FFH-Verträglichkeitsprüfung außerhalb von Natura 2000-Gebieten?
(Paul-Bastian Nagel) Pläne und Projekte, die zu erheblichen Beeinträchtigungen von Flora-Fauna-Habitat- oder europäischen Vogelschutzgebieten führen können, erfordern eine Verträglichkeitsprüfung mit den jeweiligen Erhaltungszielen. Die Prüfung ist gebietsbezogen durchzuführen. In Einzelfällen kann eine Prüfung jedoch auch dann erforderlich werden, wenn ein Vorhaben außerhalb eines Gebietes realisiert werden soll. Entweder um mögliche Auswirkungen zu untersuchen, die im Gebiet zu Veränderungen führen können (zum Beispiel Störungen von geschützten Arten durch Schallimmissionen) oder um negative Summationswirkungen oder Beeinträchtigungen der Vernetzungsfunktionen des Schutzgebietsnetzes insgesamt zu prüfen.
In einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2015 (7 VR 6.14) wurde ein Ausbauvorhaben für eine Eisenbahnstrecke behandelt. Die Entscheidung wird im „Recht der Natur-Schnellbrief 188“ von U. Philipp-Gerlach vorgestellt.
Grundsätzlich beschränkt sich der Natura 2000-Schutz auf die administrativen Grenzen der europäisch geschützten Gebiete. Flächen, die etwa zur Nahrungssuche außerhalb der Gebiete durch die hier ansässigen und geschützten Tiere aufgesucht werden, fallen nicht unter diesen Schutz. Allerdings zielt Natura 2000 darauf ein Schutzgebietsnetz zu errichten und damit auch auf die Funktionsbeziehungen zwischen seinen einzelnen Bestandteilen. Prüfungsrelevante Beeinträchtigungen können daher insbesondere dann eintreten, wenn beispielweise Flugrouten oder Wanderkorridore zwischen zwei Natura 2000-Gebieten durch die Realisierung eines Infrastrukturprojektes unterbrochen werden.
Ein Sonderfall kann darüber hinaus eintreten, wenn ein Gebiet fehlerhaft zu klein abgegrenzt oder noch nicht gemeldet wurde. Diese Frage hat das Bundesverwaltungsgericht bereits am 14. April 2010 beantwortet (9 A 5.08): Wenn maßgebliche Lebensstätten erhaltungszielgegenständlicher Arten bei der Gebietsmeldung nicht berücksichtigt wurden oder eine Nachmeldung noch nicht in die Liste gemeinschaftlicher Gebiete aufgenommen ist, müssen auch diese Gebiete oder Gebietsteile bei einer Flora-Fauna-Habitat-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) berücksichtigt werden.
In der angesprochenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum geplanten Ausbau einer Eisenbahnstrecke musste von einem solchen Sonderfall allerdings nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus wurde aus Sicht des Gerichts durch den Kläger nicht ausreichend dargelegt, warum die in Rede stehenden Gebiete „wesentlich für den Austausch zwischen den Schutzgebieten oder zwischen Teilen dieser Gebiete seien“.
Bedeutung für die Praxis
Für die Frage, ob eine FFH-Verträglichkeitsprüfung auch bei einem Vorhaben durchgeführt werden muss, das außerhalb eines Natura 2000-Gebietes realisiert werden soll, ist zunächst zu klären, ob durch das Vorhaben
- im Gebiet erhebliche Beeinträchtigungen der maßgeblichen Gebietsbestandteile (zum Beispiel durch Immissionen) entstehen können oder ob
- zwischen Gebieten oder Gebietsteilen erhebliche Beeinträchtigungen der Austauschbeziehungen erhaltungszielgegenständlicher Arten (zum Beispiel Wanderkorridore und Flugrouten) eintreten können.
An den Nachweis eines dieser Fälle werden gerichtlich hohe Maßstäbe gesetzt. Außerhalb der Gebietsgrenzen gelegene Brut-, Schlaf- oder Nahrungshabitate von im Gebiet vorkommenden und mit Erhaltungszielen belegten Arten unterliegen im Regelfall nicht dem Natura 2000-Schutzregime. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gebietsmeldungen so erfolgten, dass die schutzgebietsbezogenen Erhaltungsziele für die jeweiligen Arten innerhalb der vorgeschlagenen Gebietsabgrenzung erreicht werden können.
Mehr:
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, 2014): Ausbau einer Eisenbahnstrecke; Gebiets- und Artenschutz; einstweiliger Rechtsschutz. – Beschluss vom 23. Januar 2015 – 7 VR 6.14; www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=190914B7B7.14.0.
Philipp-Gerlach, U. (2015): BVerwG zum Ermittlungsumfang außerhalb von FFH-Gebieten. – Recht der Natur, Schnellbrief 188: 3–4; http://idur.de/html/nr_-188.html.
Zitiervorschlag: Nagel, P.-B. (2015): FFH-Verträglichkeitsprüfung außerhalb von Natura 2000-Gebieten? – ANLiegen Natur 37/1, S. 92; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/ermittlungsumfang_ffh_gebiete/.
Klasse Meldung – das wird auch so manchem Planungsbüro helfen, das in solchen Fällen vom Auftraggeber oft nur als „Preistreiber“ angesehen wird. Außerdem wäre es interessant, dazu auch die bayerische Verträglichkeitsprüfungs-Datenbank auszuwerten, wie oft so was bei uns schon berücksichtigt wurde.
Was den zusätzlich erwähnten „Sonderfall“ (BVerwG-Urteil von 2010) betrifft, warte ich immer noch drauf, dass Bayern das eine oder andere Gebiet arrondiert. Spontan fallen mir da die FFH-Gebiete „Widdumer Weiher und Wasenmoos“ in Schwaben ein, wo die maßgebliche Euphydryas aurinia-Population knapp, aber deutlich außerhalb liegt, und den Reutsee in Unterfranken, wo man übersehen hat, die essenziell notwendigen Landlebensräume des Kammmolchs mit abzugrenzen. Jetzt ist das Anhörungsverfahren vorbei und wieder eine Chance vertan, das noch vor der Natura-VO zu reparieren. Ein Fall für’s LfU … (?)