Agrochemikalien verändern die Vegetation auch auf Feldrainen
(MO) Dünger, Herbizide und Insektizide landen meist nicht zu 100 % auf dem Acker, sondern teilweise auch auf der angrenzenden naturnahen Vegetation. Einige Pflanzenarten profitieren vom regelmäßigen Kontakt mit den Substanzen, andere werden zurückgedrängt oder verschwinden. In Kombination entfalten die Chemikalien andere Effekte als jede für sich allein und häufig zeigt sich das Ausmaß ihrer Wirkung erst mit zunehmender Expositionsdauer. Dies ergab eine experimentelle Feldstudie in Rheinland-Pfalz, bei der die Diversität auf allen mit Pestiziden und/oder Dünger behandelten Flächen laufend abnahm. Das Fazit der Studie: Die gängige Risikoanalyse von Agrochemikalien berücksichtigt diese komplexen Wechselwirkungen nicht und bietet daher keinen ausreichenden Schutz für natürliche Pflanzengesellschaften.
Feldraine stellen in intensiv bewirtschafteten Kulturlandschaften die Mehrzahl der verbliebenen naturnahen Habitate dar und zählen zu den letzten Rückzugsgebieten für zahlreiche Wildtiere und -pflanzen. Weil sie meist direkt an Äcker angrenzen, sind sie auch den dort ausgebrachten Agrochemikalien ausgesetzt. Dies umso mehr, als Feldraine in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern typischerweise nur 1 bis 2 m breit sind und daher nicht unter besonderem Schutz stehen. Denn Abstandsregelungen und Vorsichtsmaßnahmen beim Ausbringen von Agrochemikalien gelten nur für „Nicht-Zielgebiete“ ab einer Breite von 3 m. Deutsche Landwirte bringen in der Regel im Jahr etwa 200 kg mineralischen Stickstoff-Dünger pro Hektar auf ihren Äckern aus, dazu mindestens einmal pro Jahr je ein Herbizid und ein Insektizid. Aus früheren Studien ist bekannt, welcher Anteil dieser Agrochemikalien beim Versprühen im Abstand von 1 m neben den Feldkulturen niedergeht: Bei Düngemitteln beträgt der Input 25 % der pro Flächeneinheit bemessenen Menge, bei Pestiziden sogar rund 30 %.
Welche Folgen dieser massive Chemikalieneintrag auf die natürlichen Pflanzengesellschaften hat, untersuchte ein Team um Dr. Juliana Schmitz der Universität Koblenz-Landau auf einer extensiv bewirtschafteten Wiese mit typischer Molinio-Arrhenatheretea-Gesellschaft. Bei einer Bestandsaufnahme fanden die Umweltwissenschaftler dort 40 krautige Pflanzenarten und 14 Gräser. Anschließend maßen sie 64 quadratische Parzellen zu 8 mal 8 m mit jeweils 2 m Abstand voneinander aus und besprühten sie von 2010 an in drei aufeinanderfolgenden Jahren mit Agrochemikalien. Um möglichst praxisnahe Bedingungen zu simulieren, wie sie auch auf Feldrainen vorkommen, wählten sie häufig verwendete Chemikalienmarken und brachten diese zu den ortsüblichen Zeiten aus. Dazu verdünnten sie die Düngemittel auf 25 % und die beiden Pestizide auf 30 % der für Ackerflächen empfohlenen Menge und sprühten sie in einem zufällig ausgewählten Muster entweder einzeln oder in allen möglichen Kombinationen auf die Parzellen. Jede dieser 7 unterschiedlichen Behandlungsformen wurde auf 8 Parzellen wiederholt, unbehandelte Parzellen dienten als Kontrolle. Mit diesem sogenannten randomisierten Blockdesign konnten die Forscher sowohl individuelle als auch kombinierte Effekte der drei Agrochemikalien auf die exponierte Vegetation ermitteln. Dazu bestimmten sie jeweils Mitte Juni nach einer standardisierten Zählmethode die Häufigkeiten jeder Pflanzenart und dokumentierten Veränderungen innerhalb der dreijährigen Versuchsdauer.
Die wichtigsten Ergebnisse: Die durchschnittlichen Häufigkeiten der meisten Arten verschoben sich im Laufe der Zeit infolge der Behandlung mit den Agrochemikalien. Bei einigen Arten waren bereits im 1. Jahr nach Studienbeginn messbare Effekte zu sehen, nach drei Jahren traf dies schon auf 20 der 26 am häufigsten vertretenen Arten zu. Allerdings fielen die Reaktionen einzelner Spezies sehr unterschiedlich aus. Auf den ausschließlich gedüngten Flächen wurden nur 2 Arten häufiger, 15 dagegen seltener gezählt als vor Versuchsbeginn. Auf den ausschließlich mit Herbiziden behandelten Flächen profitierte nur eine Art; dagegen gingen 12 Arten zurück, 3 von ihnen verschwanden sogar fast vollständig (Gras-Sternmiere Stellaria graminea, Ruchgras Anthoxanthum odoratum und der auf der Vorwarnliste der Roten Liste stehende Zottige Klappertopf Rhinanthus alectorolophus).
