Ursachen für Insektenrückgänge in Grünland und Wald sind auf Landschaftsebene zu finden
(Sebastian Seibold und Wolfgang W. Weisser) Ergebnisse aus den „Biodiversitäts-Exploratorien“ zeigen: Punktuelle Maßnahmen zum Schutz der Insekten reichen im Wald und Grünland nicht aus. Die Ursachen der Arthropodenrückgänge wirken auf Landschaftsebene. Maßnahmen sollten auf größerer Fläche erfolgen und räumlich koordiniert werden, um eine Flächenwirkung zu erreichen.
Im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms „Biodiversitäts-Exploratorien“ wurden von 2008 bis 2017 Insekten und Spinnen auf 150 Grünland- und 140 Waldflächen erfasst und hinsichtlich ihrer zeitlichen Entwicklung analysiert (SEIBOLD et al. 2019). Die Versuchsflächen befanden sich in drei Regionen in Deutschland (Schwäbische Alb, Hainich-Dün und Schorfheide-Chorin) und bildeten je einen Gradienten der lokalen Landnutzungsintensität (un-/extensiv bewirtschaftet bis intensiv bewirtschaftet; Abbildung 1). Die Landnutzungsintensität in der umgebenden Landschaft wurde über den Anteil an Ackerflächen, Grünland und Wald innerhalb von einem Kilometer Umkreis quantifiziert. Die Erfassungen erfolgten im Grünland mit Hilfe von standardisierten Kescherfängen und im Wald mittels Flugfensterfallen. In Summe wurden über eine Million Individuen erfasst, darunter etwa 2.700 Arthropodenarten.
Im Grünland nahmen sowohl die Gesamtartenzahl (= Gammadiversität) aller Grünlandflächen pro Jahr als auch die Biomasse, Individuenzahl und Artenzahl pro Versuchsfläche während des Untersuchungszeitraums signifikant ab. Auch wenn die Biomasse und Artenzahl auf intensiv bewirtschafteten Grünlandflächen niedriger war als auf extensiv bewirtschafteten Flächen, hatte die lokale Landnutzungsintensität keinen Einfluss auf die Stärke des Rückgangs. Das bedeutet extensiv bewirtschaftete Flächen, unter anderem in Schutzgebieten, waren gleichermaßen vom Rückgang betroffen, wie Intensivgrünland. Die Landnutzung in der umgebenden Landschaft hatte jedoch einen signifikanten Effekt auf den Rückgang der Artenzahl im Grünland: Der Rückgang war auf Flächen, die von viel Ackerland umgeben waren, stärker als auf Flächen mit weniger angrenzender Ackernutzung. Dabei nahmen sowohl Arten mit geringer, als auch Arten mit starker Ausbreitungsfähigkeit in Biomasse, Individuenzahl und Artenzahl ab. Arten mit geringer Ausbreitungsfähigkeit gingen jedoch besonders auf Flächen mit hohem Ackeranteil in der Umgebung zurück.
Im Wald nahmen die Gesamtartenzahl aller Waldflächen pro Jahr sowie die Biomasse und Artenzahl pro Versuchsfläche signifikant ab. Die Stärke der zeitlichen Trends war unabhängig von der lokalen Landnutzungsintensität und auch vom Anteil der Ackerflächen in der Umgebung. Allerdings war der Rückgang in der Artenzahl auf Flächen schwächer, auf denen natürliche Faktoren zum Absterben von Bäumen geführt hatten oder Bäume geerntet wurden. Der Grund hierfür ist vermutlich die Zunahme in der Vielfalt an Habitaten, zum Beispiel durch mehr Totholz, höhere Deckung der Krautschicht und stärkere Besonnung. Im Gegensatz zum Grünland nahmen im Wald insbesondere Arten mit starker Ausbreitungsfähigkeit über die Zeit ab, während Arten mit geringer Ausbreitungsfähigkeit sogar über die Zeit zunahmen.
Die mittlere Temperatur während der Wintermonate und die Niederschlagssumme der Vegetationsperiode hatten einen starken Effekt auf die Schwankungen in den Arthropodenzahlen zwischen den Jahren. Es fanden sich jedoch keine Hinweise, dass die Rückgänge durch den Klimawandel verursacht wurden.
Die Ergebnisse sind ein weiterer Beleg, dass Bestände verschiedener Insektengruppen und Spinnen in Deutschland abgenommen haben und sie zeigen deutlich, dass nicht nur Arthropoden im Offenland, sondern auch im Wald von diesen Rückgängen betroffen sind. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Ursachen der Arthropodenrückgänge im Grünland mit der Landwirtschaft, insbesondere dem Ackerbau, in der umgebenden Landschaft in Zusammenhang stehen. Die Ursachen der Rückgänge im Wald bleiben jedoch unklar. Dass allerdings vor allem Arten mit starker Ausbreitungsfähigkeit rückläufig sind, deutet darauf hin, dass auch im Wald die Ursachen der Rückgänge auf Landschaftsebene zu finden sind.
Da auch Schutzgebiete und extensiv bewirtschaftete Flächen von den Rückgängen betroffen sind, scheinen lokale Maßnahmen zum Schutz der Insekten allein nicht ausreichend. Maßnahmen sollten auf größerer Fläche erfolgen und räumlich koordiniert werden, um eine Flächenwirkung zu erreichen. Auch wenn aus der vorliegenden Studie keine Rückschlüsse zum Beitrag verschiedener Komponenten landwirtschaftlicher Nutzung getroffen werden können, sollten auf Basis des aktuellen Wissensstandes Maßnahmen sowohl darauf abzielen, Lebensraumverfügbarkeit und -qualität auf Landschaftsebene zu erhöhen, als auch darauf, Pestizideinsätze und Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren. Waldbewirtschaftung sollte Lebensraumvielfalt erhalten und erhöhen. Insbesondere Lücken im Kronendach und ausreichende Totholzvorräte sind wichtig für die Biodiversität von Insekten. Innerhalb von Schutzgebieten sowie in ihrer Umgebung, müssen Maßnahmen intensiviert und ausgedehnt werden, um Pufferzonen zu schaffen und um Lebensraumverfügbarkeit und -qualität zu erhöhen.
Mehr:
SEIBOLD, S., GOSSNER, M. M., SIMONS, N. K., BLÜTHGEN, N., MÜLLER, J., AMBARLI, D., AMMER, C., BAUHUS, J., FISCHER, M., HABEL, J. C., LINSENMAIR, K. E., NAUSS, T., PENONE, C., PRATI, D., SCHALL, P., SCHULZE, E. D., VOGT, J., WÖLLAUER, S. & WEISSER, W.W. (2019): Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. – Nature 574: 671–674; https://doi.org/10.1038/s41586-019-1684-3.
Seibold, S. & Weisser, W. W. (2020): Ursachen für Insektenrückgänge in Grünland und Wald sind auf Landschaftsebene zu finden. – ANLiegen Natur 42/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/insect-decline/.
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ANLiegen Natur 42/2 (2020): 6 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,6 MB).