Biodiversitätsschäden erkennen – BfN-Studie hilft die Erheblichkeit festzustellen
(Wolfgang Peters, George-Alexander Koukakis) Skript 393 des Bundesamtes für Naturschutz zeigt ein schrittweises Verfahren auf, anhand welcher Kriterien festgestellt werden kann, ob ein Biodiversitätsschaden entsprechend dem Umweltschadensgesetz vorliegt. Es werden Ansätze vorgestellt, wie die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung bestimmt werden kann.
Das auf europäische Vorgaben zurückgehende Umweltschadensgesetz (USchadG) statuiert eine öffentlich-rechtliche, grundsätzlich verschuldensunabhängige Haftung für Schädigungen von europäisch geschützten Arten und Natura 2000-Lebensraumtypen. Unter dem Begriff des „Biodiversitätsschadens“ ist jede Veränderung von Beständen geschützter Arten und Lebensräumen (LRT) zu verstehen, die „erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands dieser Lebensräume oder Arten hat“ (§ 19 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz [BNatschG]). Der Begriff der Erheblichkeit ist zentral für den Vollzug des USchadG, zumal er einerseits erst die sich aus dem USchadG ergebenden Vermeidungs- und vor allem Sanierungsverpflichtungen auslöst, andererseits ein tatbestandliches Korrektiv darstellt, um unwesentliche Fälle von der Haftung auszuschließen. Das BNatSchG verweist zur Bestimmung der Erheblichkeit auf die im Anhang I zur Richtlinie 2004/35/EG teils quantitativen, teils qualitativen Merkmale, die jedoch keinen konkreten Maßstab nennen. Der Vollzug des Umweltschadensgesetzes erfordert daher Methoden und Maßstäbe zur Bewertung der Erheblichkeit von Schadensereignissen.
Im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz wurde jetzt eine Methodik zur Bewertung der Erheblichkeit von Biodiversitätsschäden entwickelt und veröffentlicht (PETERS et al. 2015). Die in der vorgeschlagenen Methodik erarbeiteten Bewertungsmaßstäbe orientieren sich an den etablierten Prüfinstrumenten des europäischen Gebiets- und Artenschutzes und den im gleichen Kontext entwickelten Maßstäben. Sie zielen darauf ab, die auf europäischem Naturschutzrecht beruhenden Prüfinstrumente zu harmonisieren, zumal eine Verzahnung der jeweils zugrundeliegenden europäischen naturschutzrechtlichen Instrumente festgestellt werden kann.
Eingebettet sind die Maßstäbe in eine aus den rechtlichen Vorgaben des USchadG abgeleitete pragmatische Abfolge von Prüfschritten. Erst wenn ein haftungspflichtiger Schaden nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann, ist die Erheblichkeit von Schadensereignissen detailliert zu prüfen und gegebenenfalls anhand konkreter Erheblichkeitsmaßstäbe zu bewerten. Als Orientierung für die durchzuführenden Schritte dient das nachfolgende schematische Prüfprogramm, das im BfN-Skript ausführlich beschrieben wird.
Es bietet sich an, zunächst die Kriterien nach § 19 Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG abzuprüfen, anhand derer das Eintreten der Rechtsfolgen eines Umweltschadens vorab relativ einfach ausgeschlossen werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die nachteiligen Veränderungen
- natürlichen Ursprungs oder
- Folge der „normalen“, früheren Bewirtschaftung sind oder
- wenn sie aufgrund vorheriger Zulassung der Beeinträchtigung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG von der Haftung freigestellt werden.
Trifft keines der Kriterien zu, ist zu prüfen, ob eine Erheblichkeit der nachteiligen Veränderungen ausgeschlossen werden kann, weil
- der Umfang der die nachteiligen Veränderungen unterhalb einer Bagatellschwelle liegt oder
- die nachteiligen Veränderungen sich in kurzer Zeit von selbst regenerieren.