Weitere Arten könnten womöglich stärker betroffen sein als ihre Häufigkeit vermuten lässt. „Viele Blätter in den herbizidexponierten Flächen waren gelb oder braun verfärbt“, schreiben die Autoren und schließen daraus, dass die betroffenen Pflanzen „vermutlich anfälliger sind gegen natürlichen Stress“. Das volle Ausmaß der Schadwirkung von Herbiziden stellte sich erst nach mehrjährigem Einsatz ein: So setzten eine Platterbse (Lathyrus pratensis), die Zaun-Wicke (Vicia sepium) und der Scharfe Hahnenfuß (Ranunculus acris) auf den herbizidbehandelten Flächen weniger Blüten an und produzierten entsprechend weniger Samen als auf unbehandelten Kontrollflächen. Wiederholt sich dieser Effekt über mehrere Jahre, ist eine Abnahme der Populationsgröße unausweichlich.
Von dem Insektizid alleine ließen sich nur zwei Pflanzenarten beeinflussen. Die Gras-Sternmiere profitierte von dem Wirkstoff, einem Pyrethroid mit abschreckender, aber nicht tödlicher Wirkung auf Insekten: Das mehrjährige Nelkengewächs mit den weißen Blütensternen war schon im 1. Jahr nach der Behandlung fast viermal so häufig wie zuvor und erreichte auch in den Folgejahren ähnliche Zuwachsraten. Dagegen ging der Wiesen-Fuchsschwanz Alopecurus pratensis unter dem Einfluss des Insektizids deutlich zurück. Für diesen Effekt gibt es derzeit keine Erklärung. Möglicherweise, so spekulieren die Autoren, unterhält die zu den Süßgräsern zählende Pflanze eine symbiotische Beziehung zu bestimmten Gliederfüßern, die durch Pyrethroide gestört wird. Eines zeigen diese gegensätzlichen Ergebnisse jedenfalls ganz eindeutig – wie fragwürdig Verallgemeinerungen sind. Denn man kann davon ausgehen, dass nicht nur die Reaktion verschiedener Pflanzenarten auf dasselbe Pestizid variiert, sondern auch die Wirkung verschiedener Pestizide auf dieselbe Pflanzenart.
Zwei oder mehr Agrochemikalien können sich in ihrer Wirkung beeinflussen. So blieb zum Beispiel der hemmende Effekt von Dünger auf den Rohr-Schwingel (Festuca arundinacea), das Rote Straußgras (Agrostis capillaris), Gamander-Ehrenpreis (Veronica chamaedrys) und Spitzwegerich (Plantago lanceolata) aus, wenn gleichzeitig das Herbizid zum Einsatz kam. Allerdings können sich bestimmte Effekte auch addieren: So wurden Gundermann (Glechoma hederacea), Zaun-Wicke und Zottiger Klappertopf bei kombinierter Behandlung mit Dünger und Herbizid stärker zurückgedrängt als beim separaten Kontakt mit den Substanzen. Wenn sich die Häufigkeiten einzelner Spezies verändert, verschiebt sich zwangsläufig auch die Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften. Das Ausmaß dieser Veränderung stieg im Verlauf der Studie stetig an. Umgekehrt nahm die Diversität auf allen Testquadraten, die mit Pestiziden und/oder Dünger behandelt wurden, gegenüber den Kontrollflächen laufend ab. „Es ist anzunehmen, dass diese Effekte mit jedem Jahr, in welchem Agrochemikalien zum Einsatz kommen, deutlicher hervortreten, bis die robustesten und am wenigsten empfindlichen Arten die Pflanzengesellschaft dominieren“, schreiben die Autoren. Daraus ziehen sie den Schluss, dass die Auswirkungen von Herbiziden auf Häufigkeit und Vermehrungsfähigkeit bestimmter Pflanzenarten durch kurzfristig angelegte Untersuchungen unterschätzt werden.
Schmale Feldraine sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz ähnlichen Belastungen ausgesetzt wie die gezielt behandelten Parzellen der zuvor extensiv bewirtschafteten Wiese. Man muss davon ausgehen, dass der Eintrag von Agrochemikalien unter realen Bedingungen schon seit fünf bis sechs Jahrzehnten andauert – und die dadurch verursachten Veränderungen deutlich weiter fortgeschritten sind als in der Feldstudie. Die Autoren kritisieren, dass die gängige Praxis der Risikobetrachtung von Herbiziden starke Mängel aufweist: Sie berücksichtigt weder die Langzeitwirkungen insbesondere auf die Reproduktionsfähigkeit exponierter Pflanzen, noch die Wechselwirkungen gleichzeitig eingebrachter Agrochemikalien. Das Fazit der Forscher: Die herkömmlichen Instrumente zur Risikoabschätzung bieten keinen ausreichenden Schutz für die natürlichen Pflanzengesellschaften auf Feldrainen und müssen dringend überarbeitet werden.
Mehr:
Schmitz, J., Hahn, M. & Brühl, C. (2014): Agrochemicals in field margins – An experimental field study to assess the impacts of pesticides and fertilizers on a natural plant community. – Agriculture, Ecosystems and Environment 193: 60–69; www.dx.doi.org/10.1016/j.agee.2014.04.025.
Schmitz, J. (2014): Assessing the effects of pesticides and fertilizers on a natural plant community of a field margin: An experimental field study. – Dissertation, Universität Koblenz-Landau; https://kola.opus.hbz-nrw.de/frontdoor/index/index/docId/877.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2015): Agrochemikalien verändern die Vegetation auch auf Feldrainen. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/agrochemikalien/.