In Bayern neu entdeckt: die Alpen-Barrenringelnatter
(Monika Offenberger) Wissenschaftler der Zoologischen Staatssammlung München haben in mehreren bayerischen Landkreisen Exemplare der Alpen-Barrenringelnatter identifiziert. Bislang war diese Schlange, die der gewöhnlichen Ringelnatter sehr ähnlich sieht, nur aus den Südalpen bekannt. Fotonachweise und Genanalysen belegen nun bislang unentdeckte Vorkommen in der nördlichen Alpenregion. Wie weit die Art in Bayern verbreitet ist und ob Kreuzungen mit der lokal sympatrisch vorkommenden Ringelnatter stattfinden, müssen weitere Untersuchungen zeigen.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass in Bayern eine neue Wirbeltierart entdeckt wird. Ein Team von Forschern der Zoologischen Staatssammlung München und des Bayerischen Landesamts für Umwelt konnte nun den sicheren Nachweis erbringen, dass die Alpen-Barrenringelnatter auch in der bayerischen Alpenregion heimisch ist. Damit steigt die Zahl der im Freistaat nachgewiesenen Kriechtiere von neun auf zehn Arten an: Neben fünf Echsenarten – Blindschleiche, Berg-, Mauer-, Smaragd- und Zauneidechse – beherbergt Bayern also auch fünf Schlangenspezies: Kreuzotter, Äskulap-, Alpen-Barrenringel-, Ringel- und Schlingnatter. „Es ist erstaunlich, dass diese große Schlange so lange übersehen wurde“, sagt Dr. Frank Glaw, Leiter der Sektion für Amphibien und Reptilien an der Zoologischen Staatssammlung München und Erstautor der wissenschaftlichen Publikation zum Nachweis von Natrix helvetica spp. nördlich der Alpen.
Erste Hinweise auf ungewöhnliche Ringelnattern lieferte bereits vor rund zehn Jahren der inzwischen verstorbene Schlangenkenner Wolfgang Völkl: Bei der Kartierung von Kreuzottern fielen ihm im Isarwinkel Tiere mit auffällig kleinen Nackenflecken und starker Barrenzeichnung auf. Ähnliche Beobachtungen von ungewöhnlich gefärbten Ringelnattern machten in den Folgejahren auch Amateurforscher am Walchensee. „Das ist ein sehr variables Merkmal. Es gilt zwar als typisch für die Barrenringelnattern, ist aber bei den bayerischen Tieren oft nur undeutlich ausgeprägt und eignet sich deshalb nicht gut zur Unterscheidung von gewöhnlichen Ringelnattern“, erklärt Koautor Michael Franzen von der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM). Tatsächlich hatte sich schon bei früheren Untersuchungen durch Kollegen aus Dresden gezeigt, dass die Barrenringelnatter als Art selbst nicht homogen ist. Die Barrenringelnatter im engeren Sinn – ihr wissenschaftlicher Name lautet Natrix helvetica helvetica – kommt in Frankreich und in Deutschland westlich des Rheins vor, hat aber Unterarten auf Korsika, Sardinien sowie im mittleren und südlichen Italien. „Daneben gibt es noch eine Linie, die bisher nur aus den Südalpen und deren Vorland bekannt war“, sagt Michael Franzen.
Um Sicherheit über die Artzugehörigkeit der ungewöhnlichen Funde zu erlangen, ließen die ZSM-Forscher das mitochondriale Cytochrom-b-Gen aus Haut- und Gewebeproben von insgesamt 14 Individuen sequenzieren. Als Probenmaterial dienten Häutungen, Verkehrsopfer sowie Alkoholpräparate aus dem Bestand der Zoologischen Staatssammlung sowie Abstriche aus den Kloaken von lebend gefangenen Schlangen. Dr. Carolin Kindler kombinierte die neuen DNA-Sequenzen mit einem Teil ihres umfangreichen Datensatzes, den sie am Staatlichen Museum für Naturkunde in Dresden im Rahmen ihrer Doktorarbeit bei Prof. Uwe Fritz zusammengetragen hatte. Ergebnis: Die Hälfte der untersuchten Individuen erwiesen sich als gewöhnliche Ringelnattern Natrix natrix, von der es in Bayern ebenfalls zwei genetisch unterscheidbare Linien gibt. Beide Linien waren in den Proben vertreten: Die meisten Exemplare gehören der „gelben Linie“ an, die vor allem im Westen und Norden Bayerns zu finden ist. Ein Individuum erwies sich als Vertreter der „roten Linie“, die in Deutschland vor allem in Sachsen und im Südosten Bayerns vorkommt. Interessanterweise leben im Münchner Stadtteil Obermenzing Ringelnattern der „roten“ und „gelben“ Linie am selben Fundort.
