Bestimmungsführer der Fledermäuse Europas
(Andreas Zehm) Wie froh war man noch vor wenigen Jahren, wenn man zu einer beliebigen Tiergruppe ein Bestimmungsbuch fand, in dem zumindest alle Arten Deutschlands behandelt wurden und so abgebildet waren, dass man ihren Umriss sicher erkennen konnte. Zwischen diesem Zustand und heute liegen beispielsweise für Wirbeltiere derweil Welten, was das vorliegende Buch „die Fledermäuse Europas“ wieder eindrucksvoll zeigt.
Der Artenteil stellt alle 44 in Europa vorkommenden Fledermausarten ausführlich auf in der Regel vier Seiten vor, wobei Informationen zu Verbreitung (inklusive Europakarte), Kennzeichen, Differentialmerkmalen zu ähnlichen Arten, Ortungslauten, Lebensraum, Quartieren, Verhalten, Fortpflanzung, Nahrungserwerb, Raumnutzung und Gefährdung beschrieben werden. Weitere 32 Arten aus angrenzenden Gebieten – wie Nordafrika – werden in wenigen Zeilen kurz vorgestellt. Äußerst erfreulich ist, dass mehrere Möglichkeiten der Artbestimmung im Buch aufgezeigt werden, so dass man nicht zwingend die Fledermaus in der Hand halten muss, um sie bestimmen zu können, was ja bei den meisten Lesern selten der Fall ist und zudem artenschutzrechtlich nicht unproblematisch ist. Besondere Aufmerksamkeit verdient aus meiner Sicht der Schlüssel für Haarproben die aus Kotpellets gewonnen werden können, da derartiges Material zumeist gut zugänglich ist, das Tier bei der Bestimmung nicht beeinträchtigt wird und die Ergebnisse sogar einer wissenschaftlichen Beleg-Nachbestimmung zur Verfügung gestellt werden können. Allerdings bedarf der Schlüssel – genauso wie alle anderen – sicher einer gewissen Einarbeitung oder gar einer Vergleichssammlung, um sichere Ergebnisse zu erzielen. Weitere Bestimmungsmöglichkeiten die das Buch bietet sind Rufanalysen (für den Laien eigentlich technisch zu anspruchsvoll) sowie ein guter Foto-Bestimmungsschlüssel für morphologische Merkmale und Seiten mit Winterquartier-Ansichten, anhand derer sich die Störzeiten im Quartier mindern lassen. Der dichotome Foto-Schlüssel nennt dabei erfreulicherweise zumeist mehrere Merkmale, so dass trotz der nicht immer 100 % eindeutigen Fotos eine sichere Bestimmung gelingen sollte. Die Bebilderung aller Buchteile erfolgt ansonsten durchweg mit eindrucksvollen Fotos allerbester Qualität und zumeist hoher Aussagekraft, was bei nachtaktiven, sich im dreidimensionalen Raum bewegenden Tieren keine Selbstverständlichkeit ist. Ergänzend werden die zwölf in Europa vorkommenden Gattungen auf den Innenseiten der Umschlagklappen kurz vorgestellt und die typischen Kennzeichen benannt.
Mehrere einleitende Kapitel führen zuvor in die Welt der Fledermäuse und die der Fledermausbegeisterten ein. Neben grundlegenden Themen, wie Körperbau, Flug, Lebensräume und aktuelle Gefährdungsursachen, werden sehr ausführlich die Quartiere der Fledermäuse beschrieben, die den greifbarsten Teil eines Fledermaus-Lebensraumes ausmachen und häufig gerade für die Eingriffsbeurteilung, mit der sich die Naturschutzbehörden intensiv beschäftigen, besonders relevant sind. Dabei spielen erfreulicherweise verschiedene Sanierungsmaßnahmen eine große Rolle. Leider werden ausgerechnet zu diesem für den Fledermausschutz hoch relevanten Bereich keine weiteren Informationen – wie Literaturhinweise – angeboten.
Vergleichsweise breiten Raum nehmen dagegen die Methoden und Forschungskonzepte zu Fledermäusen ein, die auch Laien gut in die wissenschaftliche Bearbeitung von Fledermäusen einführen. Sicher wird jeder, der sich noch nicht langjährig mit Fledermäusen beschäftigt hat, hier Spannendes, Interessantes oder Neues finden, was das Buch zu einer Fundgrube für Allgemeinwissen macht. Allerdings kann das Buch entsprechend seiner Feldführer-Ausrichtung die Punkte jeweils nur anreißen.
Hinzuweisen bleibt darauf, dass zahlreiche Texte und Fotos aus dem „Handbuch der Fledermäuse Europas und Nordwestafrikas“ übernommen, eingekürzt und aktualisiert wurden, so dass Besitzer dieses Werkes gegebenenfalls enttäuscht sein könnten. Für andere Leser oder gar Einsteiger bietet das aktuelle Buch allerdings eigentlich alles, was man sich wünschen kann, so dass es rundum empfohlen werden kann.
Konzeptionell spannend ist der gewählte Ansatz, wie zusätzliche Informationen digital zur Verfügung gestellt werden. Mittels QR-Codes (oder am Buchende versteckte Internetlinks) können Zusatzinformationen – vor allem Literaturangaben – in pdf-Form abgerufen werden. Mir persönlich erscheint der gewählte Weg im Gegensatz zu einer ebook-Gesamtausgabe für Tablet-PC, in die die Zusatzinformationen integriert wären, unglücklich, da die Vernetzung beider Medien eher umständlich ist. Da der etwa die Hälfte des Buches umfassende allgemeine Teil den Feldführer ohnehin wortwörtlich stark belastet, wären die zusätzlichen 20 Seiten, die die Zusatzinformationen verursacht hätten, eher unproblematisch gewesen.
Klarer Minuspunkt des Buches ist ein unzureichendes Lektorat, so dass man unverhofft schnell Satzbau- oder Orthographiefehler findet, was nicht zu der ansonsten hohen Qualität passt!
Fazit: Das Buch setzt wieder Maßstäbe, was Bestimmungsführer angeht, und gibt dem Leser alles an Wissen, was er braucht, um die Arbeit mit Fledermäusen zu genießen. Absolut empfehlenswert für alle die mit Fledermäusen privat oder dienstlich zu tun haben.
Christian Dietz & Andreas Kiefer (2014): Die Fledermäuse Europas – kennen, bestimmen, schützen. – Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart, ISBN: 978-3-440-11560-2: 400 Seiten, 34,99 Euro.
Zitiervorschlag: Zehm, A. (2015): Bestimmungsführer der Fledermäuse Europas. – ANLiegen Natur 37/1, S. 109; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/fledermaeuse/.