Die App Flora incognita – Pflanzen per Foto bestimmen lassen
(Wolfram Adelmann) Pflanzen fotografieren und dann wissen, welche Art es ist? Davon haben viele Naturschützer, vor allem mit Bestimmungsübungen gequälte Biologie-Studenten geträumt. Mit der Smartphone-App Flora incognita sind wir diesem Ziel nun erstaunlich nahe. Hier ein kurzer Praxistest und gleichzeitig eine Einladung an die Profi-Botaniker die Datenbank über eine weitere App, Flora capture, zu unterstützen, um dieses Ziel bald zu erreichen.
Über die Pflanzenbestimmungs-App Flora incognita bin ich offen begeistert. Was man braucht, ist ein Smartphone, die kostenlose App und – für Bestimmungen im Gelände – eine gute Online-Verbindung. Dann geht es los: Einfach der sehr klaren Anleitung folgend und die aufgeforderten Fotos von blühenden Pflanzen, Gräsern, Farne oder Bäumen machen. In einzelnen Fällen reicht schon ein einziges Foto für ein Ergebnis: Der Steckbrief einer Art wird angezeigt. Oft werden zwei bis vier weitere Fotos von Details oder der Pflanze in ihrem natürlichen Lebensraum notwendig – die App leitet hier den Benutzer mit klaren Instruktionen. Die Erkennungs-Software wurde von der Technischen Universität Ilmenau und dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie entwickelt. Sie nutzt künstliche Intelligenz und wertet die Bilder auf Basis einer von Botanikern zusammengestellten Bild-Datenbank aus. Der Standort über GPS-Signal sowie die Ökosystemstruktur durch die Umgebungsfotos fließen in die Auswertung mit ein. Mittlerweile sind 2.700 Arten im System vorhanden.
Zum Praxistest: Testgebiet war mein (verwildeter) Garten mit angrenzender artenreicher Flachland-Mähwiese sowie ein kleines seggenreiches Kalkflachmoor. Innerhalb von gut einer Stunde wurden rund 80 Arten bestimmt – zu meiner größten Freude funktioniert die Erkennung sogar bei Seggen (Gattung Carex). Zierpflanzen erkennt die App nicht, das ist auch so ausdrücklich in der Anleitung angekündigt, führt aber in Gartennähe schon mal zu Enttäuschungen. Farne (wie auch die Carex-Arten) erkennt die App nur im voll erblühten Zustand. Bei Unsicherheit der Bestimmung gibt die App Prozentangaben an, zum Beispiel 80 % Sicherheit, oder bietet eine Auswahl von möglichen Alternativen an.
Um die App nun herauszufordern, manipulierte ich Blüten, indem ich einzelne Blütenblätter herausriss. Die App bestimmte dennoch korrekt…! Da bekommt man als Botaniker schon etwas Herzklopfen – droht nun der eigene Berufsstand abgelöst zu werden…?! Nein, zum Glück bestimmte die App auch einige Arten nicht korrekt (die Gattung stimmte jedoch im Test immer!) oder erst nach zweimaligem Anlauf. Aber dennoch ist das Gesamtergebnis beachtlich und überzeugend. Es ist für den botanisch Interessierten, der schon einige Arten kennt, ein wirklich wertvolles Werkzeug. Sei es als schnelle Versicherung, den korrekten lateinischen Namen nochmal „nachzuschlagen“, oder als digitale Bestimmungsübung mit Schülern oder auch als praktische Dokumentation einer Vegetationsaufnahme im Gelände! Ein Wehmutstropfen: Ohne Online-Verbindung geht im Gelände leider gar nichts. Jedoch kann man auch Bilder nachträglich bestimmen lassen, also zu Hause mit einer guten Online-Verbindung. Um sicherzugehen, sollte bei kritischen Arten jedoch vorab eine Serie von möglicherweise geforderten Bildern gemacht werden (zum Beispiel Blüte, Blattober- und -unterseite, Pflanze in der natürlichen Umgebung). Nur so kann man die App bei entsprechender Nachfrage ausreichend „füttern“.
Die „Allerweltsarten“ wurden sicher definiert und das Gute daran ist, es werden auch Botaniker weiterhin benötigt: Wirklich kritische Gruppen, wie Taraxacum sind nach wie vor den Experten vorbehalten. Hier kommt die Einladung an alle Botaniker, die App Flora incognita zu verbessern: Über eine weitere „Profi-App“, Flora capture, können Experten ihnen vertraute Arten nach einem vorgegebenen Ablaufschema fotografieren und so die Datenbank kontinuierlich ausbauen. Bei Unklarheit einer Artbestimmung bietet Flora capture sogar eine sogenannte Expertenbestimmung (per Klick) an, um hier die Art zusätzlich absichern zu lassen. Hierfür arbeiten am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena zwei Botaniker. Ermöglicht wurde die App über eine Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesamt für Naturschutz (BfN), dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und der Naturschutzstiftung Thüringen.
Fazit: Jedem botanisch Interessierten, der noch ein freies Datenvolumen „übrig“ hat, sei diese App wärmstens empfohlen. Auch weil es einfach Spaß macht. Aber Achtung: Die Bilder werden in Originalgröße auf dem Handy gespeichert – da kann es also auf Dauer etwas eng werden oder den Kauf einer größeren Speicherkarte erforderlich machen. Vorteil: Man hat im Laufe der Zeit eine kleine Bibliothek mit den eigenen Funden. Und hier beginnt des Menschen zweitliebste Beschäftigung: Das Sammeln!
Mehr Infos unter:
https://floraincognita.com/de
https://floraincognita.com/de/apps/plant-image-capture/
Adelmann, W. (2020): Die App Flora incognita – Pflanzen per Foto bestimmen lassen. – ANLiegen Natur 42/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/flora_incognita/.