Europäische Studie: Biodiversität profitiert kaum von Ökologischen Vorrangflächen
(Monika Offenberger) Ökologische Vorrangflächen, kurz ÖVF, sollen im Rahmen des Greenings dem alarmierenden Rückgang der Agro-Biodiversität entgegenwirken. Zur Umsetzung haben die Landwirte zahlreiche Optionen, etwa die Anlage von Blühstreifen, den Erhalt von Landschaftselementen oder eine besonders umweltschonende Bewirtschaftung. Ein internationales Team von Wissenschaftlern untersuchte die Effizienz der möglichen ÖVF-Optionen seit Einführung des Greenings 2015. Das Fazit: In der EU wurden seither nur auf einem Viertel der ÖVF Optionen umgesetzt, die nachweislich der Biodiversität zugutekommen; in Deutschland ist der Anteil noch geringer.
Der dramatische Artenrückgang in der Agrarlandschaft sowie anhaltend hohe Nährstoffeinträge in Böden und Gewässer mahnen eine stärkere Ökologisierung der Landwirtschaft an. Als Konsequenz hat die EU-Kommission mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik eine „grünere“ 1. Säule bei der Förderung von Landwirten beschlossen. Ein Teil der Direktzahlungen ist seit dem 1. Januar 2015 an Bewirtschaftungsmethoden gebunden, die den Klima- und Umweltschutz fördern. Im Fokus stehen drei Handlungsfelder: Die Landwirte sind verpflichtet, eine Fruchtfolge einzuhalten, Dauergrünland zu erhalten sowie auf mindestens fünf Prozent ihrer Ackerflächen ökologische Vorrangflächen bereitzustellen. Insbesondere die ÖVF sollen der heimischen Fauna und Flora zugutekommen. Wie wirksam diese Greening-Maßnahme für den Artenschutz tatsächlich ist, wurde in einer europaweiten Studie untersucht.
Nur drei von zehn ÖVF-Maßnahmen fördern die Artenvielfalt
Dazu hat ein interdisziplinäres Team aus 16 Forschungsinstituten die Umsetzung der ÖVF in den 28 Mitgliedsstaaten der EU erfasst und ihren Nutzen für die Artenvielfalt bewertet. Das EU-Regelwerk gibt den Landwirten für ÖVF zehn verschiedene Maßnahmen zur Auswahl, die unterschiedlich gewichtet werden. „Wir wollten wissen, was diese Optionen für den Artenschutz bewirken“, sagt Sebastian Lakner vom Lehrstuhl für Agrarpolitik der Universität Göttingen, der an der Studie mitgewirkt hat. Insgesamt 310 Biodiversitätsforscher in ganz Europa wurden um ihre Einschätzung gebeten, wie geeignet die unterschiedlichen ÖVF-Maßnahmen für den Artenschutz sind. 88 Experten haben sich an der Umfrage beteiligt. „Die Kollegen mussten für jede Maßnahme ein Ranking vornehmen, von sehr effektiv bis gar nicht effektiv. Dabei kam heraus, dass nur drei ÖVF-Maßnahmen effektiv sein können, nämlich Landschaftselemente, Blühstreifen und Brachen. Die anderen sieben Optionen leisten keinen signifikanten Beitrag zur Agrobiodiversität.“
Die Ökologen mussten ihre Einschätzung nicht nur anhand eigener Expertise begründen, sondern auch durch einschlägige wissenschaftliche Studien belegen. Parallel zur Expertenbefragung wurden Daten erhoben, welche ÖVF-Maßnahmen in den Mitgliedsstaaten der EU seit 1. Januar 2015 zur Anwendung kamen. Das Ergebnis ist ernüchternd: In vielen Ländern wird nur ein Teil der zehn möglichen Optionen angeboten; nur 17 Staaten erkennen Blühstreifen als ÖVF an. Die drei effektiven Maßnahmen – Brache, Blühstreifen und Landschaftselemente – werden innerhalb der EU lediglich auf 25 % der ÖVF und in Deutschland nur auf 20 % der ÖVF genutzt. Bayern liegt mit 14,2 % artenschutzrelevanter ÖVF-Maßnahmen sogar noch unter dem bundesweiten Durchschnitt. Zu den besonders häufig genutzten, aber aus Expertensicht für die Biodiversität irrelevanten Optionen gehört der Anbau von Zwischenfrüchten und Untersaaten: Sie machen EU-weit 28 %, in Deutschland 68 % und in Bayern sogar 72 % der ÖVF aus. Obwohl die EU-Länder insgesamt auf mehr als 14 % ihrer Ackerflächen ÖVF geschaffen und damit die 5 %-Vorgabe der Kommission übererfüllt haben, profitiert die Biodiversität davon kaum.
