Erasmus+ - Garten Europa
Pressemitteilung
Nr. 16/08
Erasmus+
Erasmus+ ist das Programm der Europäischen Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport. Es hat eine Laufzeit von sieben Jahren und ist europaweit mit einem Budget in Höhe von etwa 14,8 Milliarden Euro ausgestattet.
Erasmus+ löst das Programm für Lebenslanges Lernen ab (2007 bis 2013) und bündelt die bisherigen Programme der EU im Bereich der formalen und non-formalen Bildung. In seiner Laufzeit bis 2020 sollen mehr als 4 Millionen Menschen in Europa – insbesondere Schüler/-innen und Studierende, Auszubildende, Lehrkräfte und junge Freiwillige – Stipendien und Zuschüsse für einen Aufenthalt zu Lernzwecken im Ausland erhalten. Schulen können sich mit einer konkreten Projektidee und schon gefundenen Partnern um eine aus Erasmus+ Mitteln finanzierte „Strategische Schulpartnerschaft zur Förderung von Innovation und zum Austausch guter Praxis“ bewerben. In der Antragsrunde 2015 war das Rottmayr-Gymnasium eine von 123 Schulen aus ganz Deutschland, die als projektkoordinierende Schule einen Zuschlag von der EU erhielt.
Garten Europa
Das Rottmayr-Gymnasium und die ANL in Laufen organisieren eine Europäische Projektwoche mit Schülerinnen und Schülern aus 5 europäischen Ländern
„Freude schöner Götterfunken…“ tönte es europäisch vielstimmig mit Begleitung von Josef Heringers Ukulele vorletzten Dienstag im Laufener Welt-Garten. Gekommen waren Schülerinnen und Schüler aus Dänemark, Schweden, Frankreich, Italien und aus dem P-Seminar Erasmus+ des Rottmayr-Gymnasiums zum Workshop „International Gardening“, der von der ANL initiiert und organisiert wurde Die dahinterstehende Idee: Gemeinsame Gartenarbeit führt Menschen unterschiedlicher Kulturen ganz natürlich zusammen. Zusammen mit Bürgermeister Hans Feil montierten die Schüler die Informationstafel zum Welt-Garten. Unter der sachkundigen Anleitung von Josef Heringer ernteten sie Gemüse aller Art, sie pflanzten Erdbeeren und einen jungen Baum neben einem alten, sterbenden Baum, sie rodeten Haselnussstauden und bereiteten den Boden für neue Beete. Dabei zeigte der Botaniker Heringer mit seinem Wissen über Pflanzen und deren Herkunft alte Migrationsbeziehungen auf: „Der Brotzeitradi hat seinen Ursprung in Afghanistan. Die Kartoffeln kommen aus der Inkakultur in Mittelamerika“. In charmant-bairischem Englisch machte er den jungen Leuten aber auch klar, worum es hauptsächlich geht: Der Garten ist eine Metapher für etwas Wichtigeres und Größeres. „Wir brauchen auf der Welt beides: Kultur und Wildnis, wir brauchen nicht nur menschliche Ordnung, sondern auch Chaos, die Ordnung der Natur“.
Die Schüler erkannten: Gemeinsame Gartenarbeit ist beides, physische Anstrengung und spirituelle oder soziale Bereicherung. Und im Garten gehe es wie im Leben nicht nur um wirtschaftlichen Ertrag, sondern auch um Schönheit und Freude. „Jeder Garten braucht eine Rose“, so Heringer und ließ die duftende Blüte einer Rosa damascena bei seiner jugendlichen Zuhörerschaft herumgehen.
