der Straße. In den folgenden Jahren bis 2018 wurde ein weiteres Wachstum auf über 12.000 Eier und über 500 Enzianpflanzen beobachtet. Die Eiablage war außerdem räumlich gut verteilt, sodass die resultierenden Raupen in verschiedene Ameisennester gelangen konnten. Jährliche Kontrollen des Standortes lassen den Schluss zu, dass sich mittlerweile eine stabile Population des Kreuzenzian-Ameisenbläulings etablieren konnte und belegen den Erfolg dieses in Europa bislang einzigartigen Umsiedelungs-Experiments.
Für die Zukunft ist eine weitere Beobachtung der Entwicklung der Population geplant. Angedacht ist auch die Prüfung weiterer Kreuzenzian-Vorkommen, ob sie für eine Ansiedlung des Ameisen-Bläulings geeignet wären.
Initiator/Träger:
Regierung der Oberpfalz und Regierung von Niederbayern
Werkvertragsnehmer:
Dr. Matthias Dolek, Fachbüro Geyer und Dolek
Kooperationspartner:
Bund Naturschutz in Bayern e. V. (Konrad Pöppel)
Landkreis Kelheim, Untere Naturschutzbehörde (Burkhard Deifel)
Landschaftspflegeverband Kelheim VöF e.V. (Robert Hierlmeier)
Landkreis:
Kelheim
Ansprechpartner:
Robert Hofmann, Regierung von Niederbayern
Weitergehende Informationen
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Was ist biologische Vielfalt?
Biologische Vielfalt (Biodiversität) lebt auf vielen Ebenen: Die unterschiedliche genetische Ausstattung bestimmt die Vielfalt der Arten, die zusammen eine Vielzahl verschiedener Lebensräume besiedeln.
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