Eine vierte Ebene der Biodiversität? Gestaltung unterstützt Artenvielfalt in der Stadt!
(Leonie K. Fischer) Naturnahe Habitate in der Stadt bieten für viele Menschen ein ungewohntes Bild. Es ist daher wichtig, erkennbar zu machen, dass diese „wilden Ecken“ beabsichtigt sind. Habitate, wie die lang aufwachsende Wiese, brauchen eine gestalterische Form, um besser akzeptiert zu werden: ein „ordentlicher“ Rahmen für die „Unordnung“.
Mit zunehmender Bevölkerungsdichte in Städten erhöht sich der Druck auf urbane Naturelemente. Zum einen wächst der direkte Druck: Parkanlagen und darin enthaltene Waldstücke, Wiesen und Rasen werden stärker genutzt. Zum anderen verschlechtern sich indirekt die Lebensbedingungen für viele Organismen zum Beispiel durch Änderungen von Luftqualität oder Oberflächenabfluss. Der Rückgang von Grünflächen führt dazu, dass Menschen immer stärker den Bezug zur Natur verlieren. Dies hat zur Folge, dass das Bewusstsein für Zusammenhänge in der Umwelt und damit auch die Bereitschaft für ein umweltbewusstes Handeln abnimmt.
Befragungen zeigen jedoch, dass viele Menschen Artenvielfalt in der Stadt gut finden und ihr positive Werte beimessen – gleichzeitig aber auch eine formale Parkgestaltung und gepflegte Grünelemente im herkömmlichen Sinne wünschen (FISCHER et al. 2018, 2020; LAMPINEN et al. 2021). Die aktuelle Debatte zum Bestäuberschutz zeigt dieses Spannungsfeld beispielhaft auf. Viele Menschen in allen Teilen der Bevölkerung möchten die Lebensbedingungen und das Vorkommen von Bestäubern fördern und unterstützen, gleichzeitig gibt es aber auch Akzeptanzprobleme von urbanen Wildniselementen, die Bestäuber fördern können. Sozial-ökologische Konzepte aus dem Bereich der „urbanen Renaturierung“ greifen hier: So können Lebensräume für spezifische Zielarten oder Artengemeinschaften gefördert und etabliert werden (siehe NEUENKAMP et al. 2021 und zugeordnetes Sonderheft). Von der Praxis und der Wissenschaft werden Hinweise gegeben, wie qualitativ hochwertige Grünelemente in der Stadt möglich sind – im Falle des Bestäuberschutzes kann dies beispielsweise die Schaffung von mehrjährigen Blühflächen, artenreichen Wiesenbeständen oder Nisthabitaten sein.
Neben den Maßnahmen selbst ist eine kontinuierliche Pflege von Lebensbereichen notwendig, um diese für Zielarten des Naturschutzes langfristig zu erhalten. Viele Pflegemaßnahmen bauen auf traditionelle naturnahe Bewirtschaftungsweisen und ein extensives Pflegeregime auf. Damit erscheinen diese naturnahen Habitate mancherorts im Kontrast zu herkömmlicher Grünflächenpflege und erzeugen andere als die gewohnten „Bilder“. Ein gutes Beispiel ist hier wieder der Lebensraum der Stadtwiese beziehungsweise die Umwandlung eines Scherrasens in eine Langgraswiese. Blüht sie bunt, sind viele Menschen von diesem Naturelement begeistert. Sobald jedoch der Spätsommer kommt und auch abgestorbene oder gelbe Pflanzenbestandteile deutlich erkennbar sind, lässt die Akzeptanz stark nach (FILLIBECK et al. 2016; HOYLE et al. 2019). Das heißt, die Veränderung vom ehemals sauber geschnittenen, gleichmäßig grünen Rasen hin zu einer hochwachsenden, heterogenen Wiese kann aus ästhetischen Gesichtspunkten zu einer Herausforderung werden, wenn es um die Akzeptanz der (Pflege-)Maßnahmen in der Bevölkerung geht (FISCHER et al. 2020). Eine höhere Mahdfrequenz, Bewässerung oder Düngung würde jedoch den naturschutzfachlichen Aspekten widersprechen. Hier ist es also wichtig, die Absicht hinter im Stadtkontext eher „ungewohnten“ Maßnahmen und neuem Pflegeregime erkennbar zu machen.
