Die Achillesferse des Naturschutzes
(Helena Muschke) Ein interessantes Review von BENNETT et al. (2016) fordert mehr Wissen um sozialwissenschaftliche Methoden und die stärkere Integration der menschlichen Dimension in der Naturschutzarbeit. Die Studie zeigt, dass der Naturschutz über den Tellerrand der Naturwissenschaften hinaussehen muss und sich in sozialwissenschaftlicher Methodenkompetenz bilden sollte, um den Naturschutz zu effektivieren, Erfolge zu maximieren und Maßnahmen und Prozesse zu verbessern und zu vereinfachen. Bereits die Ausbildung zukünftiger Naturschützer sei vielfach zu naturwissenschaftlich fokussiert, während das Wissen um sozialwissenschaftliche Zusammenhänge, Methoden und Strategien kaum vermittelt werde.
Zu den Sozialwissenschaften zählen, neben Pädagogik und Psychologie, beispielsweise auch Politik-, Wirtschafts-, und Rechtswissenschaften. Naturschutz- und Umweltökonomie, Umwelt- und Naturschutzrecht sowie Naturschutzpolitik sind also Bereiche mit einem stark sozialwissenschaftlichen Hintergrund. Und dort werden die Grundsteine für erfolgreichen Naturschutz gelegt – meist von sozialwissenschaftlich ausgebildeten Leuten.
Erhebungsmethoden wie Fallstudien, vergleichende Analysen, Kosten-Nutzen-Analysen, Labor- und Feldversuche, partizipative Forschung, Szenarienplanung, historische Archivforschung, Geografische Informationssysteme, randomisierte Kontrollversuche und viele mehr kommen aus den Sozialwissenschaften. Es werden im Naturschutz also schon sozialwissenschaftliche Erhebungsmethoden genutzt und es existieren auch sozialwissenschaftliche Naturschutzforschungen, aber es fehlt stellenweise an Methodenkompetenz und oft am aktiven Einbinden der Ergebnisse in die Praxis (BENNETT et al. 2016).
Innovationen und Verbesserungen in der Forschung und im Naturschutz können nur dann entstehen, wenn immer neue Erkenntnisse über die Wirkmechanismen erzielt werden. Das können die Sozialwissenschaften also für den Naturschutz leisten (Bennett et al. 2016):
- Dokumentation und Beschreibung der Vielfalt von Naturschutzmaßnahmen, einschließlich historischer und aktueller Beispiele, Naturschutzplanungen, Entscheidungen und Verwaltungsprozesse zur Verbesserung, Vereinfachung und Beschleunigung dieser Maßnahmen.
- Verbesserung von Naturschutzmodellen und -maßnahmen: Warum sind Naturschutzmaßnahmen erfolgreich oder misslingen? Welcher Rahmen ist für die unterschiedlichen Maßnahmen und Prozesse sinnvoll und wann misslingen Maßnahmen aufgrund einer misslungenen Interaktion der Akteure.
- Erforschung menschlicher Annahmen hinsichtlich von Natur und Naturschutz, um herauszufinden, welche dieser Ansichtsweisen zu ethischem oder verantwortungsvollem Handeln führen.
- Verständnis darüber erlangen, wie unterschiedliche Kulturen oder Gruppierungen über Natur und Naturschutz denken. Dadurch können erfolgreichere Maßnahmen gefunden werden, welche sogar die Kultur berücksichtigen oder Zukunftsansichten miteinbeziehen.
- Aufdeckung systemischer Probleme auf der Ebene der Naturschutzeinrichtungen oder weltweiter Naturschutzorganisationen. Dies führt unter anderem auch zu mehr Transparenz und Fairness.
Die Sozialwissenschaften dürfen laut BENNETT et al. (2016) nicht als optionale Ergänzung angesehen werden, sondern müssen (zusammen mit den Naturwissenschaften) ein essenzieller Baustein für erfolgreichen und sich immer verbessernden Naturschutz sein. Die Integration sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse ist jedoch keine einfache Aufgabe. Die Kombination verschiedener sozialwissenschaftlicher Methoden ist notwendig, um alle Ebenen des menschlichen Handelns und Wahrnehmens bezüglich des Naturschutzes zu erfassen (BENNETT et al. 2016). Entsprechende Studienergebnisse könnten helfen, Naturschutzprojekte erfolgversprechend zu gestalten – nicht zuletzt zeigen sie Wege auf, die Gesellschaft wieder mehr für die Natur zu begeistern und die Bereitschaft zum Naturschutz zu erhöhen. Denn naturwissenschaftlich erhobene Fakten zu bedrohten Arten wecken allein nicht das Bedürfnis danach, die Natur zu schützen (JUNG 2015; DE HAAN & KUCKARTZ 1996). Erst die emotionale Bindung an die Natur führt dazu, dass sich Menschen auch für ihren Schutz einsetzen.
Mehr:
BENNETT, N. J. et al. (2016): Conservation social science – Understanding and integrating human dimensions to improve conservation. – Biological Conservation.
DE HAAN, G. & KUCKARTZ, U. (1998): Umweltbewußtseinsforschung und Umweltbildungsforschung – Stand, Trends, Ideen. – In: Umweltbildung und Umweltbewußtsein, VS Verlag für Sozialwissenschaften: 13–38.
JUNG, N. (Hrsg., 2015): Natur, Emotion, Bildung – vergessene Leidenschaft? – zum Spannungsfeld von Naturschutz und Umweltbildung. – Budrich UniPress.
Zeitschrift HOTSPOT 34/16: „Biodiversität in den Geisteswissenschaften“. – Diese Zeitschrift setzt sich aus verschiedenen Blickwinkeln sehr intensiv mit dem Thema auseinander.
Zitiervorschlag: Muschke, H. (2017): Die Achillesferse des Naturschutzes. – ANLiegen Natur 39/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/achillesferse_des_naturschutzes/.