Rinder als Naturschützer: Beweidung erhält Artenvielfalt
Laufzeit: ab 2010
Die Hersbrucker Alb zählt zu den artenreichsten Landschaften Deutschlands. Die Mittelgebirgslandschaft im Osten Nürnbergs bietet mehr als tausend Pflanzen eine Heimat, darunter 147 auf der Roten Liste geführte Arten. Einen entscheidenden Anteil an dieser hohen Biodiversität haben die Hutanger. So nennt man jene besonders steilen, trockenen oder feuchten ehemaligen Allmende-Flächen, die nicht als Ackerland taugen und deshalb seit jeher als Rinderweiden dienten. Ihre Nutzung lässt sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen; einige der damals gepflanzten Eichen haben sich bis heute erhalten und geben dieser uralten, parkartigen Kulturlandschaft ihren unvergleichlichen Charme.
Bis in die 1960er-Jahre wurden die Hutanger nach alter Tradition mit Rindern beweidet, die von einem Gemeindehirten gehütet wurden. Seit der Aufgabe dieser Nutzungsform wachsen die Weideflächen immer mehr zu – auf Kosten zahlreicher ans Offenland angepasster Pflanzenarten. Noch existieren 120 teils kleine, verstreut liegende Hutanger im Landkreis Nürnberger Land, 93 von ihnen liegen in der Hersbrucker Alb und nehmen insgesamt rund 500 Hektar ein. 1985 riefen der Bezirk Mittelfranken zusammen mit der hiesigen Ortsgruppe des Bund Naturschutz in Bayern das „Hutangerprojekt“ ins Leben mit dem Ziel, die ehemaligen Weideflächen offen zu halten und zu vernetzen. Seit 1987 wird das Projekt vom Naturschutzzentrum Wengleinpark – einem eigenständigen Verein, der zugleich Ökostation des Bund Naturschutz ist – getragen. Von 2004 bis 2008 wurden, gefördert durch den Bayerischen Naturschutzfonds, alle Hutanger in der Hersbrucker Alb digital erfasst und erste Weideverbundstrukturen aufgebaut. Die aufwendige Pflege der Flächen betreibt derzeit der Landschaftspflegeverein Nürnberger Land e.V. Sie umfasst neben Entbuschungen vor allem die regelmäßige Mahd ausgewählter Flächen. Etwa 200 Hektar Hutanger werden von drei Wanderschäfern beweidet, weitere 130 Hektar dienen 15 Landwirten als Rinderweide.
Bekannt für seinen Artenreichtum: Das Obere Molsberger Tal
Auch im Naturschutzgebiet Oberes Molsberger Tal finden sich verschiedenste Biotope wie Streuobstwiesen, feuchte Talwiesen oder Blockschutthalden, die einst als Hutanger genutzt wurden. Sie beherbergen ihre eigenen Lebensgemeinschaften mit zahlreichen seltenen Tier- und Pflanzenarten. So lebt in den Blockschutthalden beispielsweise die Gewöhnliche Gebirgsschrecke, die es ansonsten nur in den Alpen gibt. Weil die meisten Hutanger abgelegen, klein und oft extrem steil sind, ist ihre Bewirtschaftung für die örtlichen Landwirte mühsam und unrentabel. Um die wertvollen Flächen dennoch offen zu halten, werden sie seit vielen Jahren unter hohem finanziellen Aufwand gemäht und entbuscht.
2010 hat das Naturschutzzentrum Wengleinpark wieder mit der Beweidung ausgewählter Hutanger begonnen. Das Projektgebiet umfasste neun Flächen von insgesamt elf Hektar und wurde zunächst von sechs Mutterkühen samt Kälbern beweidet. Sie gehören unserer kleinsten heimischen Rinderrasse an, den Hinterwälder Rindern; deren Kühe werden mit einem Bullen der Rasse Rotvieh gedeckt. Diese robusten und klettergewandten Tiere bewegen sich in den steilen Blockschutthalden ebenso sicher wie in sumpfigem oder ähnlich schwer zugänglichem Gelände. Die Kosten der Rinderbeweidung sollten – ebenso wie deren naturschutzfachlicher Nutzen – erfasst und mit den Kosten für entsprechende Pflegemaßnahmen verglichen werden. Die Anschubfinanzierung für Zäune, Tränken und weitere Weideeinrichtungen erfolgte im Rahmen eines Biodiversitätsprojektes durch die Bayerische Staatsregierung. Seit 2012 werden mit diesen Mitteln auch ein betriebswirtschaftliches Monitoring sowie die jährlichen floristischen und faunistischen Kartierungen ermöglicht.
