Eigentumsrechte in Natura 2000-Gebieten – Aufhebung des Natura 2000-Gebietsstatus
(Paul-Bastian Nagel) Das Natura 2000-Netz stellt eine wesentliche Säule zum Schutz der biologischen Vielfalt in Europa dar. Verschwinden Zielarten und Lebensraumtypen dauerhaft aus einem Natura 2000-Gebiet, kann entsprechend einem Urteil vom 03. April 2014 des Europäischen Gerichtshofs eine Überprüfung der Klassifizierung des Gebietes erforderlich werden.
Nach einem Urteil vom 03. April 2014 des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Aufhebung eines Natura 2000-Gebietes vorzuschlagen, wenn die Erhaltungsziele des jeweiligen Schutzgebietes nicht länger erfüllt werden können (C-301/12 EuGH).
Hintergrund der Entscheidung ist, dass regelmäßig die Eigentumsrechte zur Nutzung von Liegenschaften aufgrund der zwingenden Rechtsvorschriften durch den Gebietsschutz eingeschränkt sind. Wenn in einem Natura 2000-Gebiet eine irreversible Verschlechterung des Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Arten nicht vermeidbar ist beziehungsweise die für die Ausweisung zugrunde liegenden Arten oder Lebensraumtypen nachweislich nicht mehr vorkommen, ist ein Eingriff in die Eigentumsrechte nicht länger begründbar. In diesem Fall ist der Kommission eine Aufhebung der Klassifizierung des Gebietes durch den Mitgliedsstaat vorzuschlagen; analog zum Aufnahmeverfahren eines Gebietes in das europäische Schutzgebietsnetz. Dieser Vorschlag für eine Aufhebung der Klassifizierung durch den Mitgliedstaat kann in begründeten Fällen auch auf Antrag des oder der Eigentümer erfolgen.
Bedeutung für die Praxis
Durch das Gerichtsurteil des EuGH werden die hohen Qualitätsanforderungen an die Erhaltungsziele für natürliche Lebensräume und Arten in Natura 2000-Schutzgebieten auch nach erfolgter Ausweisung betont. Es erscheint nur sachgerecht, dass die Überprüfung eines Natura 2000-Gebietes ermöglicht wird, um die Qualität des Schutzgebietsnetzes insgesamt dauerhaft sicherzustellen und Alibi-Ausweisungen vorzubeugen. Andererseits wird es in der Praxis nicht immer einfach sein, die Frage zu klären, ob die Ausweisungskriterien der Richtlinie 92/43/EWG im jeweiligen Gebiet endgültig nicht mehr eingehalten werden. Unklar ist etwa, ob und ab wann das Fernbleiben einer Zielart bereits einen Antrag auf Aufhebung der Klassifizierung rechtfertigt. Der Nachweis für eine Veränderung von Lebensraumtypen wird dagegen im Regelfall einfacher zu erbringen sein. Es werden daher wohl vor allem solche Gebiete von entsprechenden Aufhebungsverfahren verschont bleiben, die zum Schutz mehrerer Zielarten und Lebensraumtypen ausgewiesen wurden und eine entsprechend breite naturräumliche Ausstattung aufweisen. Denn grundsätzlich gilt, solange die Voraussetzungen für eine Klassifizierung bestehen und das Gebiet geeignet ist, die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und Arten sicherzustellen, sind die Beschränkungen des Eigentumsrechts durch eine Ausweisung als Natura 2000-Gebiet gerechtfertigt.
Mehr:
http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2014-04/cp140050de.pdf.
http://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-301/12.
Zitiervorschlag: Nagel, P.-B. (2014): Eigentumsrechte in Natura 2000-Gebieten – Aufhebung des Natura 2000-Gebietsstatus. – ANLiegen Natur 36/2, S. 92; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/eigentumsrechte-in-natura-2000-gebieten/.
Ergänzende Information postalisch an die Redaktion:
Bei dem hier wiedergegebenen EuGH-Urteil zur „Aufhebung von FFH-Gebieten“ sollten einige wichtige Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Nach Auffassung des EuGH setzt die Streichung eines FFH-Gebiets nämlich nicht nur voraus, dass das betreffende Gebiet ökologisch so geschädigt ist, dass es endgültig nicht mehr zur Verwirklichung der Ziele der FFH-Richtlinie beitragen kann. Vielmehr muss dies der Fall sein OBWOHL der Mitgliedstaat die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 der FFH-Richtlinie beachtet hat, das heißt zum einen gewährleistet wurde, dass etwaige Projekte und Pläne nur unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 der FFH-Richtlinie (besonders FFH-Verträglichkeitsprüfung) zugelassen wurden und insbesondere die erforderlichen Kohärenzsicherungsmaßnahmen ergriffen wurden. Zum anderen muss die Schutzpflicht nach Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie erfüllt sein, das heißt es müssen Maßnahmen gegen negative Entwicklungen ergriffen worden sein. Eine ökologische Schädigung alleine berechtigt demnach NICHT zur Aufhebung des Gebietes.
Die Entscheidung ist schlüssig und liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung und dem allgemeinen Verständnis zur Zulässigkeit von Grundrechtsbeschränkungen aus Gründen des Naturschutzes, die stets eine entsprechende Schutzwürdigkeit des geschützten Objekts voraussetzen. Die Entscheidung ist daher nicht wie von Landnutzungsverbänden betont von „richtungsweisender Bedeutung zur Stärkung der Eigentümerrechte bei Natura 2000 Gebieten“.
Zudem hat der EuGH nicht thematisiert, wie die Aufhebung eines Gebietes erfolgen soll. Er hat daher insbesondere betroffenen Grundeigentümern kein selbständiges Antragsrecht dafür zugesprochen. Die Ausgestaltung des Verfahrens liegt damit grundsätzlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dabei ist zu berücksichtigten, dass EuGH und deutsche Gerichte entschieden haben, dass mit der Aufnahme eines Gebietes auf die EU-Gemeinschaftsliste durch die EU-Kommission keine individuelle bezeihungsweise direkte Betroffenheit Einzelner verbunden ist, sondern erst mit der Anordnung entsprechender Nutzungsbeschränkungen durch den Mitgliedstaat. Daher ist weiterhin nicht von einem unmittelbar einlösbaren Anspruch betroffener Grundeigentümer auf Aufhebung eines FFH-Gebietes auszugehen.
Redaktion ANLiegen Natur – 2.2.2015
Weiterführende Informationen zu dem Thema finden Sie in diesem Artikel von K. Meßerschmidt:
MEßERSCHMIDT, K. (2015): Deklassifizierung von Natura 2000 Gebieten. Rückabwicklung des europäischen Gebietsschutzes unter den Augen des EuGH. – Natur und Recht 37: 2–10.
Die Zusammenfassung und weitere Informationen finden sich unter:
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10357-014-2757-6#
Redaktion ANLiegen Natur – 18.2.2015