Neu geschaffene Lebensräume helfen dem Laubfrosch
(MO) Laubfrösche besiedeln schnell und zahlreich neu angelegte Tümpel und nutzen sie zur Fortpflanzung. Als Ergänzung zu natürlichen Laichgewässern bieten diese Ersatzbiotope dem bedrohten Lurch auch in stark fragmentierten und intensiv bewirtschafteten Landschaften gute Überlebenschancen. Dabei erfolgt die Kolonisierung überwiegend aus dem Nahbereich, doch auch Wanderstrecken bis über 5 km sind zu beobachten.
Wie zahlreiche andere Wildtiere ist auch der Laubfrosch (Hyla arborea) von der fortschreitenden Zersiedelung der Landschaft betroffen: Teiche und Tümpel werden verfüllt, Hecken gerodet, neue Straßen und Siedlungen gebaut. Der daraus folgenden Habitat-Fragmentierung versuchen Naturschützer durch die Anlage künstlicher Tümpel und deren Vernetzung mit natürlichen Laichgewässern entgegenzuwirken. Ob diese aufwendige Schutzmaßnahme wirklich hält, was man sich von ihr verspricht? Das untersuchte eine Gruppe von Biologinnen und Biologen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Unteren Reusstal im Schweizer Aargau. Obwohl die rund 40 km2 große Fläche dicht besiedelt und intensiv bewirtschaftet ist, zählt sie zu den wenigen Gebieten der Schweiz, in denen der Laubfrosch noch größere Vorkommen aufweist. „Die Region steht seit vielen Jahren im Fokus des lokalen Naturschutzes. Bei der dortigen Bevölkerung gibt es eine hohe Akzeptanz für den Laubfrosch und eine große Bereitschaft, sich an seinem Schutz zu beteiligen“, betont Studienleiterin Dr. Janine Bolliger.
Mit ihrer Arbeit knüpft die WSL-Forscherin an eine tiefgehende-Studie aus dem Jahr 2006 an: Damals waren alle 21 Laichgewässer im Studiengebiet erfasst und sämtliche darin aufgefundenen Laubfrösche genetisch analysiert worden. In den folgenden zwei Jahren hatte man fünf zusätzliche Wasserstellen mit einem Durchmesser von 5 bis 10 m angelegt. An diesen neu geschaffenen Laichtümpeln fingen Janine Bolliger und ihre Kolleginnen im Frühjahr 2009 sämtliche Laubfrösche ab und unterzogen sie einem Gentest – ausgehend von Speichelproben, die mit Wattestäbchen aus den Froschmäulern entnommen wurden. Durch diesen für die Tiere harmlosen Eingriff erhielten die Forschenden von jedem Tier ein individuelles Genprofil und konnten es mit den genetischen Daten vergleichen, die 3 Jahre zuvor erfasst worden waren.
„Durch die erneute genetische Untersuchung konnten wir also nachvollziehen, von woher die neuen Biotope besiedelt wurden“, erklärt Janine Bolliger. 30 der insgesamt 85 Laubfrösche, die an den neu angelegten Wasserstellen aufgegriffen wurden, ließen sich anhand ihrer DNA-Profile mit hoher Wahrscheinlichkeit einem bestimmten Heimattümpel zuordnen. Zwei Drittel dieser Kolonisten stammte aus Gewässern im Umkreis von 500 m, das restliche Drittel hatte dagegen Entfernungen bis zu 2.500 m zurückgelegt. Drei Individuen überboten selbst diese Marke; der Rekord lag bei 5.400 m. Die Zahlen belegen, dass einige Laubfrösche von weither kommen und nicht unbedingt nur vom nächstgelegenen Tümpel. Diese wenigen Tiere durchmischen den Genpool über größere Distanzen.
