Landschaft – von der Ödnis zum Kulturdenkmal
(AZ) Landschaft ist ein wenig beachteter Teil der uns umgebenden Umwelt, obwohl sie uns stark prägt und unser Tun heute gleichzeitig maßgeblich bestimmt. So ist es in Zeiten der statisch festgelegten Schutzgebiete und Erhaltungsziele immer wieder notwendig, den Blick darauf zu lenken, dass Landschaft nicht gottgegeben und unveränderlich ist, sondern ein Ergebnis einer langen Kette von Veränderungen, die gestern begannen, in der Gegenwart wirksam sind und die Zukunft bestimmen. So gelingt es dem Buch, die Aufmerksamkeit auf die dynamischen Entwicklungen zu lenken, die zur heutigen Landschaft geführt haben, um ein Gespür dafür zu entwickeln, wohin sie sich entwickeln könnte. Dazu ist es notwendig, nicht nur die historische Dimension zu betrachten, sondern gerade auch die Prozesse zu verstehen, die unsere Landschaft wesentlich beeinflussen.
Und gerade dies ist Peter Poschlod ein zentrales Anliegen. Dabei nähert er sich der Landschaft von einer anderen Seite als H. Küster (1996), der mehr ortsbezogen, phänomenologisch die mitteleuropäische Geschichte aufbereitete. Weitgehend regionsübergreifend, werden in vergleichsweise streng chronologischer Abfolge die relevanten Prozesse beleuchtet. Dabei wird erstmals der Bogen gespannt zwischen der ersten menschlichen Einflussnahme auf die Landschaft bis hin zu der aktuellen Transformation in eine Energielandschaft unter dem Einfluss des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Dazwischen liegen Klimawandel, Epidemien, Kriege, neue Geistesströmungen sowie unglaubliche technische Fortschritte, die zu ökonomischem Wandel und neuen Sozialstrukturen führten, die alle ihre Spuren in der Kultur-Landschaft hinterließen. Soweit irgendwie möglich, gelingt es dem Autor anhand von Originalquellen herauszuarbeiten, welche Faktoren (beispielsweise Beweidung und Klimawandel) oder Ereignisse (so der Kartoffelerlass oder die Ödlandgesetze) die Spuren hinterlassen haben, die wir heute buchstäblich auf Schritt und Tritt beim Spazierengehen beobachten. Gleichzeitig schlägt Peter Poschlod immer wieder die Brücke zu besonderen Einzelobjekten (Schweineweiden, Laubheu, Wölbäcker) oder speziellen Arten (vor allem Pflanzen), wodurch immer wieder die Rückwirkung der Landschaft auf die biologische Vielfalt deutlich wird. So ist die menschliche Tätigkeit zwar Ursache für die heutige Vielfalt, aber das Artensterben der letzten Jahrzehnte aufgrund sinkender Nutzungsvielfalt und unglücklicher politischer Steuerung radiert diese Besonderheiten gerade wieder aus.
Insgesamt ist das Buch vor allem eine unglaublich umfangreiche Zusammenfassung der Veröffentlichungen rund um die Landschaftsgenese und bietet Dank der 1589 ausgewählten, ausgewerteten und kritisch geprüften Literaturstellen einen sehr guten Überblick. Durchschnittlich nehmen Grafiken, Kästen oder aussagekräftige Bilder die Hälfte jeder Seite ein, so dass das außerordentlich intensiv illustrierte Buch ein großer Schatz für Vorträge und visuelle Erläuterungen ist. Dank der unkomplizierten Ausdrucksweise ist das Buch gut zu lesen, auch wenn man regelmäßig von einem der vielen eingebauten Sonderthemen-Blöcke vom Text abgelenkt wird. Vielleicht muss man sich in einem ersten Durchgang einfach nur an den Bild- und Grafik-Beschriftungen entlanghangelnd durch das Buch durcharbeiten, um anschließend eine ungestörte Textarbeit vornehmen zu können.
Auch wenn man an manchen Stellen das Gefühl hat, dass man das eine oder andere schon mal irgendwo gelesen hätte, ist ganz sicher, dass bei der Vielfalt und Intensität, mit der das Werk die Kulturlandschaftsgeschichte beackert, sicher jeder in dem Buch etwas Neues findet. Leider kommen die aktuellen Entwicklungen in der Landschaft etwas kurz, doch es ist einfach unmöglich, die Welt allein in einem Buch vollständig zu erläutern.
Dennoch ist das Buch nicht nur allen im Umweltbereich Tätigen zu empfehlen, sondern auch denen, die sich bislang kaum oder gar nicht mit der Landschaft beschäftigt haben. Mit diesem Augenöffner haben sie so gerade noch rechtzeitig die Chance, dieses stark gefährdete Kulturdenkmal kennenzulernen. Vielleicht gelingt es ja so Kultur, Natur und Landschaft endlich wieder als ein Ganzes zu betrachten und auf den notwendigen Ebenen zu handeln, um eine integrative Landnutzung und Kulturlandschaftsentwicklung zu erreichen.
Mehr:
Peter Poschlod (2015): Geschichte der Kulturlandschaft. – Ulmer Verlag, ISBN: 978-3-8001-7983-1, 320 Seiten, 39,90 Euro.
Zitiervorschlag: Zehm, A. (2015): Landschaft – von der Ödnis zum Kulturdenkmal. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/kulturlandschaft/.