Höhlenbäume erhalten – ein Leitfaden für die kommunale Artenschutz-Praxis
(MO, AZ) Höhlenbäume bieten einer Vielzahl gefährdeter Tiere Fortpflanzungs- und Ruhestätten – und sind daher gesetzlich geschützte Lebensräume. Ein umfangreicher Leitfaden zeigt, wie sich Baumpflege und Verkehrssicherung in der kommunalen Praxis mit dem vorgeschriebenen Artenschutz vereinbaren lassen.
Nur wer seine Nachbarn und ihre Bedürfnisse kennt, ist auch bereit, auf sie Rücksicht zu nehmen. Andernfalls sind Konflikte vorprogrammiert. Was allgemein für gute Nachbarschaft gilt, trifft genauso auf die zumeist wenig bekannten Bewohner von Höhlen in städtischen Bäumen zu. Parks und andere öffentliche Grünflächen im urbanen Raum werden intensiv von Menschen genutzt. Damit bei allen Aktivitäten niemand zu Schaden kommt, müssen die Anlagen gepflegt und ihre Wege gesichert werden. So werden allein auf öffentlichem Grund der Stadt Frankfurt jedes Jahr mehrere hundert Bäume beschnitten oder gar gefällt; weit mehr Fällanträge werden darüber hinaus von privaten Eigentümern gestellt. Für den Artenschutz ist das fatal. Denn mit jeder Baumhöhle verschwinden Winterquartiere für Fledermäuse, Niststätten für Vögel, Ruheräume für Kleinsäuger und Brutsubstrate für zum Teil sehr seltene Insekten. Teilweise können solche Eingriffe sogar relevant für ganze Tierpopulationen sein, etwa wenn ein Winterschlafbaum mit mehreren hundert Fledermäusen oder einer der wenigen Brutbäume des stark gefährdeten Juchtenkäfers gefällt werden.
Weil viele dieser folgenschweren Aktionen aus Unkenntnis oder Ahnungslosigkeit geschehen, setzt das Umweltamt der Stadt Frankfurt auf Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit. Dazu musste man sich jedoch zunächst selbst ein Bild davon machen, welche Bedeutung Baumhöhlen – sei es in alten Astlöchern, Rissen und Wunden oder unter abstehenden Rindenstücken – im urbanen Raum haben. Bei einer Bestandsaufnahme in 21 städtischen Grünanlagen fanden die Biologen knapp 3.600 Baumhöhlen. In 12 dieser Grünflächen fahndeten die Experten auch nach den Bewohnern der Baumhöhlen. Das beeindruckende Ergebnis: Insgesamt 15 Fledermausarten und 103 Quartierbäume wurden gezählt. An weiteren 90 Höhlen beobachteten die Biologen die teils wechselnden Bewohner; das Artenspektrum reichte von Insekten über Vögel bis zu kleinen Säugetieren.
Zudem zeigte sich, dass – bezogen auf die Gesamtanzahl der Bäume – viele Höhlenbäume im Siedlungsgebiet Frankfurts vorkommen, wobei die Spechthöhlen am häufigsten waren, gefolgt von Astabbrüchen. Dabei fanden die Forscher 65 % der Fledermausquartiere in ehemaligen Spechthöhlen, was die hohe Bedeutung dieses Höhlentyps unterstreicht. 80 % der Höhlen sind in Bäumen mit einem Brusthöhendurchmesser zwischen 20 und 80 cm und einem Alter zwischen rund 140 und 160 Jahren. Fledermausquartiere wurden vor allem in alten Eichen mit einem Baumhöhlendurchschnitt von mehr als 60 cm festgestellt. Erstaunlicherweise konnten 90 % der Höhlen in vitalen Bäumen gefunden werden. Neben einem günstigen Mikroklima für die Höhlenbewohner ermöglicht dies eine lange Lebensdauer und günstige Entwicklung der Höhlen. So vergrößern sie sich im Laufe der weiteren Entwicklung der Bäume durch Ausfaulen, wodurch in einem Zeitraum von etwa 50 Jahren ehemalige Spechthöhlen für Folgenutzer wie Fledermäuse attraktiv werden.