Agrarumweltmaßnahmen sinnvoller als ÖVF
Sebastian Lakner hält diese Entwicklung für einen ökologischen Irrweg und zudem für eine Verschwendung von Steuergeldern: „Die Landwirte bekommen im Rahmen des Greenings je nach Berechnungsmethode zirka 800 Euro pro Hektar für ÖVF-Maßnahmen, obwohl der Großteil dieser Flächen nicht dem Artenschutz zugutekommt. Dagegen bringt eine typische Agrarumweltmaßnahme auf dem Ackerland nur 500 bis 700 Euro pro Hektar ein, im Grünland sind die Prämien noch etwas niedriger. Da wird also eine unspezifische Maßnahme, die für die Biodiversität irrelevant ist, deutlich höher honoriert als eine aufwendige Maßnahme wie etwa der gezielte Schutz von Rebhühnern auf dem Acker“. Einen weiteren Schwachpunkt sieht der Göttinger Ökonom bei den Landschaftselementen. Zwar tragen auch sie effektiv zur Artenvielfalt bei. „Für eine Greening-Prämie werden keine neuen Hecken gepflanzt, das ist unrealistisch. Die bestehenden Hecken werden eben nur als ÖVF gemeldet, aber es entsteht kein Mehrwert“, sagt Sebastian Lakner.
Das internationale Forschungs-Team richtet sich mit seiner Studie in erster Linie an die EU-Kommission. „Wir wollen keinesfalls die Landwirte kritisieren, die sich ja nur im vorgegebenen Rahmen auf nachvollziehbare Weise verhalten“, betont Lakner. Falsch gesetzte finanzielle Anreize und bürokratische Hürden würden verhindern, dass ökologisch und zugleich ökonomisch sinnvolle Optionen umgesetzt werden, klagt der Forscher und demonstriert dies am Beispiel Pufferstreifen: „Eigentlich ist das eine der einfachsten ÖVF-Maßnahmen, weil man da sehr wenig Fläche hergeben muss. In Bayern und anderen Bundesländern kann man diese Greening-Maßnahme auch noch mit einer Prämie aus dem Agrarumweltprogramm kombinieren und so für dieselbe Fläche mehr Geld bekommen“. Trotz des wirtschaftlichen Vorteils wird diese Option jedoch kaum gewählt. Verschiedene Befragungen von Praktikern zeigen, dass die rechtlichen Vorgaben für die effektiven Maßnahmen zu kompliziert sind. So darf ein Blühstreifen als ÖVF maximal zehn Meter breit sein, als AUP muss er aber mindestens sechs Meter breit sein. „Nun ist aber ein Ackerrand nicht immer total gerade, schon gar nicht, wenn er an ein Gewässer grenzt. Trotzdem muss überall die geforderte Breite präzise eingehalten werden. Wenn die Abweichung irgendwo mehr als 20 % beträgt, kann nicht nur die Greening-Prämie aberkannt werden, sondern auch die komplette Direktzahlung für den gesamten Schlag und für die ganze Finanzperiode von sieben Jahren. Das ist absurd“, kritisiert Lakner.
Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass das Regelwerk zum Greening verbesserungswürdig und -fähig ist. „Es gibt einige Stellschrauben, an denen noch gedreht werden kann“, sagt Sebastian Lakner: „Wenn wir wirklich die Biodiversität auf unseren landwirtschaftlichen Flächen fördern wollen, sollten wir die bürokratischen Vorgaben für Blühstreifen deutlich vereinfachen. Insgesamt wäre es für Landwirte und Steuerzahler und nicht zuletzt für die Natur weitaus sinnvoller, die Greening-Gelder in die existierenden Agrarumweltprogramme zu investieren.“
Mehr:
PE´ER, G. et al. (2017): Adding Some Green to the Greening: Improving the EU´s Ecological Focus Areas for Biodiversity and Farmers. – Conservation Letters 10, doi:10.1111/conl.12333: 517–530; http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/conl.12333/full.
LAKNER, S. et al. (2017): The German Implementation of Greening – Effectiveness, Participation & Policy Integration with the Agri-Environmental Programs. – Contributed Poster to the XV EAAE Congress Towards Sustainable Agri-Food Systems: Balancing between Markets and Society; http://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn059227.pdf.
Offenberger, M. (2018): Europäische Studie: Biodiversität profitiert kaum von Ökologischen Vorrangflächen. – ANLiegen Natur 40/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/greening_biodiv/.