In diesem Zusammenhang weisen Studien darauf hin, dass Naturflächen in der Stadt eine gestalterische Einbindung benötigen, damit sie auch als „Absicht“ erkannt werden. Bereits 1995 spricht NASSAUER hier von den „Messy Ecosystems, Orderly Frames“ (ebenda 1995). Gemeint ist das Phänomen, dass ein „ordentlicher Rahmen“ ein „unordentliches Ökosystem“, sprich einen naturnahen Grünbereich für den Betrachtenden akzeptabler machen kann. Insbesondere neuere Transformationsprojekte von Brachflächen, stillgelegten Bahnarealen oder Flughäfen hin zu einer neuen Form von Grünflächen haben in der Praxis aufgezeigt, wie wichtig eine formgebende Gestaltung für die erfolgreiche Umwandlung unter sozial-ökologischen Gesichtspunkten sein kann.
Im Bereich der Langgraswiesen hat sich in den letzten Jahren die Mahd eines Randstreifens (auch „Sauberkeitsstreifen“) bewährt. Dieser fungiert dann als „orderly frame“, als Rahmen für die extensive Wiese, und kann vielerorts die Akzeptanz auch nach der intensiven Blühphase erhöhen. Der Mahdstreifen zeigt dem Betrachtenden: Diese Wiese ist so gewollt! Hier ist nicht der Rasenmäher kaputt gegangen – das soll so sein!
Konflikte zwischen Ästhetik und Natur- beziehungsweise Biodiversitätsschutz können damit nicht immer aus dem Weg geräumt werden, aber sie können sicherlich vielerorts entschärft werden, wenn neben einer fundierten naturschutzfachlichen Konzeption auch eine gezielte Gestaltung von Naturflächen und Naturelementen bedacht wird. Leitfragen für ein Gelingen von naturnahen oder extensiv gepflegten Ökosystemen in der Stadt können demnach sein: Welche Art von Natur nutzen die Menschen an diesem spezifischen Ort? Wie kann dafür ein kombinierter Ansatz für die Akzeptanz und den Schutz von Naturelementen entwickelt werden? Welchen Rahmen benötigt ein Naturelement, um von Menschen genutzt und wertgeschätzt zu werden?
Sicherlich werden solche Fragen nicht in jedem Projekt und an jedem Ort gleich beantwortet. Der räumliche und kulturelle Kontext spielt eine besondere Rolle, wenn es darum geht, wie Menschen Biodiversität in der Stadt wertschätzen und nutzen (FISCHER et al. 2018). Auch deshalb ist es unabdingbar, dass Planende im Bereich der Stadtnatur zusammenarbeiten und miteinander über unterschiedliche „Bilder“ und damit verbundene Schutzziele sowie ästhetische Werte von Freiflächen und Grünräumen sprechen. Die Bereitstellung und der Austausch von Informationen in alle Richtungen kann damit eine qualitativ hochwertige Gestaltgebung von Naturelementen in der Stadt unterstützen und deren Akzeptanz – auch von ungewohnten Formen der Stadtnatur – fördern.
Mehr:
FILIBECK, G., PETRELLA, P. & CORNELINI, P. (2016): All ecosystems look messy, but some more so than others: A case-study on the management and acceptance of Mediterranean urban grasslands. – Urban Forestry & Urban Greening, 15: 32–39.
FISCHER, L. K., HONOLD, J., CVEJIĆ, R. et al. (2018): Beyond green: Broad support for biodiversity in multicultural European cities. – Global Environmental Change 49: 35–45.
FISCHER, L. K., NEUENKAMP, L., LAMPINEN, J. et al. (2020): Public attitudes towards biodiversity-friendly greenspace management in Europe. – Conservation Letters 13(4): e12718.
HOYLE, H., JORGENSEN, A. & HITCHMOUGH, J. D. (2019): What determines how we see nature? Perceptions of naturalness in designed urban green spaces. – People and Nature 1(2): 167–180.
LAMPINEN, J., TUOMI, M., FISCHER, L. K. et al. (2021): Acceptance of near-natural greenspace management relates to ecological and socio-cultural assigned values among European urbanites. – Basic and Applied Ecology, 50: 119–131.
NASSAUER, J. I. (1995): Messy Ecosystems, Orderly Frames. – Landscape Journal, 14(2): 161–170.
NEUENKAMP, L., FISCHER, L. K., SCHRÖDER, R. et al. (2021): Special issue: Urban ecosystems: potentials, challenges, and solutions. – Basic and Applied Ecology, 56: 281–288.
Leonie K. Fischer (2022): Eine vierte Ebene der Biodiversität? Gestaltung unterstützt Artenvielfalt in der Stadt! – ANLiegen Natur 44/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/gestaltung-naturflaechen/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Stadtökologie:
ANLiegen Natur 44/1 (2022): 10 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,9 MB).