Neue Hoffnung für Wintergrün – erstmals gelungene Kultur aus Samen
Laufzeit: 2016 bis 2018
Zwei Arten aus der Familie der Heidekrautgewächse gehören zu den seltensten Pflanzen Bayerns: das stark gefährdete Mittlere Wintergrün (Pyrola media) und das vom Aussterben bedrohte Dolden-Winterlieb (Chimaphila umbellata). Obwohl beide Arten langlebig sind und durch unterirdische Ausläufer Wuchsgruppen bilden, gehen die Bestände an den wenigen verbliebenen Vorkommen in Bayern zum Teil stark zurück. Aus noch unbekannten Gründen können sich Mittleres Wintergrün und Dolden-Winterlieb, die beide zur Unterfamilie der Fichtenspargelgewächse (Monotropoideae) zählen, nur selten oder gar nicht mehr generativ vermehren. Zwar bilden die Blüten noch Samen aus, doch keimen diese im Freiland größtenteils nicht aus oder die Jungpflanzen sterben ungesehen frühzeitig.
Die Ursachen liegen möglicherweise in der Bodenchemie der Standorte. Mit einem pH-Wert von 3 bis 4 sind die Böden extrem sauer und weisen einen geringen Kalkgehalt und somit eine deutlich geringere Basensättigung auf als vergleichbare Standorte. Die Ursachen für diese Versauerung sind vielfältig; neben saurem Regen und vermehrten Stickstoff-Einträgen und somit verstärkter Humusbildung, tragen auch veränderte Nutzungsformen bei der Waldbewirtschaftung wie etwa das Ausbleiben von Streurechen dazu bei. Dagegen wurden beispielsweise auf einer Versuchsfläche bei Neumarkt, auf der sich vier Wintergrün-Arten noch generativ vermehren, ein pH-Wert von 6 und eine Basensättigung von 99 % gemessen. Möglicherweise erschwert die Bodenchemie das Zusammenleben der Sämlinge mit geeigneten Pilzen. Diese sogenannten Mykorrhiza-Netzwerke versorgen als unentbehrliche Symbiose-Partner die auskeimenden Wintergrüngewächse mit lebenswichtigen Nährstoffen.
Ähnliche Symbiosen finden sich bei den Orchideen. Diese komplexe Partnerschaft mit spezifischen Pilzen hat die Kultivierung und Züchtung von Orchideen lange Zeit vereitelt und insbesondere ihre exotischen Vertreter aus Übersee zu begehrten Luxusartikeln gemacht. Inzwischen hat man dazugelernt und beherrscht die Kultivierung von Orchideen auf sterilen Nährmedien in industriellem Maßstab. Ein Forschungsprojekt des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) machte sich diese Kenntnisse für die Kultur der beiden Wintergrüngewächse zunutze. Der experimentelle Ansatz, der hier – vielleicht erstmals überhaupt – mit Erfolg erprobt wurde, eröffnet neue Möglichkeiten zur Stärkung der schutzbedürftigen Pyrola- und Chimaphila-Vorkommen in Bayern.
Aufzucht unter sterilen Bedingungen
Armin Wimmelbücker gelang es im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), die beiden Wintergrüngewächse in vitro aus Samen zu vermehren, und zwar ohne die im Freiland obligate Symbiose mit geeigneten Mykorrhiza-Pilzen. Stattdessen zog er die Samen unter sterilen Bedingungen in geschlossenen Gläsern auf Nährböden an – eine Methode, die sich bei Orchideen bewährt hat. Dazu suchte er in den Landkreisen Coburg, Forchheim, Kelheim, Neumarkt und Regensburg insgesamt sechs Vorkommen des Mittleren Wintergrün und des Dolden-Winterliebs auf, die noch ausreichend Samen produzierten. Dort sammelte er im Sommer 2016 weniger als zehn Prozent der Samen ab, um sie in vitro auszusäen. Tatsächlich zeigten sich von P. media nach 27 Tagen die ersten Keimlinge, von C. umbellata nach 37 Tagen. Die Keimrate lag bis zu 3 % (P. media) respektive 0,5 % (C. umbellata). Erfreulicherweise entwickelten sich rund ein Drittel (P. media) respektive zwei Drittel dieser Sämlinge (C. umbellata) weiter und bildeten ein Rhizom. Ein Teil der Sämlinge wurde in frisches Nährmedium umgelegt, ein Teil verblieb im alten Medium. Während die nicht umgelegten Sämlinge in ihrer Entwicklung stagnierten, bildete ein Großteil der übrigen Exemplare Seitenwurzeln und schließlich einen Spross mit Blättern.
Erfolgreiche Wiederausbringung ins Freiland
Ab März 2017 wurden die in vitro gezogenen Sämlinge an genau markierten Stellen in der Humusschicht einer Versuchsfläche und an den Wuchsorten der Mutterpflanzen in den Landkreisen Coburg, Forchheim, Neumarkt und Regensburg eingepflanzt. Die ersten Wiederausbringungsversuche begannen mit Sämlingen, die nur aus Wurzeln mit Seitenwurzeln bestanden. Insgesamt wurden 417 Pyrola-Sämlinge und 166 Chimaphila-Sämlinge, die im Wurzel-Stadium 10 bis 50 respektive 5 bis 20 Millimeter maßen, ausgepflanzt. Bis zum Herbst 2018 gab es keinen Nachweis auf eine Weiterentwicklung der Sämlinge im Wurzelstadium. Ab Juli 2017 wurden jeweils 12 weitere Sämlinge im Rhizom-Stadium, die in vitro bereits Blätter gebildet hatten, ausgebracht. Von diesen Sämlingen waren bei einem Kontrollbesuch im Januar 2018 noch je 9 Sämlinge jeder Art auffindbar; während sich die Rhizome von C. umbellata nicht weiterentwickelt hatten, war bei einigen Sämlingen von P. media jeweils ein weiteres kleines Blatt gewachsen.
