Eine Webcam sendet live aus dem Fledermaushaus Hohenburg
Laufzeit: ab 2018
Die Große Hufeisennase (Rhinolophus ferrumequinum) ist auf strukturreiche Landschaften mit geeigneten Quartieren und einer reichen Insektenfauna angewiesen. Auf Flächen industrieller Landwirtschaft mit dem Einsatz von Pestiziden kann sie nicht überleben; in Deutschland ist die Art daher vom Aussterben bedroht. 1992 entdeckten Mitarbeiter der Koordinationsstelle für Fledermausschutz Nordbayern im Rahmen eines Telemetrie-Projektes eine Wochenstube dieser seltenen Fledermäuse, die ihren Namen der auffällig geformten Nase verdanken. Diese Kolonie der Großen Hufeisennasen – es ist die letzte ihrer Art in Deutschland – liegt in einem unbewohnten Gebäudekomplex im oberpfälzischen Hohenburg.
Das Anwesen, welches die Tiere bezogen hatten, konnte zunächst durch die höhere Naturschutzbehörde der Regierung der Oberpfalz gepachtet werden. Als nächstes wurden die wichtigsten Winterquartiere durch Gitter geschützt, um Störungen und Verluste im Winterschlaf zu verhindern. Bis Ende der 1990er-Jahre konnte sich der Bestand leicht erholen, blieb aber immer noch sehr klein: Im Winter 2003 wurden insgesamt 37 Tiere gezählt. Nach dem Kauf des baufälligen Anwesens gelang in den Jahren 2009 bis 2011 mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket 2 der Bundesregierung eine Sanierung der Gebäude, die sich an den Bedürfnissen der Großen Hufeisennasen orientiert und zugleich deren Nutzung als Forschungsstation und Besucherzentrum für Naturfreunde ermöglicht. Für die Betreuung des so entstandenen „Fledermaushauses Hohenburg“ wurde beim Landschaftspflegeverband Amberg-Sulzbach die Stelle einer Gebietsbetreuung eingerichtet, die seither von Rudi Leitl mit großem Engagement eingenommen wird. Er betreut die mittlerweile als FFH-Gebiete gemeldeten Lebensräume der „Hufis“: das Gebäude mit der Wochenstube, die wichtigsten Winterquartiere sowie die bedeutendsten Nahrungshabitate im Umfeld des Fledermaushauses.
Ausbreitung in vormals genutzte Gebiete
Infolge dieser intensiven Bemühungen hat sich der Bestand der Großen Hufeisennase in Bayern in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht. Diese erfreuliche Entwicklung geht vermutlich in erster Linie auf die guten Bedingungen im fledermausgerecht sanierten Wochenstubenquartier zurück, die sich in einer gesteigerten Fortpflanzungsrate niederschlagen. Dazu kommt eine höhere Überlebensrate, die durch Verbesserungen der Lebensräume und den konsequenten Schutz der Winterquartiere im Truppenübungsplatz Hohenfels erreicht wurden. So hat die Große Hufeisennase nicht nur ihre Wochenstubenkolonie vergrößert, sondern konnte sich in den letzten Jahren auch wieder in ehemals von ihr genutzte Gebiete ausbreiten. Mittlerweile wurden überwinternde Tiere schon in mehr als 20 Höhlen des Oberpfälzer Juras sowie an bis zu 80 Kilometer entfernten Stellen nachgewiesen.
Mit der Zahl der Fledermäuse wächst auch ihr Bedarf an geeigneten Jagdrevieren. Daher gehört es zu den dringlichsten Aufgaben, die umliegende Landschaft zu optimieren und zugleich die Bevölkerung für die Belange der Fledermäuse zu sensibilisieren. Die nötigen Mittel beantragte der Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V. (LBV) mit Unterstützung der höheren Naturschutzbehörde der Regierung der Oberpfalz bei der EU-Kommission. Seit 2012 wird im Rahmen eines EU-finanzierten Life+-Projekts eine extensive Beweidung durch Rotes Höhenvieh gefördert. Die Rinder dieser alten Rasse werden von einem Bio-Landwirt zum Weiden in den „Hohenburger Hutanger“ getrieben. Dieser lichte Kiefernwald ist das ideale Jagdrevier für die Fledermäuse: In den Kuhfladen, die das Rotvieh dort hinterlässt, entwickeln sich Dung- und Mistkäfer sowie zahlreiche weitere Insekten. Sie bilden die Hauptnahrung der Großen Hufeisennasen, die mit ihrer sogenannten Wartenjagd an Zweigen hängend zu ihren Jagdflügen starten. Um das Insektenaufkommen weiter zu fördern, wurden zudem Obstbäume gepflanzt und lichte Waldbereiche geschaffen.
