EU-Projekt SOLUTION: Neue Methoden zur Bewertung der Wasserqualität
(Monika Offenberger) Die Konzentrationen bestimmter Schadstoffe werden in den europäischen Gewässern überwacht. Doch wie wirken die Chemikalien in Kombination miteinander auf die Artengemeinschaft und wie schädlich sind die derzeit nicht kontrollierten Stoffe im Wasser? Ein internationales Forschungsteam aus mehr als 100 Wissenschaftlern hat neue Methoden zur Kontrolle der chemischen Wasserqualität erarbeitet und Möglichkeiten für die Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgezeigt.
Chemische Substanzen aus Landwirtschaft, Industrie und Haushalten beinträchtigen die Qualität europäischer Gewässer, schädigen deren aquatische Ökosysteme, vermindern die Artenvielfalt und gefährden die menschliche Gesundheit. Um diesen negativen Entwicklungen entgegenzutreten, wurde im Jahr 2000 die EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) durch die europäischen Mitgliedsstaaten beschlossen; sie zählt zu den weltweit strengsten Regelwerken ihrer Art. Seither wird der chemische Zustand eines Gewässers anhand von 45 Einzelstoffen bewertet. Weitere 67 Stoffe, die besonders schädlich für Tiere und Pflanzen sind, werden im Rahmen der ökologischen Zustandsbewertung gemessen. Das ist jedoch nur ein Bruchteil von den insgesamt mehr als 100.000 verschiedenen chemischen Substanzen, die aktuell in die Gewässer gelangen. Die meisten Substanzen werden bei der Bewertung der Gewässerqualität also gar nicht berücksichtigt. Darüber hinaus lässt sich durch die Messung der Einzelstoffe keine Aussage treffen, wie gefährlich der Schadstoff in der Umwelt in Kombination mit anderen wirkt. Wie kann man also die Überwachung und die Bewertung der chemischen Wasserqualität europaweit verbessern, ohne dass die Kosten explosionsartig steigen?
Dieser ambitionierten Frage widmete sich das internationale Forscherkonsortium SOLUTION unter der Koordination von Dr. Werner Brack, Umweltchemiker am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Das SOLUTIONS-Team plädiert für einen ganz neuen Ansatz: die Anwendung von effektbasierten Methoden, wie etwa biologische Wirkungstests. Bei diesen Tests werden lebende Organismen oder Zellkulturen einer Wasserprobe ausgesetzt und die Wirkung dieses Gemisches auf bestimmte Funktionen des Organismus gemessen, zum Beispiel auf die Enzymaktivität, Hormonregulation oder auch auf die Überlebensrate. Ausschlaggebend für die Bewertung der chemischen Wasserqualität sind also weniger die Konzentrationen der einzelnen Stoffe, sondern vielmehr die Wirkung des Chemikalien-Gemischs. Solche effektbasierten Systeme kommen bereits in vielen Feldern zum Einsatz, insbesondere in der pharmazeutischen Forschung. In der Umweltüberwachung und speziell im Gewässermonitoring aber seien sie Neuland, so Brack.
Für die Detektion der Stoffe im „Chemikalien-Cocktail“ werden Screening-Verfahren eingesetzt. „Das machen wir mit Flüssigkeits- oder Gas-Chromatografie und hochauflösender Massenspektrometrie. So bekommen wir Datensätze mit zigtausenden Peaks, aus denen sich dann gezielt rund tausend wichtige Schadstoffe quantifizieren lassen. Das ist nicht viel teurer als die Einzelstoffanalyse und wird schon von einigen Behörden fürs Routine-Monitoring genutzt. Technisch gibt es also heute keinen Grund mehr, sich auf einzelne priorisierte Substanzen zu beschränken“, betont Werner Brack. In der Gewässerüberwachung am Rhein habe sich dieses Breitbandscreening bereits bewährt, so der UFZ-Wissenschaftler:
Im Praxistest konnte das Projektteam zeigen, dass der effektbasierte Ansatz funktioniert und hilft, Schadstoffquellen effektiv ausfindig zu machen. Darüber hinaus eignen sich die Untersuchungen auch zur Erfolgskontrolle von Schutzmaßnahmen. In einer Fallstudie an Schweizer Kläranlagen zeigte sich bei den biologischen Wirkungstests, dass der Einbau einer vierten Reinigungsstufe mit Aktivkohle zu einer signifikanten Verbesserung der Wasserqualität führt.
Die Essenz ihrer Forschungsergebnisse sowie Anregungen zu ihrer praktischen Umsetzung haben die SOLUTIONS-Forscher in insgesamt 15 Policy Briefs festgehalten. „Die Policy Briefs sollen den Entscheidungsträgern den Zugang zu wissenschaftlichen Informationen erleichtern, die für den Schutz der europäischen Wasserressourcen erforderlich sind“, sagt Werner Brack. Weiter schlägt das internationale Team den Aufbau einer europäischen Dateninfrastruktur vor. So könnten die umfangreichen Daten, die ein verbessertes Monitoring über tausende von Fremdstoffen in Gewässerproben liefern, zur Risikobewertung der Chemikaliencocktails genutzt werden. Zwei EU-Mitgliedsstaaten haben sich von den Lösungsvorschlägen des SOLUTIONS-Teams überzeugen lassen: „Tschechien und die Niederlande wollen unsere effektbasierten Methoden anwenden und haben entsprechende Nachfolgeprojekte finanziert“, berichtet Werner Brack, und weiter: „In Deutschland habe man es auch versucht, sei aber beim Bundesforschungsministerium auf leere Kassen gestoßen.“
Mehr:
BRACK, W. et al. (2019): Solutions for present and future emerging pollutants in land and water resources management. – Policy briefs summarizing scientific project results for decision makers. Environmental Sciences Europe 2019; https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-019-0252-7.
BRACK, W. (2019): Solutions for present and future emerging pollutants in land and water resources management. – Policy briefs summarizing scientific project results for decision makers. Environmental Sciences Europe Vol 31, 74; https://doi.org/10.1186/s12302-019-0252-7.
BRACK, W. et al. (2019): Effect-based methods are key. The European Collaborative Project SOUTIONS recommends integrating effect-based methods for diagnosis and monitoring of water quality. – Environmental Sciences Europe Vol 31: 10; https://doi.org/10.1186/s12302-019-0192-2.
BRACK, W. (2019): Let us empower the WFD to prevent risks of chemical pollution in European rivers and lakes. – Environmental Sciences Europe Vol 31: 74; https://doi.org/10.1186/s12302-019-0228-7.
HOLLENDER, J. et al. (2017): Nontarget Screening with High Resolution Mass Spectrometry in the Environment: Ready to Go? – Environmental Sciences & Technology 51(20): 11505–11512; https://doi.org/10.1021/acs.est.7b02184.
TLILI, A. et al. (2017): Micropollutant-induced tolerance of in situ periphyton: Establishing causality in wastewater-impacted streams. – Water Research 111: 185–194; https://doi.org/10.1016/j.watres.2017.01.016.
Offenberger, M. (2020): EU-Projekt SOLUTION: Neue Methoden zur Bewertung der Wasserqualität. – ANLiegen Natur 42/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/effektbasiertes-gewaessermonitoring/.
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ANLiegen Natur 42/2 (2020): 8 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,6 MB).