Mit Mark Twain und Friedrich Schiller im Gemüsegarten
„Er inspirierte uns alle mit seinem Wissen, seinem Humor, seiner Lebensfreude und seiner Philosophie“, kommentiert Per Hakansson, der schwedische Projektlehrer, den Workshop mit Heringer. Und eine dänische Schülerin meint: „Sepp ist sehr lustig und ernsthaft zugleich. Er wäre ein guter Lehrer geworden.“ So zitierte Heringer in Anspielung an frühere Zeiten auch Mark Twain: „Manchmal haben wir in der Schule etwas gelernt, aber meistens war es auf dem Weg zur Schule…“
Zwei weitere zeitgleich stattfindende Workshops im Haus der Berge in Berchtesgaden sowie in Zusammenarbeit mit der Initiative „Freilassing is(s)t interkulturell, vegan“ zeigten dem Rest der 27 jungen Gäste aus Europa weitere Facetten der sozialen Integration von Neuankömmlingen.
Am Vortag hatte die internationale Woche des Erasmus+Projekts Migration in Europe ihren Auftakt im Bildungszentrum der ANL in Laufen genommen. „Ziel des zweijährigen Projekts ist es zu verdeutlichen, dass Migration immer schon in sehr vielfältiger Weise die gemeinsame europäische Kulturgeschichte und Identität geprägt hat“, erläutert Thomas Stolz, Lehrer am Rottmayr-Gymnasium und Koordinator des Projekts. Das Projekt wurde bereits im Winter 2014/2015 von den beteiligten Projektschulen entworfen; in den zwei Jahren erstellen die Schüler ein Schulbuch, das die vielen Facetten von Migration aus den Bereichen Geschichte, Sprache, Literatur und Kultur zusammenfasst. „Damals wussten wir zwar, dass wir kein abseitiges Thema behandeln werden, aber die aktuelle Brisanz des Themas mit Fokussierung auf die Flüchtlingskrise hat sich erst nach Abgabe des Projektantrages ergeben“, erzählt Stolz. Ein weiteres Produkt des Projekts ist die Erstellung eines europäischen Dokumentarfilms „Stories of Migration“, in dem Menschen ihre ganz persönliche Migrationsgeschichte erzählen. Das Rottmayr-Gymnasium arbeitet hier auch mit dem Bayerischen Rundfunk als Partner zusammen. So trafen sich während der Woche die jungen Filmemacher mit zwei Journalisten des BR, um in einem ganztägigen Workshop das bisher gedrehte Material zu sichten und einen Regieplan bzw. ein Sendekonzept zu erstellen, das bei weiteren Projektreffen in Italien, Frankreich und Dänemark umgesetzt werden soll. Im Sommer 2017 wird dann der Film der Öffentlichkeit vorgestellt.
Neben den praktischen Projekttätigkeiten in Garten und Küche sowie zwei architekturhistorischen Stadtführungen in Salzburg („schönste Stadt Italiens nördlich der Alpen…“) bildete die historische Betrachtung der Migration im
20. Jahrhundert einen weiteren, nun eher theoretischen Schwerpunkt. In Kooperation mit Evelin Köstler und Cecilia Tites von der ANL in Laufen konnte der Migrationsforscher Professor Dr. Philip Anderson von der Hochschule Regensburg als Referent und Impulsgeber gewonnen werden. Während eines öffentlichen Vortragsabends stellten die Schülerinnen und Schüler zunächst die Grundidee dieses Erasmus+ Projekts sowie die Ergebnisse und Aktivitäten der Woche in Kurzfilmen und Präsentationen vor. Evelin Köstler von der ANL begründete in ihrer Begrüßung das Interesse der ANL an diesem Projekt: Migration habe auch immer schon Einfluss auf Landschaften, Architektur und Städtebau gehabt, zudem biete insbesondere Umwelterziehung Möglichkeiten zur sozialen Integration. Sie machte aber auch deutlich , dass ihr die internationale Ausrichtung dieses Projekts sehr viel Vergnügen bereite und die Arbeit der ANL bereichere. Schulleiter
Dr. Alfred Kotter vom Rottmayr-Gymnasium betonte in seiner Begrüßung die Notwendigkeit, dass sich die künftige Erwachsenengeneration mit dem wichtigen Thema Migration auseinandersetze, Migration heiße immer auch die Chance, von anderen zu lernen und dadurch innovativ zu bleiben. Er freue sich, dass sich diese Innovation auch in den vielen Aktivitäten dieses Schulprojekts widerspiegle.
