Hohes Biodiversitätsbewusstsein in der Land- und Forstwirtschaft: Wie eine Trendwende beim Biodiversitätsschutz gelingen kann
(Marion Mehring, Nadine Leichter) Land- und Forstwirt:innen in Deutschland haben in ihrer Mehrheit ein ausgeprägtes Problembewusstsein für den Verlust der Artenvielfalt und möchten einen Beitrag zum Schutz der Biodiversität leisten. Bei der Umsetzung von Maßnahmen sehen sie sich jedoch hohen Hürden gegenüber. Das zeigt die Studie „Zielvorstellung Biodiversität – Biodiversitätsbewusstsein in der Land- und Forstwirtschaft“, für die rund 500 Landwirt:innen und 500 Forstwirt:innen befragt wurden.
Die biologische Vielfalt ist auch in Deutschland stark zurückgegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig, als eine der Hauptursachen gilt jedoch eine nicht nachhaltige Landnutzung. Etwa 50 % der Flächennutzung in Deutschland entfallen auf Landwirtschaft und knapp 30 % auf Wälder. Land- und Forstwirt:innen sind deshalb zentral für den Wandel hin zu einer biodiversitätsfreundlichen Bewirtschaftung von Äckern, Wiesen und Wäldern. Aber wie ist die Haltung von Land- und Forstwirt:innen gegenüber Biodiversitätsschutz, wie ihr Wissen um Artenvielfalt und welche Werte sind für sie handlungsleitend? Hier setzt die von der BMBF(Bundesministerium für Bildung und Forschung)-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) in Auftrag gegebene und vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) durchgeführte Studie an. Die Studie zeigt neben repräsentativen Einstellungen auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Land- und Forstwirtschaft für ein biodiversitätsfreundliches Handeln auf.
Problembewusst und handlungsbereit
Der Studie zufolge haben 83 % der Befragten in der Forstwirtschaft (FWS) und 67 % in der Landwirtschaft (LWS) ein hohes Problembewusstsein bezüglich des Rückgangs der biologischen Vielfalt, die Mehrheit fühlt sich persönlich dafür verantwortlich, einen Beitrag zum Biodiversitätsschutz zu leisten (81 % FWS, 85 % LWS). Allerdings gibt es auch eine relevante Gruppe, die sich bei dem Thema überfordert fühlt (45 % FWS, 24 % LWS). 87 % der Landwirt:innen sind frustriert darüber, dass ihnen die Ursachenverantwortung für den Biodiversitätsverlust zugeschrieben wird. In beiden Gruppen zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem Biodiversitätsbewusstsein und der Bewertung von Ökosystemleistungen – das sind die Leistungen, die die Natur kostenfrei bereitstellt: Wer einen hohen Nutzen in der Biodiversität sieht, hat auch ein höheres Bewusstsein für den Erhalt der Artenvielfalt. Die Befragung zeigt zudem deutlich, dass Land- und Forstwirt:innen eine hohe intrinsische Motivation haben, zum Schutz der biologischen Vielfalt beizutragen.
Akteure besser in Umwelt- und Biodiversitätsschutz einbeziehen
Schwierigkeiten bei der Umsetzung biodiversitätsfördernder Maßnahmen sind vor allem praktischer Art und nicht etwa Zweifel an der Sinnhaftigkeit. 92 % beider Gruppen gaben an, bereits Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität im eigenen Betrieb umgesetzt zu haben. Eine Mehrheit zeigt sich jedoch unzufrieden und berichtet über einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten. Konkrete Hemmnisse sehen die Befragten in der fehlenden Flexibilität der Maßnahmen oder einem zu hohen Dokumentationsaufwand. Eine weitere Hürde liegt in der Sorge vor möglichen Schäden und Nachteilen – Biodiversität wird in der Befragung auch als Risiko in Form von Schädlingsbefall wahrgenommen.
Ein besseres Verständnis von den Motiven und Herausforderungen der Akteure gegenüber Biodiversität hilft, um Land- und Forstwirt:innen künftig zielgerichtet in den Umwelt- und Biodiversitätsschutz einbeziehen zu können. Dafür ist eine zielgruppenspezifische Ansprache notwendig. Die Studie „Zielvorstellung Biodiversität“ unterscheidet anhand des Biodiversitätsbewusstseins, der Bewertung des Nutzens von Ökosystemleistungen sowie der Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten fünf (LWS) beziehungsweise vier (FWS) Gruppen.
