Insekten in Naturschutzgebieten stark mit Pestiziden belastet
(Gerti Fluhr-Meyer) Insgesamt 47 verschiedene Pestizide fand ein Forscherteam in den Sammelproben von Insekten aus 21 deutschen Naturschutzgebieten. Keine der untersuchten Insektengemeinschaften war unbelastet. Als Quelle für die Pestizide identifizierten die Forschenden Agrarflächen in einem Umkreis von 2 Kilometern rund um die Schutzgebiete. Sie empfehlen daher, ebenso breite, pestizidfreie Pufferzonen rund um Naturschutzgebiete einzurichten, auf denen nur ökologische Landwirtschaft betrieben werden sollte.
Pestizide sind aus Sicht vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Hauptgrund für den drastischen Rückgang von Insekten in Naturschutzgebieten. Ihre Biomasse hat laut der 2017 erschienenen, viel beachteten Studie des Entomologischen Vereins Krefeld in norddeutschen Schutzgebieten von 1989 bis 2015 um 75 Prozent abgenommen.
Die Ergebnisse einer aktuellen Studie im Rahmen des NABU-Projekts „Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen (DINA)“ (URL 1) stützen nun die Hypothese von Pflanzenschutzmitteln als Hauptursache für diese enorme Abnahme.
Im Schnitt 16 verschiedene Pestizide
In 21 ausgewählten deutschen Naturschutzgebieten untersuchten Forschende von der Universität Koblenz-Landau, welche Pestizide in den dort lebenden Insektengemeinschaften vorkommen. Sie nahmen dazu Insektenproben unter die Lupe, die im DINA-Projekt gesammelt worden waren. In sogenannten „Malaise-Fallen“, zeltartigen Insektenfallen, die in den Naturschutzgebieten aufgestellt wurden, waren im Mai und August 2020 jeweils zwei Wochen lang sämtliche einfliegenden Insekten gefangen und in Alkohol konserviert worden. Diese Sammelproben überprüften die Landauer Wissenschaftler mit Hilfe einer sehr empfindlichen Multi-Analyse-Methode auf 92 mögliche Pestizide.
Es zeigte sich: In keinem der Untersuchungsgebiete war die Insektengemeinschaft pestizidfrei. Im Schnitt identifizierten die Forschenden 16 unterschiedliche Stoffe. Die Zahl der gefundenen Pflanzenschutzmittel variierte zwischen 7 und 27. Insgesamt konnten die Forschenden 47 verschiedene Substanzen nachweisen. Wichtig: Erfasst wurden nur die Tiere, die die Pestizide überlebt hatten und noch in die Fallen geraten konnten.
„Die untersuchten Insektengemeinschaften waren einem Cocktail verschiedener Substanzen ausgesetzt“, informiert Carsten Brühl, unter dessen Leitung die Analysen stattfanden. Laut dem Forscher demonstriere dies die Realitätsferne der gegenwärtigen Bewertungspraxis bei der Zulassung von Pestiziden. „Betrachtet wird nur die Wirkung eines einzigen Stoffes“, meint Brühl. „Tatsächlich kommt es aber bei einer Mischung so vieler Substanzen zu Wechselwirkungen und Verstärkungseffekten, die als Ursache für den Rückgang der Insekten diskutiert werden.“
Verbotenes Neonicotinoid gefunden
In allen untersuchten Arealen konnten die Forschenden Rückstände der Herbizide S-Metolachlor, Prosulfocarb und Terbuthylazin sowie der Fungizide Azoxystrobin und Fluopyram nachweisen. In 16 der 21 Gebiete war auf den Tieren zudem das seit Sommer 2020 in der EU für den Einsatz im Freiland verbotene Neonicotinoid Thiacloprid vorhanden, das Bienen und andere Bestäuberinsekten schädigt. „Das waren wahrscheinlich Reste, die noch vor der am 21. Februar 2021 endenden Aufbrauchfrist flächendeckend gespritzt wurden“, vermutet Carsten Brühl. „Das zeigt, wie wichtig es ist, bei einem Pestizidverbot die Vernichtung der Restbestände vorzuschreiben statt eine Aufbrauchfrist festzulegen.“
Umliegende Agrarflächen Quelle der Belastung
Doch woher kamen die Pestizide auf den Insekten? Aufschluss gab eine ökologische Raumanalyse, durchgeführt von Projektpartnern am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Sie zeigte, dass die Tiere im Schnitt in einem Umkreis von zwei Kilometern rund um Naturschutzgebiete unterwegs waren, wo sie auf Agrarflächen Pestizide aufnehmen konnten. Für ihren Flugradius von weniger als hundert Metern bis zu mehreren Kilometern reicht die Fläche von Naturschutzgebieten in der Regel nicht aus. Diese beträgt im Schnitt weniger als 300 Hektar, 60 Prozent der Naturschutzgebiete sind sogar kleiner als 50 Hektar.
Zwei Kilometer breite Puffergürtel können Insekten schützen
Aus den Ergebnissen leitet das Forscherteam um Carsten Brühl die Empfehlung ab, rund um Naturschutzgebiete zwei Kilometer breite, ökologisch bewirtschaftete Puffergürtel einzurichten, in denen keine synthetischen Pestizide eingesetzt werden. Eine solche Maßnahme beträfe 30 Prozent der Agrarfläche Deutschlands. „Das erscheint auf den ersten Blick sehr viel“, meint Carsten Brühl. „Es entspräche aber der Forderung der EU nach 25 Prozent und der neuen Ampel-Koalition nach 30 Prozent Biolandwirtschaft bis 2030.“
Literatur und weitere Informationen
BRÜHL, C. A., BAKANOV, N., KÖTHE, S. et al. (2021): Direct pesticide exposure of insects in nature conservation areas in Germany. – Scientific Reports 11: 24144; www.nature.com/articles/s41598-021-03366-w.
HALLMANN, C. A., SORG, M., JONGEJANS, E. et al. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. – PloS one 12(10), e0185809; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809.
URL 1: NABU-Projekt: Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen (DINA) – Verbundvorhaben zum Insektenschwund; www.dina-insektenforschung.de/.
Gerti Fluhr-Meyer (2022): Insekten in Naturschutzgebieten stark mit Pestiziden belastet. – ANLiegen Natur 44/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/insekten-pestizide/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Artenschutz:
ANLiegen Natur 44/1 (2022): 6 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,5 MB).