Neue Erkenntnisse über das Sozialleben der Fledermäuse
Entscheidend für die Erfolge zum Schutz der Großen Hufeisennase sind eine intensive Überwachung des Quartiergebäudes und ein kontinuierliches Monitoring dieser letzten Wochenstube in Deutschland. Sie sollen die Wirkung der Schutzbemühungen dokumentieren und neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Sozialleben dieser faszinierenden Fledermausart liefern. Bereits während der Sanierungsarbeiten im Winter 2009/10 wurden mehrere Infrarot-Kameras im Fledermaushaus installiert, darunter eine Webcam, deren Aufnahmen von interessierten Naturfreunden live im Internet angesehen werden können. Mittlerweile ist die technische Entwicklung solcher Aufnahmesysteme weit vorangeschritten. Daher hat man sich entschieden, die gesamte Anlage auf den neuesten Stand zu bringen. 2017 konnte mit Mitteln aus dem Bayerischen Biodiversitätsprogramm ein neues Kamerasystem angeschafft und eingebaut werden. Es besteht aus einer neuen Webcam sowie sieben weiteren Infrarot-Kameras samt Rekorder und Steuerelementen, die eine scharfe und fast hautnahe Beobachtung der Fledermäuse erlauben.
Das Kamerasystem erhöht die Attraktivität des Fledermaushauses für Besucher und verändert ihren Blick auf die Großen Hufeisennasen. Denn mehr noch als Fotografien beeindrucken die live übertragenen, bewegten Bilder dieser Tiere, die sich sonst in der Dunkelheit unserer Beobachtung entziehen. Neben ihrer immensen Bedeutung für die Öffentlichkeitsarbeit liefern die Filmaufnahmen auch wichtige Beiträge zur Sicherung und Erforschung der Großen Hufeisennasen. Über die Webcam kann jedermann ungewöhnliche Beobachtungen melden; tatsächlich wurde so das mitternächtliche Eindringen eines Siebenschläfers zu den schlafenden Fledermäusen festgehalten. Auch weitere Beutegreifer, die es auf die Hufeisennasen abgesehen haben, können mit Hilfe der Kameras besser überwacht und durch gezielte Gegenmaßnahmen abgewehrt werden.
Videokameras erlauben sensationelle Beobachtungen
Gebietsbetreuer Rudi Leitl führt darüber hinaus seit 2010 ein Tagesprotokoll über seine Beobachtungen. Darin sind detailliert alle Geburten sowie der weitere Werdegang der Jungtiere verzeichnet. Der umfangreiche Datensatz zeigt die Bestandsentwicklung der Kolonie, aber auch überraschende Erkenntnisse über die Biologie der „Hufis“: So brachten etwa die trächtigen Weibchen im außergewöhnlich heißen Sommer des Jahres 2018 ihre Jungen später – anstatt, wie man annehmen möchte früher – zur Welt. Der Grund: Offenbar gab es, bedingt durch die mit der Hitze einhergehende Trockenheit, weniger Insekten und damit nicht genug eiweißreiche Nahrung für eine fristgerechte Entwicklung der Fledermausembryonen. Eine weitere Sensationsbeobachtung gelang ebenfalls mithilfe der Videoüberwachung im Fledermaushaus: Laut Literatur müssen die Kleinen mindestens 16 Tage alt sein, bevor ihre ersten Flugversuche glücken. Rudi Leitl beobachtet dagegen einen erfolgreichen Flugversuch bereits bei einer erst 13 Tage alten Großen Hufeisennase. Die Kameras haben nun auch eine zweite Wimperfledermaus nachgewiesen.
In der Nachfolge des Life-Projektes wird Rudolf Leitl nun von Johannes Pirner unterstützt, der seit Juni 2018 als LBV-Gebietsbetreuer für das Fledermaushaus eingestellt wurde. Johannes Pirner übernimmt nun schwerpunktmäßig die Öffentlichkeitsarbeit und die Betreuung der Life-Flächen, während Rudolf Leitl sich um den unmittelbaren Schutz, das Monitoring und die Überwachung der aktuellen Ausbreitung kümmert.
Initiator:
Regierung der Oberpfalz
Träger:
Landschaftspflegeverband Amberg-Sulzbach e.V., Landesbund für Vogelschutz e.V.
Kooperationspartner:
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA)
Bundesforstbetrieb Hohenfels
Naturpark Hirschwald
Markt Hohenburg
Landkreis:
Amberg-Sulzbach
Ansprechpartner:
Johannes Pirner, Rudolf Leitl
Weitergehende Informationen
Interne Links
- Zur Übersicht der Projekte im Rahmen der bayerischen Biodiversitätsstrategie
- Zum Biodiversitätsprojekt Schmetterlinge in der Oberpfalz
Externe Links
Was ist biologische Vielfalt?
Biologische Vielfalt (Biodiversität) lebt auf vielen Ebenen: Die unterschiedliche genetische Ausstattung bestimmt die Vielfalt der Arten, die zusammen eine Vielzahl verschiedener Lebensräume besiedeln.
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