Die Auswertung der genetischen Daten brachte eine weitere Überraschung: Vier Individuen stammten nachweislich vom anderen Ufer der Reuss, die hier 25 m breit ist. „Größere Flüsse wirken also nicht unbedingt als Barriere“, sagt Janine Bolliger und zieht folgendes Fazit: „Offensichtlich ist die Landschaft auch im stark fragmentierten Schweizer Mittelland für einige Arten doch relativ durchlässig. Siedlungen, Straßen und Flüsse bilden zwar Barrieren, aber weniger strikt als man das eigentlich erwartet. Das sehen wir auch bei anderen Amphibien, wie zum Beispiel bei Molchen oder Kreuzkröten. Sie alle profitieren von Ersatzbiotopen, die ihre natürlichen Habitate ergänzen und vernetzen.“ Das sind gute Nachrichten für Laubfrosch & Co. – und ermutigende Ergebnisse für den Naturschutz.
Mehr:
Le Lay, G. et al. (2015): Increasing Pond Density to Maintain a Patchy Habitat Network of the European Treefrog (Hyla arborea). – Journal of Herpetology 49(2): 217–221.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2015): Neu geschaffene Lebensräume helfen dem Laubfrosch. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/laubfrosch/.
Erst mal ein Lob an die ANL, derartige Artikel auszuwerten, zu denen kein – mit Verlaub – normaler Mensch
Zugang hat …
Natürlich weiß jeder Praktiker, dass vor einem Laubfrosch keine Wasserpfütze sicher ist, und sei es mitten im Acker. Den Viechern graust’s vor gar nix. Da ich den Original-Artikel jetzt nicht kenne (und selbst wenn die Abbildung ein paar hübsche Tümpelchen zeigt), kann man es aber auch anders sehen: Die ‚armen‘ Laubfrösche müssen weit laufen, um passende Biotope (oder Partner?!) zu finden. Und ob es sich um stabile Populationen oder nur Mini-Vorkommen handelt, die genetisch auf die Weitwanderer angewiesen sind, kommt auch nicht raus. Könnt Ihr da artikelauswertungstechnisch ggf. noch nachlegen?
In direktem Zusammenhang mit hier zusammengefassten Arbeit steht die Vorgängerarbeit, die ebenfalls sehr wertvoll und interessant für die praktische Naturschutzarbeit, was ja leider bei vielen anderen Forschungsarbeiten oft nicht der Fall ist:
Angelone, S., & Holderegger, R. (2009): Population genetics suggests effectiveness of habitat connectivity measures for the European tree frog in Switzerland. – J. Applied Ecology 46: 879–887 (Vollzugang unter: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2664.2009.01670.x/abstract).
Das Untersuchungsgebiet der betreffenden Arbeit/Publikation (und der Vorgängerarbeit) ist das beste Vorkommen von Laubfröschen der Schweiz. Seit über 20 Jahren werden hier zahlreiche Massnahmen zum Schutz und zur Förderung der Laubfrösche umgesetzt und mit jährlichen Erfolgskontrollen begleitet. 2014 waren es 53 Rufchöre mit 1.477 nachgewiesenen Individuen, hochgerechnet ein Bestand von zirka 6.000 Tieren.
Für solche Metapopulationen sind die großen und sehr großen Rufchöre mit viel hochkommendem Nachwuchs entscheidend. Damit das funktioniert, braucht es ein genügend großes Angebot an potentiell geeigneten Gewässern. Je nach Temperatur, Wasserversorgung und aktueller Vegetation bestehen dann unterschiedliche Angebote. Kleine eventuell sehr temporäre Pfützen oder eher ungeeignete Wasserstellen, die sie wie beschrieben auch annehmen, sind nicht relevant. Allenfalls können sie als Trittsteine für das Überwinden von größeren Distanzen dienen. Mit geeigneten Strukturen sind 3 km wohl kein Problem, in Ausnahmefällen liegt wie beschrieben sogar auch bedeutend mehr drin. 0,5 bis 1 km Abstand von geeigneten Gewässern ist optimal. Das sind einerseits unsere Erfahrungen im aargauischen Reusstal nach über 20 Jahren, andererseits auch die aufschlussreichen Resultate der beiden wissenschaftlichen Arbeiten.
Christoph Flory
Biologe, Projektleiter pro natura Aargau