Erst wenn auch diese Kriterien nicht zutreffen, muss in eine detaillierte Erheblichkeitsbewertung eingestiegen werden. Die Regelbeispiele für eine fehlende Erheblichkeit in § 19 Abs. 5 S. 2 BNatSchG können je nach Fallgestaltung als Bewertungshilfe dienen.
Zentrale Kriterien sind die Bedeutung des betroffenen Bestandes und das konkrete Ausmaß der nachteiligen Veränderung. Bezogen auf diese Kriterien wird die Vorgehensweise der Detailprüfung in dem Bewertungsansatz je nach Fallkonstellation angepasst:
- Betroffenheit von Arten und LRT innerhalb von Natura 2000-Gebieten,
- Betroffenheit LRT außerhalb von Natura 2000-Gebieten,
- Tötung von Individuen/Mortalität von Arten außerhalb von Natura 2000-Gebieten.
Anhand von 13 (fiktiven) Fallbeispielen wird der gestufte Bewertungsansatz beispielhaft angewendet und vorgestellt, was als Biodiversitätsschaden einzustufen wäre.
Erste Hinweise für die Praxis
Aufgrund der sich als Rechtsfolge ergebenden Sanierungspflichten, erfordert der Vollzug des Umweltschadensgesetzes eine zuverlässige Bewertung der Erheblichkeit der nachteiligen Auswirkungen von Schadensereignissen auf den Erhaltungszustand der betroffenen Arten oder Natura 2000-Lebensraumtypen. Voraussetzung ist eine ausreichende Datengrundlage, um die nachteiligen Veränderungen und Auswirkungen so präzise wie möglich zu bestimmen. Vor einer detaillierten Bewertung der Erheblichkeit sollte – aus pragmatischen Gründen – geprüft werden, ob ein Biodiversitätsschaden oder die Haftungspflichtigkeit nicht bereits vorab aufgrund der rechtlich vorgegebenen Kriterien offensichtlich und definitiv ausgeschlossen werden kann.
Insbesondere die Bewertung der Erheblichkeit von Schadensereignissen außerhalb von Natura 2000-Gebieten ist komplex. Es muss zwischen der Bewertung der Erheblichkeit der nachteiligen Veränderungen bei Lebensraumtypen, bei Habitaten geschützter Arten und bei einer Tötung von Individuen geschützter Arten differenziert werden. Die Bewertung der Erheblichkeit der Auswirkungen von Veränderungen von Lebensraumtypen oder Habitaten ist unter anderem unter Berücksichtigung des Ausmaßes der nachteiligen Veränderungen sowie der Bedeutung des betroffenen Bestands vorzunehmen. Bei Tötungen von Individuen geschützter Arten sind einerseits Kriterien heranzuziehen, die sich auf die konkrete Art beziehen und andererseits solche, die die Habitatfunktionen betreffen.
Mehr:
PETERS, W., JAHNS-LÜTTMANN, U., WULFERT, K., KOUKAKIS, G.-A., LÜTTMANN, J. & GÖTZE, R. (2015): Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung. – BfN-Skripten 393; www.bfn.de/0502_skriptliste.html.
PETERS, W., KOUKAKIS,G.-A., JAHNS-LÜTTMANN, U., LÜTTMANN, J., WULFERT, K. & BERNOTAT, D. (2015): Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung – Ein Methodenvorschlag. – Naturschutz und Landschaftsplanung 46(3): 77-85.
PETERS, W., GÖTZE, R. KOUKAKIS, G.-A. (2014) Bewertung und Bewältigung erheblicher Biodiversitätsschäden und deren Verhältnis zur Eingriffsregelung. – Natur und Landschaft 89(1): 2-6.
Zitiervorschlag: Peters, W. & Koukakis G.-A. (2015): Biodiversitätsschäden erkennen – BfN-Studie hilft die Erheblichkeit festzustellen. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/biodiversitaetsschaeden.