Die relativ kleine Gruppe der „wenig Überzeugten“ in Land- als auch in Forstwirtschaft (15 % LWS, 10 % FWS) hat ein niedriges Biodiversitätsbewusstsein, das die Hauptbarriere für den Biodiversitätsschutz darstellt. Die verhältnismäßig große Gruppe mit hohem Biodiversitätsbewusstsein ist dagegen grundlegend ansprechbarer für Biodiversitätsschutz und lässt sich anhand anderer, empirisch untersuchter Barrieren weiter unterteilen: Die „Zurückhaltenden“ (16 % LWS, 44 % FWS) sehen nicht nur den Nutzen, sondern auch potenzielle Risiken der Biodiversität und berichten von einem Mangel an Handlungsmöglichkeiten. Die „Vorsichtigen“, die es mit 10 % nur in der Landwirtschaft gibt, eint die Sorge vor Risiken der Biodiversität, einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten sehen sie dagegen eher nicht. Die „Handlungsbereiten“ wiederum erleben vor allem einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten, während die Risiken eher kein Problem für sie darstellen (31 % LWS, 28 % FWS). Zudem identifiziert die Studie die Gruppe der „Überzeugten“ (26 % LWS, 17 % FWS). Sie haben ein hohes Biodiversitätsbewusstsein und sehen weder die Risiken von Biodiversität noch fehlende Handlungsmöglichkeiten als Barriere für den Biodiversitätsschutz.
Für eine zielgruppenspezifische Ansprache legt die Studie nahe, die „wenig Überzeugten“ mit der gezielten Vermittlung von Vorteilen, die Beteiligung am Biodiversitätsschutz bietet, für deren Schutz zu gewinnen. Die „Zurückhaltenden“ spreche man mit dem Abbau der Sorgen vor möglichen Risiken an. Die „Vorsichtigen“ sollten mit Hilfe von Best Practice-Beispielen unterstützt werden und den „Handlungsbereiten“ sollte ermöglicht werden, Barrieren bei der Maßnahmenergreifung abzubauen. Die Gruppe der „Überzeugten“ kann wiederum aufgrund ihrer Expertise und Erfahrungen aktiv angesprochen werden, um diese auch mit anderen Beteiligten teilen zu können. Um eine Trendwende für die Artenvielfalt zu erreichen, braucht es ein breites Engagement und neue Bündnisse zwischen allen beteiligten Akteuren. Die Studie zeigt auf, wie dies über die Entwicklung gemeinsamer Zielvorstellungen auf der Grundlage von geteilter Motivation für den Schutz der Biodiversität gelingen kann.
Mehr:
MEHRING, M., Naomi Bi, Brietzke, A., Götz, K., Gross, V., Mosbrugger, V., Sprenger, P., Stein, M., Stieß, E., Sunderer, G. & Taffner, J. (2023): Zielvorstellung Biodiversität – Biodiversitätsbewusstsein in der Land- und Forstwirtschaft. – Konzeptentwicklung und Ergebnisse einer standardisierten Befragung in Deutschland, ISOE-Materialien Soziale Ökologie 72, Frankfurt am Main; https://isoe-publikationen.de/fileadmin/redaktion/ISOE-Reihen/msoe/msoe-72-isoe-2023.pdf.
Autorinnen
Dr. Marion Mehring
Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Frankfurt am Main,
und Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum SBiK-F, Frankfurt am Main
+49 69 7076919-39
mehring@isoe.de
Nadine Leichter
Zentrale Koordination der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) an der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt am Main
Marion Mehring, Nadine Leichter (2024): Hohes Biodiversitätsbewusstsein in der Land- und Forstwirtschaft: Wie eine Trendwende beim Biodiversitätsschutz gelingen kann. – Anliegen Natur 46/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/biodiv-land-forstwirtsch/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Mensch und Natur:
Anliegen Natur 46/2 (2024): 2 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,3 MB).