Blau-grüne Infrastruktur stärkt die regionale Biodiversität
(Monika Offenberger) Wie lässt sich die Lebensqualität im urbanen Raum steigern und zugleich geeigneter Lebensraum für gefährdete Tiere schaffen? Zwei Studien im Umkreis von Zürich und Berlin untersuchen mit unterschiedlichen Methoden die Bedürfnisse von Amphibien und Fledermäusen und leiten daraus Empfehlungen für die Stadt- und Landschaftsplanung ab. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Anlage und Erhaltung blau-grüner-Infrastrukturelemente; blau steht für aquatisch, grün für terrestrisch.
Zwei aktuelle Studien nutzen unterschiedliche Ansätze, um das Potenzial von dicht besiedelten Gebieten als Lebensraum für Wildtiere abzuschätzen und daraus Empfehlungen für die strategische Stadt- und Landschaftsplanung abzuleiten. In Städten wird das Vorkommen gefährdeter Arten deutlich seltener durch systematische Kartierungen und Monitorings erfasst als in Schutzgebieten und im ländlichen Raum. Eine Schweizer Arbeitsgruppe um Giulia Donati versucht diese „blinden Flecke“ durch informierte, räumliche Interpolierung anderswo erhobener Daten zu füllen (DONATI et al. 2022). Am Beispiel von zehn Amphibienarten – Feuersalamander (Salamandra salamandra), Gelbbauchunke (Bombina variegata), Geburtshelfer- und Erdkröte (Alytes obstetricans, Bufo bufo), Laub- und Grasfrosch (Hyla arborea, Rana temporaria) sowie Berg-, Faden-, Teich- und Kammmolch (Ichthyosaura alpestris, Lissotriton helveticus, L. vulgaris, Triturus cristatus) glich Donati dokumentierte Vorkommen jeder Art in den Kantonen Aargau und Zürich mit hochaufgelösten Umweltdaten zur Topografie, Hydrologie, Vegetation und Landnutzung ab. Aus den integrierten Datensätzen erstellte sie mittels verschiedener Berechnungsmodelle eine „Lebensraum-Eignungskarte für Amphibien“: Diese erlaubt Vorhersagen darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich bestimmte Orte als Lebensräume für die betrachteten Amphibien eignen – und wo es besonders dringend Korridore zur Vernetzung geeigneter Habitate braucht. „Wir modellieren also die Eignung von urbanen Gebieten, von denen wir keine beobachteten Amphibienvorkommen haben, mit Hilfe bekannter Vorkommen aus anderen Gebieten. Denn wenn wir wissen, wo eine Art lebt und sich wohlfühlt, können wir daraus folgern, dass sie auch an ähnlichen Orten mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit leben könnte“, erklärt Koautorin Janine Bolliger das Prinzip dieser Vorgehensweise.
Im Untersuchungsgebiet des Schweizer Mittellandes sind Waldränder, feuchte Waldlebensräume, feuchtes Ackerland sowie Uferzonen wichtige ökologische Korridore. In urban geprägten Gebieten identifizierten die Forschenden zudem Bereiche, in denen blau-grüne Infrastrukturelemente angelegt werden sollten. Dies würde im Untersuchungsgebiet wesentlich zur Vernetzung naturnaher oder weitgehend natürlicher Lebensräume beitragen. Dieser großskalige Ansatz mit Lebensraumeignungskarten öffnet den Blick auf „das große Ganze“ und erlaubt eine räumliche Priorisierung auf für die Zielarten besonders lebensunfreundliche Gebiete im Siedlungsraum. Mit systematisch platzierten blau-grünen Infrastrukturen ließe sich nicht nur die regionale Biodiversität stärken, sondern auch zahlreiche weitere Ökosystemfunktionen optimieren. Denn diese tragen wesentlich zur Hochwasservorsorge und Kühlung unserer Städte bei, die infolge des Klimawandels künftig vermehrt von Wetterextremen heimgesucht werden. „Die Bedeutung von Grün- und Wasserflächen dringt erst sehr langsam in die Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Politik vor. Unser Ansatz bietet die Möglichkeit, die Bedürfnisse der in Städten lebenden Menschen sinnvoll mit der Vernetzung von Lebensräumen zu kombinieren.“, betont Janine Bolliger und appelliert an regionale und lokale Akteure – von staatlichen Umweltbehörden bis hin zu lokalen Stadtplanern –, sich besser auszutauschen und verstärkt zusammenzuarbeiten.
Im Projekt „Fledermausforscher in Berlin“ identifizierte eine Arbeitsgruppe am Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung ebenfalls für Wildtiere geeignete Lebensräume, jedoch mit einem gänzlich anderen Ansatz: Sie holte sich Unterstützung von mehr als 200 Bürgerinnen und Bürgern der Stadt (LEWANZIK et al. 2022). Diese „citizen scientists“ nahmen über einen Zeitraum von zwei Jahren im Großraum Berlin an 60 definierten Transsekten mit je 10 Messstellen bis zu sechsmal kurz nach Sonnenuntergang mit einem Bat-Recorder art- oder gattungsspezifische Fledermauslaute auf. Die Transsekte wurden entlang von Gradienten unterschiedlicher Oberflächenstrukturen wie Dichte der Bebauung oder Bepflanzung sowie Entfernung zu Gewässern gewählt. Durch einen Abgleich mit den Zeit- und GPS-Daten ließ sich die Einhaltung des Studiendesigns durch die Mitwirkenden kontrollieren. So gelang es, für einzelne Arten (Zwerg-, Mücken- und Rauhautfledermaus) oder Artengruppen (Mausohren und Glattnasen) die bevorzugten und nicht bevorzugten Landschaftsmerkmale zu ermitteln. Dies zeigt, dass trotz der vielen negativen Auswirkungen der Urbanisierung auf die heimische Flora und Fauna auch mitten in einer Millionenstadt vitale Fledermauspopulationen leben können, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: Künstliche Lichtquellen sollten auf ein Minimum reduziert werden, da sie das Vorkommen aller Arten beeinträchtigen, besonders stark aber das von Mückenfledermaus und Mausohren. Außerdem sollten durchgehend grün-blaue-Strukturen als Korridore zwischen Gebieten mit hohem Baumbestand und Gewässern erhalten oder geschaffen werden, in denen auf nächtliche Lichtquellen gänzlich verzichtet wird.
Mehr:
DONATI, G. et al. (2022): Reconciling cities with nature: Identifying local Blue-Green Infrastructure interventions for regional biodiversity enhancement. – Journal of Environmental Management Vol. 316, 115254; https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2022.115254.
LEWANZIK, D. et al. (2022): Evaluating the potential of urban areas for bat conservation with citizen sciende data. – Environmental PollutionVol. 297, 118785; https://doi.org/10.1016/j.envpol.2021.118785.
Autorin
Monika Offenberger
monika.offenberger@mnet-mail.de
Monika Offenberger (2024): Blau-grüne Infrastruktur stärkt die regionale Biodiversität. – ANLiegen Natur 46/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/blau-gruene-infrastruktur/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Klima.Landschaft.Energie:
Anliegen Natur 46/1 (2024): 6 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,4 MB).