Zu den Umweltschäden künstlicher Beschneiung
(MO) Ein umfangreicher Report der Gesellschaft für ökologische Forschung
und des BUND Naturschutz in Bayern stellt das Ausmaß und die Folgen der künstlichen Beschneiung in den Alpen dar. Unter dem Titel “Der gekaufte Winter“ setzen sich die Autoren kritisch mit den Akteuren der Beschneiungsindustrie auseinander, beschreiben die Auswirkungen für die alpine Tier- und Pflanzenwelt und fordern eine politische Kehrtwende.
„Winter und Skifahren – das sind zwei Zauberworte, die zusammengehören – und als solche ein Versprechen“, schreiben Sylvia Hamberger und Alex Doering im Prolog zur erweiterten Ausgabe ihrer bereits im April 2015 vorgelegten Bilanz der künstlichen Beschneiung. Dieses Versprechen lässt sich in Zeiten des Klimawandels immer schwerer einlösen. Denn die globale Erwärmung stellt mit dem Ausbleiben von Schneefällen und Frosttagen die „Schneesicherheit“ in den Wintersportgebieten infrage.
Statt sich auf den Wandel einzustellen und zukunftsfähige Konzepte für einen umweltschonenden Wintertourismus zu entwickeln, werde mit allen Mitteln am Schneezirkus festgehalten, kritisieren Hamberger und Doering. Welche Dimensionen dieses Geschäft mit dem Kunstschnee schon angenommen hat, belegen sie anhand von Zahlen, die sie oft durch bildhafte Vergleiche verdeutlichen. Im bayerischen Alpenraum beträgt die Pistenfläche derzeit 3700 Hektar. Ein Viertel davon – gut 888 Hektar – können künstlich beschneit werden. „Das bedeutet, dass alle Schneekanonen im Freistaat eine 30 Meter breite Autobahn auf einer Länge von 296 Kilometern mit Schnee belegen könnten. Das entspricht der Autobahn von München nach Karlsruhe“, rechnen die Autoren vor.
So geht es weiter mit einer Fülle von Daten und Fakten, entnommen aus wissenschaftlichen Studien, Tagungsberichten, Behördenpublikationen, Zeitungsbeiträgen, parlamentarischen Anfragen und vielen weiteren Quellen, die im umfangreichen Literaturverzeichnis eingesehen oder direkt im Text über Internetlinks abgerufen werden können. Zunächst wird erklärt, wie Kunstschnee erzeugt wird, welche Zusätze er enthält, wie die unterschiedlichen Beschneiungssysteme funktionieren und welche Baumaßnahmen für deren Installation, Betrieb und Wartung erforderlich sind – und was das alles kostet. Eines der insgesamt 15 Kapitel behandelt den Energieverbrauch, ein weiteres den Wasserbedarf der künstlichen Beschneiung. Hier eine Kostprobe: „Bei den derzeitigen klimatischen Verhältnissen in den Alpen werden für die Vollbeschneiung einer Piste von einem Hektar (Grundbeschneiung plus die nötigen Nachbeschneiungen) im Durchschnitt etwa 4.000 Kubikmeter Wasser verbraucht. Die Beschneiungen von circa 70.000 Hektar Pistenflächen im Alpenraum benötigen nach diesen Voraussetzungen also 280 Millionen Kubikmeter Wasser (280 Milliarden Liter). Zum Vergleich: Der jährliche Wasserverbrauch der Millionenstadt München liegt im Jahr 2012 bei 92 Millionen Kubikmeter“.
Die Eingriffe haben beträchtliche Folgen für die Pflanzen, Tiere und Lebensräume unserer Bergwelt. Durch die Baumaßnahmen zur Installation von Beschneisystemen wird Bergwald gerodet, Moore und Almflächen müssen den Speicherbecken weichen; weitere alpine Vegetation und Biotope werden im Zuge der Bauarbeiten auch neben den eigentlichen Pisten abgeschoben, verschüttet, überlagert, entwässert und von tonnenschweren Baufahrzeugen überrollt. „Rekultivierungsmaßnahmen verändern gravierend die Artenvielfalt hin zu einer unspezifischen, nicht mehr durch den Standort und seine Geschichte entstandenen Begrünung: In den Hochlagen scheitern sie ganz“, heißt es in dem Bericht. Auch Tiere sind betroffen: So verlassen etwa Wald-, Raufuß- und Sperlingskäuze die künstlich beschneiten Reviere vollständig, wie eine Studie des Landesamts für Umwelt belegt.