Die Illusion von Begrenzung und Kontrolle
In seinem Vortrag beschrieb Migrationsforscher Anderson zunächst aus sozialwissenschaftlicher Sicht neue migrative Entwicklungen mit dem Begriff Transmigration. Während früher Migration zumeist mit Neuanfang auf Lebenszeit (Auswanderung in die USA) verbunden war, ergibt sich im 20. Jahrhundert das Phänomen der Transmigration, wo Menschen die Beziehungen zwischen Arbeits- und Heimat -bzw. Wohnregion aufrechterhalten.
Zugleich entstünden im 20. Jahrhundert zunehmend soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten auf nationaler wie globaler Ebene, für die die westlichen Industriestaaten mit ihren Konsumgesellschaften nachweislich die Hauptverantwortung trügen. An typisch deutschen Migrationsbiographien wie Willi Brandt, Bertolt Brecht und Thomas Mann (Konflikt zwischen Loyalität und Patriotismus, Verlust der Wurzeln, Sprachenproblem, Zugehörigkeitsgefühl) machte er die individuellen Konflikte vom Migranten deutlich.
In Bezug auf die gegenwärtige und zukünftige Lage gab Anderson ein flammendes Plädoyer für eine humanitäre Flüchtlingspolitik als einzige langfristig vernünftige Alternative ab. Es sei anachronistisch, zwischen politischen, ökonomischen, ökologischen oder biographischen Fluchtmotiven im Hinblick auf Anerkennung von Flüchtlingen zu unterscheiden. Die Festung Europa mit Abwehr der Flüchtlinge sei auf lange Sicht eine Illusion, Migrationsströme hätten sich noch nie in der Geschichte der Menschheit kontrollieren lassen. Das politische Europa gerate wegen eines Bürgerkriegs im Nahen Osten aus den Fugen, der sich bei gutem Willen aller Großmächte theoretisch politisch kurzfristig beherrschen lasse. Noch nicht erkannt sei jedoch das Millionenpotential von Flüchtlingen aus Afrika, deren Überleben in ihrer Heimat wegen der Folgen des Klimawandels unmöglich werde. Würde man hier auch von Wirtschaftsflüchtlingen sprechen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, das nur politisch und religiös Verfolgten zusteht, nicht jedoch ökologisch Geschädigten?
Zum Schluss plädierte er für mehr Gelassenheit und Weitblick in der Migrationsfrage, die sich bei kluger Politik nachweislich als Erfolg und Gewinn für ganz Europa herausstellen werde. Es sei aber natürlich auch nichts Neues, dass kluge Politik sich nicht immer demokratisch leicht verkaufen lasse. Flüchtlinge bräuchten eine Chance auf ein Sprungbrett in die Integration. Die USA hätten es im 19. Jahrhundert vorgemacht: „Erfolgreicher Migrant ist jeder, dem wir es erlauben und ermöglichen, einer von uns zu werden“, so Philip Anderson, „und es könnte auch ein Erfolg für Europa sein“.
Der bewegende Vortrag von Professor Anderson bietet immer noch Gesprächsstoff bei den Projektpartnern. Niels Bendiksen Green, Lehrer am dänischen Gladsaxe Gymnasium fasst die Woche so zusammen: „Schüler aus verschiedenen Kulturen mit ihren eigenen Erfahrungen und Denkweisen kamen hier zusammen. Am Ende standen eine gemeinsame Erkenntnis und einige gemeinsame Lösungen im Umgang mit Flüchtlingen. Dies zeigte sich auch durch den Vortrag von Prof. Anderson, der die Denkweisen vieler Schüler veränderte.“ Und eine Schülerin bringt es auf den Punkt: „Wir haben in diesen Tagen ein Stück gemeinsames Europa erlebt: Irgendwie schon anstrengend, aber interessant und schön.“
Die Dokumentation der Projektwoche sowie weitere Informationen zum Projekt sind auf der Webseite www.migration-in.eu in englischer Sprache verfügbar.
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