Europas Fledermäuse kollidieren mit Deutschlands Energiewende
(Forschungsverbund Berlin, AZ) Fledermäuse verunglücken nach einer aktuellen Studie in großer Zahl an deutschen Windkraftanlagen. Dabei sind es zu mehr als zwei Dritteln wandernde Fledermäuse, auf dem Weg zwischen ihren Sommer- und Winterlebensräumen. Aufgrund seiner zentralen geographischen Lage in Europa hat Deutschland deshalb eine große Verantwortung für den Schutz migrierender Fledermäuse. Ein effizientes Mittel zum Schutz der Fledermäuse wäre ein Abschalten der Anlagen bei niedrigen Windgeschwindigkeiten und zu Zeiten des Fledermaus-Durchzugs.
Jedes Windrad, bei dessen Betrieb auf Artenschutz keine Rücksicht genommen wird, hat jährlich den Tod von rund 10 bis 12 Fledermäusen zur Folge, wobei diese Zahlen je nach geographischer Lage und Anlagentypus variieren. Wenn alle in Deutschland existierenden Anlagen ohne Auflagen betrieben würden, würde dies jährlich bis zu 250.000 Fledermäusen das Leben kosten, folgern die Wissenschaftler in einem aktuellen internationalen Fachartikel. Dabei entstammen zwei Drittel der zu Tode gekommenen Fledermäuse (etwa 70 %) Populationen, die in anderen Ländern heimisch sind. Wegen seiner zentralen Lage queren sie Deutschland auf dem Weg von ihren nordosteuropäischen Sommerlebensräumen zu ihren süd- und westeuropäischen Winterlebensräumen und zurück. Somit hat Deutschland eine besondere Verantwortung migrierende Arten zu schützen, so Christian Voigt, einer der Autoren der Studie.
Werden weitere Windkraftanlagen in Deutschland gebaut und unter mangelhaften Auflagen betrieben, wird sich dies auf die Fledermaus-Populationen in den Herkunftsgebieten auswirken. Dabei sind nicht nur die Windräder-Zahlen bedeutsam, sondern auch die Ausmaße der Anlagen. So sind neuere Windräder mit größeren Rotorblättern bestückt und auch bei niedrigeren Windgeschwindigkeiten profitabel. Da eine effektive Schutzmaßnahme für Fledermäuse darin besteht, Windräder bei wenig Wind abzuschalten, „kosten“ diese Abschalt-Algorhythmen künftig den Betreiber mehr, wodurch die Bereitschaft sie einzusetzen sinken wird. Wissenschaftler erwarten zudem, dass Fledermäuse wegen der größeren Rotorblätter stärkeren Kräften ausgesetzt sind, wodurch die Tiere häufiger durch starke Luftdruck-Unterschiede verletzt werden dürften. Bei diesen Tieren zerreißen durch die starken Luftdruck-Unterschiede an den Rotorblättern die inneren Organe – und die Hörorgane, auf welche Fledermäuse bei der Jagd angewiesen sind –. Dabei gehen die Forscher davon aus, dass Fledermäuse mit geringeren Verletzungen nicht sofort sterben, sondern noch einige Minuten oder sogar Stunden weiterfliegen könnten, so dass sich die Zahl der unentdeckten Todesfälle erhöhen dürfte.
Zurzeit wird verstärkt der Bau von Windkraftanlagen in Wäldern diskutiert. Da dort die Aktivität von Fledermäusen besonders hoch ist und tote Tiere kaum entdeckt werden können, wird diese Entwicklung von den Wissenschaftlern besonders kritisch gesehen. Deshalb wird empfohlen, die Betreiber von Windkraftanlagen künftig stärker in die Pflicht zu nehmen und die Anlagen während der Wanderungszeit von Fledermäusen auch bei stärkeren Winden konsequent vom Netz zu nehmen. Bei einer Abwägung zwischen wirtschaftlichen Kosten und Artenschutz müsse der Nutzen für den Naturschutz künftig höher bewertet werden – nicht zuletzt wegen der besonderen Verantwortung Deutschlands für den Schutz der Tiere.
Dass an Windkraftanlagen Fledermäuse verunglücken, widerspricht nationalem und internationalem Naturschutzrecht sowie internationalen Abkommen, wie der von Deutschland unterzeichneten UN-Konvention zur Erhaltung wandernder, wildlebender Tierarten. Tausende Fledermäuse kommen jedes Jahr in Deutschland durch Windkraftanlagen zu Tode, auch weil Maßnahmen, mit denen die Zahl der getöteten Fledermäuse pro Anlage deutlich reduziert werden könnte, in der Praxis nicht konsequent umgesetzt werden. Die Schutzempfehlungen, die sich aus der UN-Konvention ableiten lassen, sind rechtlich nicht bindend, weshalb sie in Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen bisher nicht mit einfließen. Die Autoren der Studie schätzen, dass nur ein Bruchteil der bis zum Jahr 2014 in Deutschland errichteten 24.000 Windkraftanlagen die Naturschutz-Anforderungen erfüllen. Viele – insbesondere ältere – werden unter keinen oder nur mangelhaften Auflagen betrieben, unterstreicht Christian Voigt abschließend.
Mehr:
Voigt, C. C., Lehnert, L., Petersons, G., Adorf, F. & Bach, L. (2015): Wildlife and renewable energy: German politics cross migratory bats. – European Journal of Wildlife Research; http://link.springer.com/article/10.1007/s10344-015-0903-y.
Zahn, A., Lustig, A. &. Hammer, M. (2014): Potenzielle Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Fledermauspopulationen. – ANLiegen Natur 36(1): 21–35, Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/doc/an36106zahn_et_al_2014_windenergieanlagen_und_fledermaeuse.pdf.
Zitiervorschlag: Forschungsverbund Berlin, & Zehm, A. (2015): Europas Fledermäuse kollidieren mit Deutschlands Energiewende. – ANLiegen Natur 37/1, S. 15; http://www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/fledermaeuse-2/.