Diese Ergebnisse sind ein großer Erfolg, denn sie zeigen, dass sich Sämlinge im Rhizom-Stadium relativ problemlos vom sterilen Kulturmedium ins Freiland ausbringen lassen und dort auch mehrere Monate überleben. Die Sämlinge zeigten sich robust gegenüber den natürlichen Umwelteinflüssen. Ob sie allerdings langfristig überleben, zu geschlechtsreifen Pflanzen heranwachsen und Samen bilden können, müssen weitere Beobachtungen zeigen.
Kulturversuche liefern wertvolle Erkenntnisse
2017, also noch während der Laufzeit des LfU-Projektes, begannen daher Vorbereitungen für ein ergänzendes Biodiversitätsprojekt. Mit wissenschaftlicher Unterstützung von Prof. Johannes Kollmann und seiner Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für Renaturierungsökologie der Technischen Universität München soll diese praxisbezogene Grundlagenforschung durch systematische Experimente weitergeführt werden. Dazu sollten in einer Versuchsserie die Überlebensraten und die Entwicklung von in vitro angezogenen und im Freiland ausgebrachten Keimlingen erforscht und Erkenntnisse über die Standortansprüche gewonnen werden.
Leider machte die extreme Trockenheit des Jahres 2018 diese Pläne größtenteils zunichte. P. media produzierte nur schlecht entwickelte Samenkapseln, aus denen in vitro nur ein einziger Same keimte und schließlich abstarb. Somit war der Ausbringungsversuch mit P. media hinfällig. Auch der Ausbringungsversuch mit C. umbellata scheiterte an der bereits im April herrschenden Trockenheit.
Immerhin konnten durch Kulturversuche an Sämlingen von Chimaphila umbellata und Pyrola media wertvolle neue Erkenntnisse über die Möglichkeit von Erhaltungskulturen für die beiden Arten gewonnen werden. So zeigte sich, dass sich das bereits im Kulturmedium beobachtete stärkere Wachstum von Pyrola media gegenüber Chimaphila umbellata auch im Freiland fortsetzt: Pyrola media bildete in der Vegetationsperiode pro Monat bestenfalls ein weiteres Blatt aus; dagegen bildete C. umbellata nur in den Monaten Mai und Juni neue Blätter aus.
Entsprechende Erfolgskontrollen sollen in den nächsten Jahren im Rahmen des Artenhilfsprogramms Botanik des LfU erfolgen. Parallel wird daran gearbeitet, die Keimungsökologie zu erforschen und die Ausbringungsmethoden zu verbessern. So soll eine effektive In vitro-Nachzucht von Jungpflanzen etabliert werden. Sie böte die Möglichkeit, die wenigen verbliebenen Vorkommen von Pyrola media und Chimaphila umbellata gezielt zu stützen und zu vermehren.
Ergebnisse bis 2021
Im Frühjahr 2021 wurden an die TU München und an den Botanischen Garten München jeweils 60 Chimaphila umbellata-Sämlinge für Kulturversuche abgegeben.
Im Freiland war von den 12, im Jahr 2018 im Rhizomstadium ausgebrachten Pyrola media-Sämlingen im Sommer 2021 noch einer am Leben.
In der Kultur bildete eine ebenfalls 2018 in natürliches Substrat gepflanzte Pyrola media-Pflanze 2021 erstmals einen Blütenstand und Samenkapseln aus. Bei Chimaphila umbellata aus dem Jahr 2018 war in der Kultur 2021 beim Austrieb wiederholt ein kontinuierlicher Zuwachs zu beobachtet. Es zeigt sich, dass sowohl Pyrola media wie auch Chimaphila umbellata relativ problemlos kultiviert werden können, wenn sie in der Kultur das erste Jahr überlebt haben. Bei Jungpflanzen liegt die Ausfallrate im ersten Jahr bei bis zu 80 %.
Die Ausbringungsversuche von Pyrola media und Chimaphila umbellata werden mit Pflanzen unterschiedlicher Größe an verschiedenen Standorten weitergeführt. Ziel ist es, mehr Informationen über geeignete Standorte für Wiederausbringungen zu erhalten.
Initiator:
Bayerisches Landesamt für Umwelt
Träger:
Bayerisches Landesamt für Umwelt
Werkvertragsnehmer:
Armin Wimmelbücker, AG Prof. Johannes Kollmann, TU München
Kooperationspartner:
Technische Universität München
Landkreise:
Coburg, Neumarkt, Kelheim, Forchheim, Regensburg
Ansprechpartner:
Marcel Ruff und Dr. Andreas Zehm, LfU
Weitergehende Informationen
Interne Links
Was ist biologische Vielfalt?
Biologische Vielfalt (Biodiversität) lebt auf vielen Ebenen: Die unterschiedliche genetische Ausstattung bestimmt die Vielfalt der Arten, die zusammen eine Vielzahl verschiedener Lebensräume besiedeln.
Mehr über die Biodiversität