Strukturen und Blüten für Insekten im Wald: Aufwertung von Freiflächen im Lohrer Stadtwald
(Laura Korbacher, Veronika Hierlmeier-Hackl, Christian Salomon) Strukturreiche Waldränder und Lichtungen bieten großes Potenzial für die Förderung von Insekten. Ein Projekt im Lohrer Stadtwald untersucht, wie sich die Aufwertung von Freiflächen im Wald auf die Vielfalt und Biomasse von Insekten und die Vegetation auswirkt. Als Best Practice-Beispiel soll es Waldbesitzenden vermitteln, wie sie die Artenvielfalt in und am Wald abseits „klassischer Blühflächen“ effektiv fördern und erhalten können.
Insekten an Waldrändern und Lichtungen fördern: Aufwerten – aber richtig!
Biomasse und Anzahl von seltenen als auch häufigen Insektenarten sind auch im Wald stark rückläufig (SEIBOLD et al. 2019). Gründe dafür können einheitliche Monokulturen oder invasive Neophyten sein, aber oft auch die scharfen Grenzen zwischen strukturarmem Offenland und dichten Waldbeständen. Gut ausgebildete, strukturreiche Übergangsbereiche bieten kleinräumig wechselnde Standortbedingungen mit verschiedenen Lebensräumen für zahlreiche Arten. Besonders lichtliebende Insekten und Blütenpflanzen profitieren von solchen Strukturmosaiken, die mit ihren Rückzugs- und Verbreitungsräumen auch zur Verbindung von Biotopen beitragen.
Modellprojekt im Stadtwald Lohr am Main
Die Initiative für das Pilotprojekt kam von der Forstverwaltung der Stadt Lohr am Main: für eine fachliche Beratung zur Biodiversitätsförderung im Wald wendete sich der Forstamtsleiter an den Biodiversitätsbeauftragten der Regierung von Unterfranken. In Kooperation mit dem Projekt „Insekten und Blühflächen“ des Bayerischen Artenschutzzentrums im Landesamt für Umwelt wurde ein Konzept für die Aufwertung von zehn Freiflächen im Wald entwickelt.
Als Projektflächen dienen bereits bestehende Lichtungen mit vielen Grenzlinien zum geschlossenen Wald: ehemalige Wildäsungflächen, historische Weideflächen, aufgelassene Pflanzgärten oder breite Stromtrassen und Forstwege im städtischen Besitz. Die wenig genutzten Flächen waren teilweise stark verbuscht, durch regelmäßiges Mulchen vergrast, von beschattenden Fichten umstanden und meist durch scharfe strukturarme Waldränder gekennzeichnet. Sie boten damit ein hohes Aufwertungspotenzial. Für jede Fläche wurde ein eigenes Maßnahmenpaket konzipiert. Ziel ist es, die Übergangsbereiche zwischen Wald und Offenland mit Strukturen anzureichern. Dazu gehören:
– Beschattende Nadelbäume werden gezielt entfernt. Dadurch entstehen buchtige, aufgelichtete Ränder und abwechslungsreiche Grenzlinien, die Lichtungen vergrößern und Licht und Wärme in das Waldinnere tragen.
– Totholz, Steinriegel und Kleinstgewässer tragen zum Strukturreichtum bei.
– Ein Nebeneinander unterschiedlicher Sukzessionsstadien wird durch Entnahme einzelner Bäume, mosaikartige Mahd und durch Förderung von Sträuchern geschaffen.
– Die bisherige Pflege der Freiflächen wird soweit möglich in eine insektenfreundliche Mahd oder Beweidung überführt.
– Wo die Pflanzenvielfalt gering ist, werden handgeerntete oder ausgebürstete Samen von nahegelegenen, artenreichen Spenderflächen übertragen. Auf den Kauf von Saatgut wird grundsätzlich verzichtet.
Aktuell wird das Konzept auf fünf weitere Flächen ausgeweitet. 2021 wurden auf den ersten fünf Flächen bereits vorhandene Strukturen, die aufzuwertenden Bereiche sowie Pflanzen und Fluginsekten erfasst, um den Ausgangszustand zu dokumentieren. Bis 2026 soll alle zwei Jahre mit Malaisefallen und DNA-Barcoding ermittelt werden, wie Insektenvielfalt und -biomasse in Wald-Offenland-Komplexen effektiv gefördert werden können.
Durch engagierte Umsetzungspartner vor Ort, einen festen Ansprechpartner, der die Beteiligten zusammenführt, und einer wissenschaftlichen Begleitung hat sich das Projekt bereits als Best Practice-Beispiel mit einer intensiven Zusammenarbeit von allen Seiten erwiesen. Diese Faktoren sind für den Umgang mit Hemmnissen und Erwartungen sehr wichtig. Hierdurch konnten sowohl fachlich sinnvolle als auch praktisch umsetzbare Maßnahmen entwickelt werden und der Fokus weg vom schnellen Blüherfolg unspezifischer Blühmischungen hin zu mehr Lebensraumstrukturen gelenkt werden. Die abschließende Evaluation der Vegetations- und Insektenerhebungen wird zeigen, ob die Maßnahmen erfolgreich waren. Außerdem wird erhoben, welcher zeitliche, personelle und finanzielle Aufwand damit einherging und wie sich die effektivsten Maßnahmen auf andere Flächen anwenden lassen. Die dokumentierten Erfahrungen sollen in einem kompakten Leitfaden münden.
Weiterführende Links und Literatur:
SCHRÖDER, H., WURSTER, M., ASMUS, R. et al. (2016): Waldränder: Typen, ökologisches Potenzial und Empfehlungen zu ihrer Begründung, Erhaltung, Aufwertung und Vernetzung. – DBU-Forschungsvorhaben.
ADELMANN, W., HUMMELSBERGER, A. & ROYER, F. (2022): Das Ende der „Waldwände“: Lichte Wälder und Waldränder für den Biotopverbund Offenland nutzen. – ANLiegen Natur 44(1): 105–118; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/waldraender/.
ADELMANN, W., HAGGE, J., LANGHAMMER, P. et al. (2021): Aktiv im Wald – Naturschutz mit der Kettensäge. – Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege: 64 S.; www.anl.bayern.de/fachinformationen/naturschutz_mit_der_kettensaege/index.htm.
SEIBOLD, S., GOSSNER, M. M., SIMONS, N. K. et al. (2019): Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. – Nature 574: 671–674.
URL: BayAZ, Projekt Insekten und Blühflächen, www.lfu.bayern.de/natur/bayaz/arbeitsschwerpunkte/insekten_bluehflaechen/index.htm (Zugriff: 21.10.2022).
Autorinnen:
Laura Korbacher, Bayerisches Landesamt für Umwelt
Laura.korbacher@lfu.bayern.de
Veronika Hierlmeier-Hackl, Bayerisches Landesamt für Umwelt
Veronika.Hierlmeier-Hackl@lfu.bayern.de
Christian Salomon, Regierung von Unterfranken
Christian.Salomon@reg-ufr.bayern.de
Laura Korbacher, Veronika Hierlmeier-Hackl, Christian Salomon (2023): Strukturen und Blüten für Insekten im Wald: Aufwertung von Freiflächen im Lohrer Stadtwald. – ANLiegen Natur 45/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/kleingewaesser/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Forschung für die Praxis:
ANLiegen Natur 45/1 (2023): 6 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 2,1 MB).