Klimawandel macht immer mehr Menschen zu Umwelt-Flüchtlingen
(MO) Seit Monaten strömen Abertausende Flüchtlinge aus den Krisengebieten im Nahen Osten und Afrika nach Europa. Die meisten von ihnen fliehen vor Krieg, Verfolgung und Armut. Künftig werden jedoch auch Naturkatastrophen und die fortschreitende Umweltzerstörung vermehrt dazu beitragen, dass Millionen Menschen in ihrer Heimat nicht mehr überleben können und zu Migranten werden. Auf diese weitreichenden Folgen des Klimawandels verweist die Europäische Kommission in einer Themen-Info, die 7 wissenschaftliche Studien über den Zusammenhang zwischen Umweltkatastrophen und Migration vorstellt.
330.000 Menschen wurden im Januar 2015 obdachlos, als sintflutartige Regenfälle das kleine ostafrikanische Land Malawi heimsuchten. 200 Millionen Erdbewohner könnte bis 2050 ein ähnliches Schicksal treffen – so lautet die Prognose des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern, 2006 veröffentlicht im „Stern-Report“. 2010 meldete das Internationale Rote Kreuz in seinem Welt-Katastrophenbericht die unglaubliche Zahl von 320 Millionen Menschen, die allein in diesem einen Jahr von schweren Unwettern heimgesucht wurden. Das ist der Jahrhundertrekord. Doch womöglich kommt es zukünftig noch schlimmer.
Zwar können nicht alle diese Unwetter unmittelbar auf die globale Erderwärmung zurückgeführt werden, dennoch sind sich die führenden Experten einig, dass der Klimawandel extreme Umweltereignisse fördert. Sie sagen voraus, dass Dürre, aber auch Starkregen, Hochwasser und Wirbelstürme künftig deutlich öfter und ausgeprägter auftreten werden als in früheren Zeiten. Die Folgen für die betroffenen Regionen sind kaputte Straßen, zerstörte Häuser, vernichtete Ernten sowie Tote und Verletzte. Wo Menschen direkt oder indirekt ihre Existenzgrundlage verlieren, werden sie zu Umwelt-Migranten. Dazu zählen auch all jene Bewohner von Küstengebieten, die durch den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels früher oder später heimatlos werden.
Das Schicksal dieser neuen Umwelt-Migranten hängt stark von der politischen und ökonomischen Struktur ihrer Herkunftsländer und der gesellschaftlichen Stellung der Betroffenen ab. Besonders schlimm trifft es die Ärmsten der Armen: Sie haben alles verloren und besitzen nicht die Mittel, sich anderswo eine neue Existenz aufzubauen. So sitzen sie regelrecht in der Falle; Soziologen sprechen von „trapped people“. Als Beispiel wird im Infodienst „Science for Environment Policy“ die Küstenbevölkerung von Indonesien und Sri Lanka angeführt, die infolge des gigantischen Tsunamis 2007 obdachlos wurde. Die Hälfte der Betroffenen konnte bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil sie zwangsweise in eigens für sie errichtete Lager umgesiedelt wurden oder man ihre einstigen Siedlungen als unbewohnbare Zonen deklariert hat. Die Autoren der Studie ziehen daraus den Schluss, dass von derartigen Katastrophen besonders gefährdete Staaten dringend geeignete Notfall-Strategien entwickeln sollten.
Zur Erarbeitung entsprechender „Nationaler Anpassungs-Pläne“, kurz NAPs, stellten die EU und ihre Mitgliedsstaaten den am wenigsten entwickelten Ländern 2010 bis 2012 rund 7,3 Milliarden Euro als Anschubfinanzierung zur Verfügung. In jedem Fall sollten solche NAPs Frühwarnsysteme und Evakuierungspläne enthalten – aber auch die Option, auszuwandern. Denn Migration kann auch Chancen bieten: So sind zum Beispiel viele Einwohner der vom Klimawandel besonders gefährdeten Pazifik-Insel Kiribati freiwillig ausgewandert und können nun ihre zuhausegebliebenen Familien finanziell unterstützen – unter anderem dabei, sich besser auf die zu erwartenden Folgen der Erderwärmung einzustellen.
Ob jemand infolge akuter oder schleichender Naturzerstörung freiwillig auswandert oder gezwungenermaßen zum Umwelt-Flüchtling wird, lässt sich nicht immer eindeutig klären. Ebenso unklar ist der Status dieser speziellen Migranten-Gruppe. Unter die Genfer Flüchtlingskonvention, die nach dem 2. Weltkrieg zum Schutz von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen verfasst wurde, fallen sie bislang nicht. Und das wird sich auch nicht so schnell ändern, glauben die Autoren einer Studie, die sich mit der Menschenrechtssituation von Umwelt-Flüchtlingen befasst. In Ländern mit großen sozialen Unterschieden erhalten gerade die sozial Schwächsten meist keinerlei Kompensation für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage durch Erosion oder andere Umweltschäden. Dies belegen die Autoren am Beispiel von Äthiopien, Bangladesh, Ghana, Kenia und Vietnam.
Ihr Fazit: Umwelt-Flüchtlinge brauchen nicht nur materielle Hilfe wie Unterkunft und sanitäre Anlagen, sondern auch politische Rechte. Nur so haben sie die Möglichkeit, an wichtigen Entscheidungen, insbesondere über ihre Rück- oder Umsiedelung, mitzuwirken. Hier sieht der Herausgeber des Themenbands, Prof. Roger Zetter vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Oxford, die EU gefordert: Sie sollte sich für die Achtung der Menschenrechte von Umwelt-Flüchtlingen einsetzen – sowohl in ihren Herkunftsländern, als auch bei ihrer oft gefährlichen und beschwerlichen Flucht nach Europa. Doch noch besser wäre es natürlich, durch eine vorausschauende Umwelt- und Naturschutzpolitik Umwelt-Migration gleich zu verhindern.
Mehr:
European Commission DG Environment by the Science Communication Unit (2015): Migration in response to environmental change. – Science for Environment Policy, Thematic Issue 51: 16 S.; http://ec.europa.eu/environment/integration/research/newsalert/pdf/migration_in_response_to_environmental_change_51si_en.pdf.
Deutsche Zusammenfassung des „Stern-Reports“ (2006) unter: www.dnr.de/publikationen/eur/archiv/Stern_Review_148906b_LONG_Executive_Summary_GERMAN.pdf.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2015): Klimawandel macht immer mehr Menschen zur Umwelt-Flüchtlingen. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/klimawandel_flucht/.