Werden bei Eingriffen in Natura 2000-Gebiete Ausgleichshabitate für Beeinträchtigungen angelegt, führen diese nicht zu einer grundsätzlichen Verträglichkeit des Eingriffs, sondern sind als Teil der Kohärenzsicherung zu werten (Foto: ecoline, Andreas Zehm).
(Paul-Bastian Nagel) Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH C-521/12) vom 15. Mai 2014 konkretisiert die Abgrenzung von Schutz- und Kohärenzsicherungsmaßnahmen in Natura 2000-Gebieten. Ersatzhabitate zum Ausgleich von Beeinträchtigungen in Natura 2000-Gebieten können nicht als Schutzmaßnahmen im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 92/43/EWG anerkannt werden, sondern setzen eine Ausnahme nach Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie voraus. Entsprechende Aktivitäten sind damit als Kohärenzsicherungsmaßnahmen einzustufen. Durch das Urteil wird der Schutzstatus von Natura 2000-Gebieten gestärkt. Gleichzeitig wird es vermehrt zu Ausnahmeverfahren kommen, was den Prüf- und Verwaltungsaufwand erhöht. FÜSSER & LAU (2014) schlagen daher vorgezogene Kohärenzsicherungsmaßnahmen in Maßnahmenpools vor.
Die Prüfung der Verträglichkeit eines Autobahnbauvorhabens in dem niederländischen Natura 2000-Gebiet „Vlijmens Ven, Moerputten en Bossche Broek“ wurde dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Im Kern ging es um die Frage, ob eine Ausgleichsmaßnahme, hier die Schaffung eines Ersatzhabitates, in die Entscheidung über die Verträglichkeit des Vorhabens einfließen darf. Diese Frage wurde verneint. Nach der Begründung zum Urteil können Ersatzhabitate eine Betroffenheit der Erhaltungsziele oder der für den Schutzweck maßgeblichen Bestandteile nicht vermeiden helfen, da durch diese eine mögliche erhebliche Beeinträchtigung nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann und die Wirksamkeit der Maßnahme zum Zeitpunkt des Eingriffs nicht sichergestellt ist. Daher können entsprechende Maßnahmen für die Flora-Fauna-Habitat-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) nicht herangezogen werden, sondern können nur bei Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen als Kohärenzsicherungsmaßnahmen anerkannt werden.
Das vorgestellte Urteil nehmen FÜSSER & LAU (2014) zum Anlass, Vermeidungsmaßnahmen und Kohärenzsicherungsmaßnahmen in Hinblick auf ihre Umsetzungsanforderungen zu beleuchten. Nur Vermeidungsmaßnahmen können mögliche erhebliche Beeinträchtigungen nach § 34 Absatz 2 Bundesnaturschutzgesetz mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen helfen. Vermeidungsmaßnahmen können in der Verträglichkeitsprüfung berücksichtigt werden, weil sie im Gegensatz zu Kompensationsmaßnahmen bereits bei den Auswirkungen des Vorhabens ansetzen, diese abmildern und so die geforderte Integrität des Schutzgebietes bewahren helfen. Ist die Vermeidungsmaßnahme für die Verträglichkeitsprüfung entscheidungsrelevant, muss der Erfolg der Maßnahmen nachweislich sichergestellt sein.
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