Wer profitiert wann von Gewässerrenaturierungen?
(Katharina Stöckl) Seit der Einführung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) im Jahr 2000 werden immer mehr Gewässer (-abschnitte) renaturiert. Doch wie wirkt sich das auf die Organismen im Gewässer und in der Aue aus? Wer profitiert wann von welchen Maßnahmen? Diesen Fragen widmeten sich nachfolgende Studien.
PILOTTO et al. (2018) werteten die Effekte von insgesamt 43 hydromorphologischen Renaturierungsprojekten in Deutschland auf drei aquatische Gruppen (Fische, Kleinlebewesen (Makroinvertebraten) und Wasserpflanzen (Makrophyten) sowie zwei terrestrische Gruppen (Laufkäfer und Auenvegetation) aus. In jedem Projekt wurde eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen umgesetzt: Am häufigsten wurden Uferbefestigungen entfernt (in 93 % der Projekte), die Flächen in der Aue extensiviert (76 %) oder der Flusslauf neu gestaltet (72 %).
Uferbewohner reagieren schnell auf neue dynamische Uferzonen
In allen untersuchten Gruppen nahm die Anzahl der Arten nach den Renaturierungen um 10–164 % zu. Vielfältiger wurden auch die Merkmalsausprägungen der Arten hinsichtlich der Lebensraumansprüche, Verbreitungsmodi, Größe, Form, Lebenszyklen und Ernährungstypen. Am stärksten reagierten die uferbewohnenden Organismengruppen: Sowohl die Laufkäfer als auch die Pflanzen der Ufervegetation profitierten insbesondere von den neuen dynamischen Uferzonen (offene Sand- und Kiesbänke) und der Wiederanbindung der Gewässer an die Aue. Als Pionierbesiedler reagierten sie darüber hinaus sehr viel schneller auf die verbesserten Habitatbedingungen als die Fische, Makroinvertebraten und die Makrophyten.
Einträge aus dem Einzugsgebiet verhindern Verbesserungen für aquatische Lebewesen
Die aquatischen Gruppen reagierten nicht nur langsamer, sondern auch deutlich schwächer auf die Renaturierungen. Die Autoren vermuten, dass dieser Befund neben dem geringeren Ausbreitungspotenzial vieler Makroinvertebraten auf weiterhin bestehende Stressoren im Einzugsgebiet wie Nährstoff- und Sedimenteinträge zurückzuführen ist, die die strukturellen Veränderungen überlagern. So sind besonders unter den Fischen und den Makroinvertebraten viele Arten, die zumindest zeitweise auf sauerstoffreiche Bedingungen im Gewässerbett angewiesen sind. Eingetragene Feinsedimente verstopfen das Kieslückensystem des Gewässerbetts und reduzieren dort die Sauerstoffverfügbarkeit, sodass die Habitatbedingungen für viele Arten ungünstig sind.
Ob Mulchsaat, Gewässerrandstreifen und Zwischenfruchtanbau diese Feinsedimente und Nährstoffe im Einzugsgebiet zurückhalten können, wurde in einer weiteren Studie überprüft. An einem Fließgewässer im Landkreis Rottal-Inn untersuchten KNOTT et al. (2018) die Qualität des Gewässersubstrats und verschiedene Organismengruppen. Im Speziellen wurde die Artzusammensetzung von Fischen, Makroinvertebraten und Aufwuchsalgen (Periphyton) abhängig vom Anteil der Flächen mit Erosionsschutz untersucht. Dabei lag der Flächenanteil an Mulchsaat an den Ackerflächen zwischen 14 und 23 % und der Flächenanteil an Pufferstreifen zwischen 0 und 13 %.
Kenngrößen der Nutzung im Einzugsgebiet – etwa der Anteil der landwirtschaftlichen Fläche, der Anteil der Fläche mit Maisanbau und mit Wintergetreide sowie der Anteil der Fläche mit erosionsmindernden Maßnahmen – und der geologischen Verhältnisse im Gebiet (Steigung, Bodenverlust durch Abtrag) wurden mittels GIS-Analysen ermittelt. Die Arten und wichtige physikochemische Parameter im Gewässer wurden je viermal an insgesamt 24 Probestellen entlang des Fließgewässers aufgenommen. Die Untersuchungen erfolgten vier bis sechs Jahre nach Umsetzung der erosionsmindernden Bewirtschaftungsmethoden.
Die erosionsmindernden Maßnahmen reduzierten das abgelagerte Feinsediment signifikant und erhöhten die Sauerstoffverfügbarkeit im Gewässerbett. Die Landnutzungsverhältnisse im Einzugsgebiet beeinflussten die Artzusammensetzung der untersuchten Gruppen: bei allen Artengruppen wurde eine Zunahme der Diversität beobachtet, je geringer der Anteil an Ackerflächen in den einzelnen Teileinzugsgebieten war.
Die Verbesserungen im Einzugsgebiet waren jedoch nicht ausreichend, um einen „guten ökologischen Zustand“ der Organismengruppen im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen. Die Autoren vermuten, dass die räumliche Ausdehnung der erosionsmindernden Maßnahmen zu gering ist beziehungsweise dass punktuelle Feinsedimentquellen, wie etwa Drainagen, eine weitere Verbesserung verhindern.
Die vorgestellten Studien dokumentieren den großen Einfluss des gesamten Gewässereinzugsgebiets auf die Lebensraumbedingungen im Fließgewässer. Sie zeigen außerdem, dass die bisherigen Anstrengungen zum Erosionsschutz häufig noch nicht ausreichen, um den Erhaltungszustand der aquatischen Arten deutlich und nachhaltig zu verbessern. Gleichzeitig sollte der positive Effekt, den die Maßnahmen der Gewässerrenaturierung auf semiaquatische und terrestrische Arten haben, bei der Erfolgsbewertung der Maßnahmen stärker berücksichtigt werden.
Literatur
KNOTT, J., Mueller, M., Pander, J. et al. (2019): Effectiveness of catchment erosion protection measures and scale-dependent response of stream biota. – Hydrobiologia 830: 77–92; DOI: 10.1007/s10750-018-3856-9.
PILOTTO, F., Tonkin, J. D., Januschke, K. et al. (2018): Diverging response patterns of terrestrial and aquatic species to hydromorphological restoration. – Conservation Biology 33: 132–141.
Stöckl, K. (2020): Wer profitiert wann von Gewässerrenaturierungen? – ANLiegen Natur 42/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/gewaesserrenaturierungen/.
Zum Volltext-Download:
ANLiegen Natur 42/1 (2020): 4 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,8 MB).
So muss ein ANL-Blog-Beitrag sein – ein Exzerpt von Artikeln, die ein „normaler Naturschutzmensch“ entweder nicht findet oder keine Zeit zum Lesen hat, kurz, aber ausführlich genug, um ihn das nächste Mal als Argument aus der Schublade zu ziehen oder in die Diskussion einzubauen. Im Übrigen bestätigen die Ergebnisse eines der Ziele des Volksbegehrens: Gewässerrandstreifen sind gut, notwendig und wichtig. Und zum Blog: Besten Dank an Kathi Stöckl!
Lieber Herr Schreiber,
vielen Dank für die Rückmeldung zum Artikel „Wer profitiert wann von Gewässerrenaturierungen?“ Wir freuen uns, dass die Notiz für Sie hilfreich und wertvoll ist für Ihre Arbeit im Naturschutz. Wir bemühen uns, auch künftige Beiträge entsprechend zu gestalten. Für Vorschläge zu Themen, die wir aufgreifen sollten, sind wir offen und dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Katharina Stöckl-Bauer