„Barcoding Fauna Bavarica“: eine genetische Inventur der bayerischen Tierwelt
(MO) In Bayern leben rund 35.000 unterschiedliche Tierarten. Sie alle sollen anhand genetischer Merkmale identifiziert werden – vom stattlichen Steinbock bis zur mikroskopisch kleinen Milbe. Das ehrgeizige Projekt wurde unter dem Namen „Barcoding Fauna Bavarica“ von der Zoologischen Staatssammlung München initiiert. Langfristig sollen sämtliche in ganz Deutschland heimischen Tiere, Pilze und Pflanzen erfasst werden. Mit einem neuen Internetauftritt stellen die beteiligten Wissenschaftler ihre Arbeit der interessierten Öffentlichkeit vor.
Vanilleeis oder Spinat? Was der Kunde im Supermarkt kauft, will an der Kasse niemand im Detail wissen. Ein Strichcode auf der Verpackung zeigt ja zweifelsfrei an, um welches Produkt es sich handelt und wieviel es kostet. Das Einscannen der Ware spart Zeit und vermeidet Fehler. Diese beiden Vorzüge können nun auch Wissenschaftler bei der Bestimmung von Organismen nutzen. Denn ein Forscher-Team der Zoologischen Staatssammlung München hat ein System mitentwickelt, das Tiere, Pilze und Pflanzen mittels einer Art Strichcode (englisch: Barcode) schnell und zuverlässig der richtigen Art zuordnen kann. Die entscheidende Vorarbeit dazu hat die Natur geleistet. Denn sie hat jedes Lebewesen mit einem individuellen Code in Form von DNA ausgestattet. Um nicht das gesamte Erbgut einer jeden Art analysieren zu müssen, beschränken sich die Wissenschaftler auf kleine Abschnitte bestimmter Gene, die in jedem Organismus vorkommen, aber artspezifische Unterschiede aufweisen. Manche Genabschnitte eignen sich besonders gut zur Charakterisierung von Tieren, andere von Pilzen oder Pflanzen. Die Abfolge der DNA-Bausteine in diesen Marker-Genen lässt sich wie ein Barcode nutzen und ermöglicht die Identifizierung bekannter Arten, aber auch die Entdeckung und Klassifizierung neuer Arten.
Um festzulegen, welcher Barcode für welche Art steht, braucht es Referenzen. Ob Steinbock, Schlüsselblume oder Pfifferling: Jede Spezies muss durch sogenannte Voucher-Exemplare aus Haut und Haaren respektive Blatt und Blüte oder Stil und Hut vertreten sein. Diese leibhaftigen Vouchers, deren Artzugehörigkeit zuvor von Biologen auf herkömmliche Weise anhand körperlicher Merkmale festgelegt wurde, dienen als Vergleichsmaßstab für alle anderen Mitglieder ihrer Art. Sie werden mit einer eindeutigen ID versehen, routinemäßig fotografiert und in einer öffentlich zugänglichen Sammlung aufbewahrt. Zusammen mit Informationen zum Fundort, Datum, Sammler und weiteren Informationen wandert das Foto in eine Datenbank namens „Barcode of Life Data Systems“, kurz BOLD.
Einen entscheidenden Beitrag zur Anlage und kontinuierlichen Befüllung der BOLD-Datenbank leistet die Zoologische Staatssammlung in München. Deren Leiter, Prof. Dr. Gerhard Haszprunar, betont: „Wir sind stolz darauf, dass wir von Anfang an dabei waren und heute zu den führenden Top 2 der Probenlieferanten zählen. Das gilt insbesondere für die Insektenwelt; wir haben insgesamt über 200.000 Proben in die internationale globale Datenbank eingespeist – nicht zuletzt aufgrund unserer großen Sammlungen im Haus, die wir auf insgesamt 25 Millionen Objekte beziffern.“ Bereits 2009 hat Haszprunars Team damit begonnen, die gesamte bayerische Fauna genetisch zu charakterisieren und damit eine bayerische Bibliothek des Lebens aufzubauen. Unter dem Titel „German Barcode of Life“ wurde das Projekt zusammen mit dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn und einigen weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen auf ganz Deutschland ausgedehnt; neben Tieren werden derzeit auch immer mehr Pilze und Pflanzen erfasst.
Da viele Arten in Deutschland bereits sehr selten geworden oder ganz ausgestorben sind, nutzen die Forscher auch Material aus Tschechien, den Südalpen oder anderen Regionen Mitteleuropas. So konnten sie inzwischen auch viele Arten einbeziehen, die aktuell in Bayern oder Deutschland nicht mehr nachzuweisen sind. Auch solche Spezies, die infolge des Klimawandels von benachbarten Ländern aus neu nach Deutschland einwandern, sollen im Barcoding erfasst werden. Besonderes Augenmerk wird auf die ökologisch und ökonomisch wichtigen und naturschutzfachlich relevanten Tiergruppen wie Wirbeltiere, Tagfalter, die Makrofauna der Gewässer sowie blütenbestäubende Schmetterlinge, Käfer und Wildbienen und insbesondere „Rote-Liste-Arten“ gelegt.
