Praxis-Anleitung zum Lebensraum-Vernetzen
(AZ) Die Zerschneidung von Lebensräumen bedeutet für zahlreiche Tiere Lebensgefahr und ist für den Erhalt einiger Populationen ein relevantes Problem. Dazu hat ein internationales Autorenteam nun ein extrem umfassendes Handbuch vorgelegt, das hochkomprimiert den aktuellen Wissensstand rund um Zerschneidungswirkungen von Straßen und anderen linearen Trassen zusammenfasst.
„Ungemein horizonterweiternd und reich an Anregungen für die konkrete Planungs- und Naturschutzpraxis“, soweit das Vorwort eines Rezensenten, der angesichts der faszinierenden Vielfalt an Erkenntnissen, Umsetzungsbeispielen und Planungshinweisen gar nicht weiß, wo er beginnen soll. Und das obwohl das Buch eigentlich hervorragend strukturiert ist: In 64 nahezu identisch aufgebauten Kapiteln (summary, introduction, lessons, conclusions, further reading und references) werden die verschiedensten Aspekte rund um die Zerschneidung von Lebensräumen abgearbeitet. Inhaltlich vernetzt der gespannte Bogen den Wert unzerschnittener Räume mit der notwendigen Abschätzung von Auswirkungen in der Planungsphase und speziellen Wildschutzmaßnahmen (wie Zäunung, Durchlässe, Kronenbrücken) über das Monitoring von Effekten und dem Vegetationsmanagement bis hin zu regionalen Beispielen aus aller Welt. Und das sind nur einige zentrale Inhalte. Dabei fokussiert das Werk nicht allein auf vierbeinige Großsäugetiere, sondern behandelt erfreulicherweise genauso Insekten, Fische, Reptilien, Fledermäuse sowie manch für Mitteleuropäer exotisch anmutendes Getier (Elefanten, Flughörnchen und anderes). Besonders intensiv werden von den rund 110 Autoren aus über 25 Ländern die – zumeist negativen – Effekte von Straßen diskutiert, doch auch die Auswirkungen von Eisenbahnen und linearen Versorgungseinrichtungen.
Als zentrale Lehre aus den vielen Beispielen lässt sich wohl ableiten, dass
- manche Strukturen, wie hohe Bordsteine oder Betonwände, ein Überqueren für einige Tiere stark erschweren oder unmöglich machen,
- bevorzugte Lebensraum-Ressourcen im direkten Straßenumfeld die Gefährdungen für Tiere deutlich erhöhen können,
- Querungshilfen (gegebenenfalls artspezifische) notwendig sind, um Gefährdungen abzumildern,
- Durchlässe und Querungshilfen ausreichend groß dimensioniert und funktionell sein müssen, um ihre Aufgabe zu erfüllen sowie
- die Zerschneidungswirkungen bereits in der Planungsphase diskutiert und effektiv verringert werden müssen.
So zeigt das Handbuch auf, welche erprobten Lösungsmöglichkeiten bestehen, die bei Neubauvorhaben standardmäßig berücksichtigt werden sollten, oder spätestens von Naturschutzbehörden oder Verbänden als Vermeidungsmaßnahmen eingefordert werden müssen. Ein Blick in die niederländische Praxis zeigt beispielhaft, was umsetzbar ist. Dadurch, dass in allen Kapiteln die zentralen Ergebnisse zusammengefasst sind und neben der zitierten Literatur auch wichtige Quellen zur Vertiefung angegeben sind, ist es leicht möglich, gezielt die Kenntnisse bezüglich individueller Fragestellung zu verbessern – sofern man Zugriff auf die Primärquellen erhalten kann.
Das Buch ist von einem extrem hilfreichen Online-Angebot begleitet (URL 1). So finden sich alle Tabellen und Abbildungen im Netz und ermöglichen so bereits einen wertvollen Einblick in den Inhalt. Gleichzeitig können so Inhalte für Vorträge oder Präsentationen weiterverwendet werden, um die wertvollen Informationen in die Praxis zu tragen.
Aus meiner Sicht ein Werk, das in keiner mit der Planung, dem Bau oder dem Betrieb von linearen Strukturen befassten Behörde, keinem Planungsbüro oder Unternehmen fehlen darf.
Mehr:
URL 1 (2015): www.wiley.com\go\vanderree\roadecology.
Rodney van der Ree, Daniel J. Smith, Clara Grilo (2015): Handbook of Road Ecology. – Wiley-Blackwell, ISBN 978-1-118-56818-7: 552 pages, 118,80 Euro.
Zitiervorschlag: Zehm, A. (2015): Praxis-Anleitung zum Lebensraum-Vernetzen. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/handbook_road_ecology/.