Ziel der aufwendigen Kartierung war nicht nur eine Inventur der Höhlenbäume und ihrer Bewohner. Auch die Methoden zu ihrer Erfassung sollten dabei getestet und hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit und Effektivität bewertet werden. Weiteres Ergebnis des Projektes ist, dass die Frankfurter Höhlenbäume markiert wurden und in einer Datenbank dokumentiert sind, wodurch räumlich konkrete Planungen möglich werden. Ein Beispiel ist ein Lenkungskonzept, um das öffentliche Wegenetz innerhalb eines Parks zu verringern und neben einem innerstädtischen „Wildnisgebiet“ die Reduktion der Verkehrssicherungspflichten zu ermöglichen.
Der gesetzliche Artenschutz ist bei der Baumpflege und Verkehrssicherung verpflichtend; Verstöße gelten als Ordnungswidrigkeit entsprechend den §§ 69 und 71 des Bundesnaturschutzgesetztes (BNatschG). Deshalb muss bei Fällungen oder Baumpflegearbeiten der Stand der Technik angewendet und mit effizienten Methoden sichergestellt werden, besonders geschützte Tierarten nicht zu gefährden. Eine Hilfestellung dazu ist ein Schema zur Beurteilung von Eingriffen an Baumhöhlen-Bäumen, das auf Seite 60 des Leitfadens vorgestellt und mit einigen Fallbeispielen hinterlegt wird.
Eine große Bedeutung hat dabei das Erkennen von Höhlenbäumen, was unter anderem anhand von Ausfluglöchern von Holzinsekten, Kotpapillen oder Häutungsresten von Käfern im Mulm möglich ist. Weitere Hinweise sind zur Brutzeit ein- und ausfliegende Vögel, Nestreste sowie Kotspuren am Einflugloch oder Kotklümpchen von Fledermäusen im Bereich der Höhle oder des Stammfußes. Zur letztgültigen Klärung, ob eine Besiedelung vorliegt, helfen Endoskopkameras oder Hubsteiger.
Der entstandene Leitfaden, in dem die oben genannten Ergebnisse ausführlicher dargestellt werden, war ein Hauptziel des Projekts. Denn in bestehenden Kenntnislücken sehen die Biologen große Defizite: So haben Erfahrungen aus der langjährigen Zusammenarbeit mit Baumpflegern, Förstern und Parkgärtnern gezeigt, dass eine große Bereitschaft besteht, Baumhöhlen bewohnende Tierarten zu schonen und damit auch geltendes Artenschutzrecht in den Arbeitsablauf zu integrieren. Der Kenntnisstand ist jedoch sehr unterschiedlich und oft nicht so gut, dass eine ausreichende Berücksichtigung der Schutzbelange gewährleistet ist.“ Dass im Weiteren sogar artenschutzrechtliche oder genehmigungspflichtige Tatbestände vorliegen, ist weitgehend unbekannt. Mit dem neuen Leitfaden aus Frankfurt könnte sich das ändern.
Neben dem Leitfaden gibt die Stadt Frankfurt ansprechend gestaltete Flyer mit Fotos und Informationen über Baumhöhlen heraus. Darin wird die Bevölkerung aufgerufen, an Baumhöhlen beobachtete Tiere wie Fledermäuse, Bilche oder brütende Vögel zu melden. Außerdem beraten die Mitarbeitenden der Stadt gerne auch persönlich, beispielsweise wenn es erforderlich werden sollte, einen Höhlenbaum zu beschneiden oder zu fällen. Durch eine Vielzahl zusätzlicher Fachvorträge und Exkursionen soll diese Mitmach-Aktion den Städtern eine bislang wenig beachtete Gruppe von Mitbewohner näherbringen: die Tiere der Baumhöhlen.
Mehr:
Dietz, M., Schieber, K. & Mehl-Rouschal, C. (2013): Höhlenbäume im urbanen Raum. Entwicklung eines Leitfadens zum Erhalt eines wertvollen Lebensraumes in Parks und Stadtwäldern unter Berücksichtigung der Verkehrssicherung. – Hrsg.: Umweltamt Stadt Frankfurt am Main und Institut für Tierökologie und Naturbildung. Teil 1 Projektbericht: 137 S.; www.frankfurt.de/sixcms/media.php/738/hoehlenbaeume_im_urbanen_raum_projektbericht_nbf.pdf. Teil 2 Leitfaden: 95 S.; www.frankfurt.de/sixcms/media.php/738/hoehlenbaeume_im_urbanen_raum_leitfaden_juli2013_nbf.pdf.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. & Zehm, A. (2015): Höhlenbäume erhalten – ein Leitfaden für die kommunale Artenschutz-Praxis. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/hoehlenbaeume/.