Die Münchner Forscher kooperieren eng mit dem kanadischen Projekt iBOL (International Barcode of Life), dessen Leiter Paul Hebert in Kanada ein großes Analyselabor aufgebaut hat. Dort werden mit Hilfe modernster Sequenzierroboter Genproben aus aller Welt im Minutentakt aufgearbeitet und die für das Barcoding relevanten DNA-Abschnitte schnell und kostengünstig entziffert. Kleinste Haut-, Haar- oder Gewebeproben reichen für eine Analyse aus; bei Insekten wird gewöhnlich nur ein Bein untersucht, so dass das übrige Tier weiterhin als Beleg in der Sammlung verbleiben kann. Auch Eier und Larven von Insekten oder unscheinbare Arten, die mit konventionellen Methoden bisher nicht oder schwer bestimmbar waren, lassen sich mit diesem Verfahren eindeutig identifizieren.
Das DNA-Barcoding eröffnet viele praktische Anwendungsmöglichkeiten. So können etwa Schadinsekten bereits in frühen Entwicklungsstadien erkannt und bekämpft werden. So geschehen bei der Kirschessigfliege Drosophila suzukii, die sich neuerdings in Süddeutschland ausbreitet: Der aus Südostasien eingeschleppte Schädling wurde im Rahmen des „Barcoding-Projektes“ erstmals in Deutschland nachgewiesen. Ein weiteres exotisches Insekt – es hatte sich unter der Haut einer aus Tibet heimgekehrten Urlauberin eingenistet – entpuppte sich via DNA-Barcoding als Larve einer harmlosen Yak-Dasselfliege. Entwarnung brachte eine DNA-Analyse auch im Falle einer Käferlarve, die sich am Hals eines Münchner Babys festgebissen hatte; sie stammte vom – ebenfalls ungefährlichen – Bienenkäfer. In weiteren Projekten bauen die Münchener Biologen eine Datenbank mit Zootieren auf und untersuchen Fisch- und Fleischproben im Rahmen der Lebensmittelkontrolle. Außerdem sind sie dabei, eine Referenzbibliothek für forensisch bedeutende Insekten wie Aaskäfer oder Schmeißfliegen zu schaffen. Denn deren Maden besiedeln tote Körper – darunter auch menschliche Leichname – zu unterschiedlichen Zeiten und können daher Informationen über den Todeszeitpunkt liefern. Um die merkmalsarmen Larvenstadien eindeutig zu bestimmen, muss man bislang noch abwarten, bis sie zu erwachsenen Käfern oder Fliegen herangewachsen sind. Mittels DNA-Barcoding lassen sich nun schon die Maden binnen 24 Stunden zweifelsfrei identifizieren.
Diese und viele weitere Aspekte der praktischen Anwendung sind auf dem neuen Internetportal www.barcoding-zsm.de beschrieben, das seit Mitte Februar für die Öffentlichkeit eingerichtet wurde. Es informiert in anschaulicher und übersichtlicher Form darüber, was das Münchner Barcoding-Team schon erreicht hat und was es sich für die Zukunft vorgenommen hat. „Unsere Idee war, dass wir die vielen Daten – Fundorte, Fotos, genetische Sequenzen – nach und nach online stellen und mit Informationen zu unseren Sammlungen verbinden“, erklärt Dr. Stefan Schmidt, der in der Zoologischen Staatssammlung die Hymenopteren (Bienen, Wespen und Ameisen) betreut. Zusammen mit seinen Kollegen hat er dazu beigetragen, dass mittlerweile mehr als 16.000 bayerische Tierarten genetisch bestimmt werden konnten. „Selbst wir Biologen können uns ja kaum mehr recht vorstellen, was hinter dieser abstrakten Zahl steckt. Deshalb wollen wir die ungeheure Vielfalt dieser Lebewesen besser sichtbar machen – zum Beispiel mit Fotos aus unseren Sammlungsbeständen. Außerdem wollen wir den Leuten erklären, wozu das Barcoding gut ist und wie es funktioniert, denn das ist ja schon ein bisschen kompliziert“, sagt Schmidt und lädt alle interessierten Bürger ein: „Klicken Sie sich durch unsere neuen Seiten und staunen Sie über den Reichtum an Lebensformen, die hier in unserem Land leben!“
Mehr:
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2016): „Barcoding Fauna Bavarica“: eine genetische Inventur der bayerischen Tierwelt. – ANLiegen Natur 38/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/barcoding/.