Die übrigen sieben Exemplare erwiesen sich als Barrenringelnattern. Allerdings unterscheiden sich diese bayerischen Individuen deutlich von Vertretern der westlichen Linie, wie sie im Rheinland und in Frankreich vorkommen. „Tatsächlich handelt es sich um eine Form der Barrenringelnatter, die hauptsächlich aus den Alpen bekannt ist und deshalb finden wir den Namen Alpen-Barrenringelnatter passend“, betont Frank Glaw. An fünf Fundstellen im bayerischen Alpenraum gelang den Forschern ihr Nachweis, namentlich in Garmisch-Partenkirchen, im Inntal bei Brannenburg und Kiefersfelden, am Riedboden und in der Isar-Aue südlich Mittenwald sowie in Sachrang-Grenzhub. Der Fundort bei Sachrang liegt direkt an der Grenze zu Tirol/Österreich, weitere Fundstellen in den Landkreisen Garmisch-Partenkirchen und Rosenheim nur wenige Kilometer entfernt von der Landesgrenze. Alle Schlangen wurden in Höhenlagen zwischen 460 und 940 Meter über dem Meer gefunden. „Die mitochondrialen Sequenzen vom südlichen und nördlichen Alpenrand sind fast identisch. Deshalb vermuten wir, dass die Alpen-Barrenringelnatter nach der letzten Eiszeit aus Norditalien, wahrscheinlich über den Brenner- oder Reschenpass und durch das Inntal bis nach Bayern eingewandert ist“, erklärt Michael Franzen. Der Herpetologe hält es für wahrscheinlich, dass in Bayern auch außerhalb der sicher belegten Fundorte weitere Populationen von Natrix helvetica vorkommen.
Noch bleiben viele Fragen zur Verbreitung, genetischen Identität und ökologischen Einnischung der bayerischen Alpen-Barrenringelnatter. Derzeit untersucht Marlene Oefele im Rahmen ihrer Masterarbeit die morphologische Variabilität bayerischer Ringelnattern anhand der zahlreichen Exemplare aus der Zoologischen Staatsammlung. Um weitere Fragen klären zu können, bitten die Autoren im Rahmen eines Citizen-Science-Projekts alle Bürgerinnen und Bürger um Mithilfe: Sie sind aufgerufen, Fotos von Ringelnattern aus dem Allgäu, der Alpenregion Oberbayerns und der Main-Region in Unterfranken mit möglichst genauen Angaben zum Fundort unter der E-Mail-Adresse ringelnatter@snsb.de zu schicken. Wer sich in der Lage sieht, tote Schlangen und Häute aufzuheben und bei Bedarf – allerdings nie ohne vorherige Rücksprache! – an die Zoologische Staatssammlung München zu schicken, kann damit einen wichtigen Beitrag zur späteren genetischen Identifizierung der Schlangen leisten.
Mehr:
GLAW, F., FRANZEN, M., OEFELE, M. et al. (2019): Genetischer Erstnachweis, Verbreitung und südalpine Herkunft der Barrenringelnatter (Natrix helvetica spp.) in Bayern. – Zeitschrift für Feldherpetologie 26(1):1–20.
KINDLER, C. M., CHÈVRE, M., URSENBACHER, S. et al. (2017): Hybridization patterns in two contact zones of grass snakes reveal a new Central European snake species. – Scientific Reports 7: 73–78.
KINDLER, C. M. & FRITZ, U. (2018): Phylogeography and taxonomy of the barred grass snake (Natrix helvetica), with a discussion of the subspecies category in zoology. – Vertebrate Zoology 68: 253–267.
Offenberger, M. (2020): In Bayern neu entdeckt: die Alpen-Barrenringelnatter. – ANLiegen Natur 42/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/barrenringelnatter/.
Zum Volltext-Download:
ANLiegen Natur 42/1 (2020): 4 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,8 MB).
Vielen Dank für den tollen Bericht. Ich selbst hatte vor zwei Tagen ein wunderschönes Exemplar im Keller – es hatte sich dorthin verirrt. Als Nicht-Profi würde ich bei „meiner“ jedoch vermuten, dass es eine Kreuzung aus Barren- und Ringelnatter war (anhand des Musters). Aber derartiges kann nur ein Experte sicher sagen. Nach einem guten Tag gelang übrigens der stressfreie und schonende Fang. In einem nahe gelegenem Landschaftsschutzgebiet am Ortsrand konnte ich sie dann wieder der Natur übergeben. Tolle Tiere, auch wenn ich (trotz der friedliebenden Art der Ringelnattern) immer etwas deutlichen Respekt vor Schlangen habe…
Sehr geehrter Herr Reisner,
wenn Sie Fotos gemacht haben, dann fragen Sie doch Herrn Dr. Glaw von der Zoologischen Staatssammlung um seine Expertenmeinung. Wenn er ihren Fund bestätigt, dann melden Sie ihren Fund doch bitte dem Landesamt für Umwelt mit entsprechendem Fotonachweis im Rahmen der Artenschutzkartierung (ASK):
https://www.lfu.bayern.de/natur/artenschutzkartierung/index.htm
Hier ist jeder Fundpunkt ein wichtiger Hinweis.
Vielen Dank!