Zudem entsteht durch den Bau von Beschneiungsanlagen vegetationsfreier Boden, der nur langsam durch Pflanzen wiederbesiedelt wird und besonders erosionsgefährdet ist. „Versuche in den französischen und italienischen Alpen haben ergeben, dass Skipisten, die dauerhaft von Kunstschnee bedeckt und nächtlich planiert werden, bis 20 cm Tiefe nicht mehr durchdringbar sind, während natürliche Böden bis weit über 50 cm durchdringbar bleiben“ schreiben die Autoren, und weiter: „Während Wasser innerhalb von 5 bis 10 Minuten in einen natürlichen Boden einsickert, kann es auf einer Skipiste mehr als 1 ½ Stunden dauern“. Somit kommen zu den direkten Kosten für Energie und Wasser noch die indirekten Aufwendungen, die für die technische Abwehr und Behebung von Erosions- und Hochwasserschäden anfallen.
Anschließend erfährt der Leser, wer das alles bezahlt, wer am Geschäft mit dem Schnee verdient und welche Rolle Wintersport-Großveranstaltungen spielen. Beide Autoren engagieren sich seit Jahrzehnten für den Schutz der Bergwelt: Sylvia Hamberger, Diplom-Biologin und Mitbegründerin der Gesellschaft für ökologische Forschung (GöF) in München, hat die viel beachteten Ausstellungen und Begleitbücher der GöF „Schöne neue Alpen“ und „Gletscher im Treibhaus“ mitgestaltet. Axel Doering, Revierförster a.D. in Garmisch und erklärter Gegner der Olympiabewerbung 1992, ist unter anderem Vizepräsident von CIPRA Deutschland, der Internationalen Kommission zum Schutz der Alpen. Die Autoren belassen es nicht dabei, bloße Fakten aufzuzeigen. Vielmehr beziehen sie eindeutig Position gegen den „Industriekomplex Kunstschnee“ und seinen Profiteuren, angefangen von den großen Planungs‐ und Gutachterbüros über die Hersteller von Schneekanonen und Beschneiungsanlagen bis hin zu den Bau‐ und Stromkonzernen sowie den kapitalkräftigen Skigebietsbetreibern und Investoren.
Kritisch hinterfragt wird auch die Förderung durch den Bayerischen Staat: Allein für Beschneiungsanlagen für Spitzensport und Trainingsstützpunkte – namentlich in Garmisch-Partenkirchen, Oberjoch/Bad Hindelang, Ruhpolding sowie am Jenner und Götschen in Berchtesgaden – sind seit 2009 insgesamt 18 Millionen Euro bewilligt und größtenteils ausgezahlt worden. Der zugleich gut recherchierte aber auch wertende Bericht mündet in der Forderung der Autoren, solche Subventionen für Schneekanonen in den bayerischen Skigebieten sofort einzustellen und stattdessen ein Tourismuskonzept für die bayerischen Berge und Mittelgebirge auszuarbeiten, das ohne den „gekauften Winter“ mit all seinen schädlichen Folgen für Pflanzen, Tiere und Menschen auskommt.
Mehr:
HAMBERGER, S. & DOERING, A. (2015): Der gekaufte Winter – Eine Bilanz der künstlichen Beschneiung in den Alpen. Gesellschaft für ökologische Forschung und BUND Naturschutz in Bayern BN, 123 S.
Weitere Informationen und Fotos zum Thema finden sich auf den Internetseiten der Gesellschaft für ökologische Forschung: www.goef.de/kunstschnee.
ISELI, G. (2015): Künstliche Beschneiung in der Schweiz – Ausmaß und Auswirkungen, Forschungsarbeit an der Universität Bern, 51 S.; mountainwilderness.ch/fileadmin/user_upload/pdf/kommunikation/aktuell/2015/2015_Iseli_Kuenstliche_Beschneiung_01.pdf
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2016): „Zu den Umweltschäden künstlicher Beschneiung“ – ANLiegen Natur 38/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/beschneiung/.