Was leisten FFH-Gebiete für den Insektenschutz?
(Monika Offenberger) Drei aktuelle Studien befassen sich mit dem Monitoring in Schutzgebieten. In Bayern wurde seit der Einrichtung von Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebieten das Monitoring ausgewählter Insektenarten verstärkt, aber nur bedingt deren Rückgang gestoppt. Dabei wird durch die Beschränkung des Monitorings auf Schutzgebiete das Ausmaß des Artensterbens auch im weltweiten Kontext sogar dramatisch unterschätzt.
Um den anhaltenden Verlust von Arten und Lebensräumen zu stoppen, wurde 1998 ein europaweites Netz an Schutzgebieten für Fauna, Flora und den Habitaten (Lebensräumen) angelegt. Besonders gefährdete Arten sind in den Anhängen (englisch: Annex) dieser Richtlinie aufgeführt. Anhand von Daten der Bayerischen Artenschutzkartierung verglich eine Münchner Forschungsgruppe um Katharina Engelhardt Trends im Monitoring und Vorkommen von 21 in Annex II und IV gelisteten Libellen und Tagfalter jeweils 18 Jahre vor und nach der Einrichtung von FFH-Gebieten in Bayern (ENGELHARDT et al. 2023). Das Ergebnis ist ernüchternd: Zwar wurde das Monitoring seit 1998 intensiviert, jedoch zeigt die Bestandsentwicklung seither nur bei acht der betrachteten Arten einen positiven Trend, bei zweien ist sie stabil, bei dreien unklar und bei sieben negativ; der anfangs noch erfasste Orange-Rote Heufalter gilt inzwischen als ausgestorben oder verschollen. Dabei weist ein amerikanisches Forschungs-Team um Matthew Forister darauf hin, dass in Schutzgebieten erhobene Daten über Vorkommen und Häufigkeit von Insektenarten sogar über das wahre Ausmaß des Biodiversitätsverlustes hinwegtäuschen (FORISTER et al. 2023). Gerade in intensiv bewirtschafteten Gebieten und insbesondere im stark versiegelten urbanen Raum sei der Verlust von Lebensräumen und aller darauf angewiesenen Arten am höchsten; zugleich finden dort aber systematisch weniger Monitorings statt.
Weiche Regeln schützen Arten nicht vor intensiver Landnutzung
Obwohl die FFH-Richtlinie im Bundesnaturschutzgesetz verankert ist, wurden die angestrebten Ziele offensichtlich nicht einmal in den Schutzgebieten erreicht. Das ist im Einklang mit früheren Studien über die Abnahme des Artenreichtums und der Biomasse bei Insekten in Schutzgebieten (HALLMANN et al. 2017) sowie mit dem überwiegend schlechten Zustand der laut Richtlinie zu schützenden Lebensraumtypen (ADELMANN et al. 2017). Die Gründe liegen aus Sicht von ENGELHARDT et al. (2023) in diffusen rechtlichen Zuständigkeiten sowie im mangelnden politischen Willen, ernsthaften Erhaltungsmaßnahmen Priorität gegenüber der intensiven – und überdies mit deutlich mehr EU-Finanzmitteln ausgestatteten – Landwirtschaft einzuräumen. Zudem ist die Umsetzung naturschutzgemäßer Bewirtschaftungspläne seitens der Landwirte freiwillig. „Solche weichen Regeln sind nicht hilfreich, wenn es darum geht, Annex-Arten und Lebensräume vor systemischen Problemen wie Pestiziden, Düngemitteln oder anderen Faktoren, die mit einer hohen Landnutzungsintensität einhergehen, zu schützen“, konstatieren die Autoren. Erforderlich seien vermehrte Schutzbemühungen auf Landschaftsebene statt in kleinräumigen Schutzgebieten sowie klare Richtlinien, um die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zu bewerten.
Auch in Schutzgebieten lebende Insekten sind massiv von Pestiziden bedroht
Hier setzt das interdisziplinäre Forschungsvorhaben „Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen“ (DINA; KÖTHE et al. 2022) an: Es verknüpft erstmals umfassende Insekten-Monitorings innerhalb von Naturschutzgebieten mit Studien zur Auswirkung der landwirtschaftlichen Nutzung in der angrenzenden Landschaft. In die Untersuchung flossen 21 Naturschutzgebiete in ganz Deutschland ein. Mittels Malaise-Fallen wurden Biomasse und Artenzusammensetzung fliegender Insekten erfasst. Dieselben Proben dienten auch zur Analyse pflanzenbezogener Daten, denn via Barcoding lassen sich selbst geringste an den Insekten anhaftende Blütenpollen identifizieren. Dabei fanden sich sowohl Spuren von gefährdeten und stark gefährdeten Pflanzenarten, als auch von Neophyten und Gartenpflanzen – ein Indiz dafür, dass die Flugradien mancher Insekten weitaus größer sind als angenommen und teils weit entfernte Gärten umfassen.
Schließlich wurden in denselben Proben 28 Fungizide, 13 Herbizide und 6 Insektizide aufgespürt. Demnach sind auch in Naturschutzgebieten lebende Insekten massiv durch Pestizide bedroht. „Kontaminiert werden sie vor allem außerhalb der Schutzgebietsflächen aufgrund ihres Aktivitätsradius. So haben Ackerflächen, die an Schutzgebiete angrenzen, einen Einfluss auf die zu schützenden Insektenbestände und die Pflanzenwelt. Dabei steigt die Anzahl der nachgewiesenen Pestizide in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten an. Belastungen mit Pestizidmischungen werden bisher in der Zulassung weder untersucht noch berücksichtigt“, so das Fazit des DINA-Forschers Carsten Brühl von der Universität Kaiserslautern Landau (EICHLER 2022).
Mehr:
ADELMANN, W. et al. (2017): Natura 2000-Lebensräume: Vielfalt für Menschen, Tiere und Pflanzen. – Anliegen Natur 39(2): 17–32; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/lrt/.
EICHLER, L. (2022): Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen (DINA) –
Ergebnisse eines transdisziplinären Projektes zur Insektenvielfalt in Naturschutzgebieten. – https://storymaps.arcgis.com/stories/4e24dc33f079481385de35b72587186e.
ENGELHARDT, E. K., BOWLER, D. E. & HOF, C. (2023): European Habitats Directive has fosterde monitoring but noch prevented species declines. – Conservation Letters Vol. 16(3), e12948; https://doi.org/10.1111/conl.12948.
FORISTER, M. L. et al. (2023): Missing the bigger picture: Why insect monitoring programs are limited in their ability to document the effects of habitat loss. – Conservation Letters Vol. 16(3), e12951; https://doi.org/10.1111/conl.12951.
HALLMANN, C. A. et al. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. – PLoS ONE 12:e0185809; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809.
KÖTHE, W. et al. (2022): Improving insect conservation management through insect monitoring and stakeholder involvement. – Biodiversity and Conservation Vol. 32, S. 691–713; https://link.springer.com/article/10.1007/s10531-022-02519-1.
Autorin:
Monika Offenberger
monika.offenberger@mnet-mail.de
Monika Offenberger (2024): Was leisten FFH-Gebiete für den Insektenschutz? – ANLiegen Natur 46/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/ffh-gebiete-insektenschutz/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Artenschutz:
Anliegen Natur 46/1 (2024): 4 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,4 MB).