Beweidung ist oft kostengünstiger als Mahd
Das Fazit der wissenschaftlichen Auswertung: Rinder sind überaus effektive Naturschützer. Wo 2009 noch mannshohe Brennnesseln neben diversen anderen Stauden und Neophyten wuchsen, steht heute wieder offenes Grünland und gibt seltenen Enzian- und Orchideen-Arten Raum und Luft zum Entfalten. Darüber hinaus verursacht die Beweidung an den schwer zugänglichen steilen Hangflächen deutlich weniger Kosten als die Mahd. Das ergeben die Analysen von Norbert Bleisteiner. Der Leiter der Landmaschinenschule Triesdorf hatte berechnet, wie hoch die zusätzlichen Ausgleichszahlungen für die Beweidung sein müssten, um den damit verbundenen Material- und Arbeitsaufwand zu decken. Dieselbe Rechnung machte er für die Mahd als technische Alternative auf.
Dabei wurden vier verschiedene Flächentypen verglichen: klassische Wiesen auf der Hochfläche, feuchte Wiesen im Tal, trockene Steilhänge, die wenig verbuscht und nicht befahrbar sind sowie feuchte Steilhänge, die verbuscht und ebenfalls nicht befahrbar sind. Die Auswahl der Flächen hatte Agraringenieur Rainer Wölfel vom Naturschutzzentrum Wengleinpark vorgenommen, der die Rinderherde seit Projektbeginn bis heute betreut. In die Kosten für die Beweidung gingen neben Aufbau und Wartung der Zäune auch die manuelle Nachpflege der Flächen ein; dazu kommen Ausgaben für Stallplätze, Futter und Arbeitseinsatz während des Winters sowie für Schlachtung, Verarbeitung und Vermarktung des Fleisches ein. Im Sommer fallen zusätzlich Kosten für die tägliche Tier- und Zaunkontrolle, den Wassertransport und das Umtreiben der Herde an.
Die erforderlichen Ausgleichszahlungen für die Beweidung fallen je nach Flächentyp unterschiedlich hoch aus. Auf größeren Parzellen ist die Beweidung generell kostengünstiger als auf kleinen Parzellen. Die absolute Höhe der Kosten ist nicht verallgemeinerbar. Dennoch ergeben sich aus der Studie generelle Erkenntnisse: Je schwieriger die Flächen zu pflegen sind, desto höher die Kosten für Mahd und für Beweidung. Wo nur per Hand gemäht und das Mähgut entfernt werden kann, sind die Rinder viel günstiger als der Mensch: Im Extremfall entstehen auf einer steilen, feuchten, schlecht erreichbaren Fläche pro Hektar 2.500 Euro für die Mahd, aber nur 1.200 Euro für die Beweidung. Auf gut erreichbaren, ebenen, trockenen Flächen, wo die Mahd mit Maschinen möglich ist, kostet sie mit 400 bis 500 Euro pro Hektar dagegen etwa gleich viel oder sogar geringfügig weniger als die Beweidung. In jedem Fall sind die aktuellen staatlichen Förderungen nicht kostendeckend – und zwar umso weniger, je schwieriger die Flächen zu pflegen sind. Einheitliche Flächenprämien werden den praktischen Anforderungen der Landschaftspflege durch Beweidung nicht gerecht.
Aus dem 2010 gestarteten Beweidungsprojekt hat das Naturschutzzentrum inzwischen einen landwirtschaftlichen Weidebetrieb mit mehr als 60 Tieren auf 85 Hektar eigener oder gepachteter Fläche entwickelt.
Initiator:
Regierung von Mittelfranken
Träger:
Naturschutzzentrum Wengleinpark e.V., Projektleiter Rainer Wölfel
Werkvertragsnehmer:
Naturschutzzentrum Wengleinpark e.V.
Kooperationspartner:
Bayerischer Naturschutzfonds
Gebietsbetreuer
Regierung von Mittelfranken
Landkreise:
Nürnberger Land
Ansprechpartner:
Dr. Stefan Böger, Regierung von Mittelfranken
Rainer Wölfel, Naturschutzzentrum Wengleinpark e.V.
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Was ist biologische Vielfalt?
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