Laufkäfer als charakteristische Arten in Bayerns Wäldern – eine methodenkritische Auseinandersetzung
(Dietrich Mossakowski) Mit dem zweiteiligen Band liegt erstmals ein umfassendes Grundlagenwerk vor, das am Beispiel der Laufkäfer die charakteristischen Arten der FFH-Richtlinie unmissverständlich definiert und eine Herleitung nach einem wissenschaftlichen Verfahren beschreibt. Zugleich wurde für die planungsrelevante Gruppe der Laufkäfer ein Handbuch mit Habitat-Gliederung und Artregister vorgelegt, das einen starken Praxisbezug aufweist.
Man kann nur das schützen, was man kennt. Dieser Satz ist Allgemeingut, aber was bedeutet „kennen“? Für einen Laien mag die Fähigkeit, verschiedene Arten ansprechen zu können, hinreichen. Im praktischen Naturschutz sind dagegen umfassende Kenntnisse zur Ökologie und Biologie der Arten unabdingbar notwendig.
Laufkäfer (Carabiden) gelten zu Recht als sehr gut untersucht, aber häufig beziehen sich die Kenntnisse auf bestimmte Regionen; Felduntersuchungen sind auf wenige Standorte beschränkt oder die Auswertungsmethoden sind unterschiedlich. Da bleibt die Vergleichbarkeit oft auf der Strecke.
Dieses mit seinen Anlagen 670 Seiten umfassende Werk ist der Abdruck der Dissertationsschrift von Dr. Stefan Müller-Kroehling. Es ist eine Fundgrube für Anwendungen im Naturschutz und für jeden, der an Waldlebensräumen, offenen Sonderstandorten im Wald oder speziell der Gruppe der Carabiden interessiert ist. Man kann es auf mindestens drei Weisen nutzen: Nach Habitattypen suchen, dem Gliederungselement des Hauptteils (Band 1) und deren charakteristische Carabiden-Ausstattung, oder nach einer Art suchen (Art-Register in beiden Teilen! Gesondertes für Ordinations-Biplots im Anhang, Seite 46) und die zusammengefassten Testergebnisse der vorliegenden Arbeit finden und schließlich in der Diskussion eine Abhandlung und kritische Erörterung lesen, die alle Gesichtspunkte der Auswertung, Bewertung und der Beziehungen der Arten – hier der Laufkäfer – zu ihrem Lebensraum enthält.
Die vorliegende Publikation, besticht durch folgende Punkte:
- Eine umfassende Datenbasis. Ganz Bayern wird durch Datensätze aus eigenen umfangreichen Untersuchungen und das aufbereitete Material anderer Autoren repräsentativ abgedeckt. Da es Urwälder in Mitteleuropa nicht mehr gibt, ist für die Anwendung der Resultate im Naturschutz wichtig, dass für die Charakterisierung der Arten, das heißt deren Zuordnung zu bestimmten Habitattypen oder deren Gruppierungen, die naturnahen Standorte besonders berücksichtigt und von den durch Bewirtschaftung veränderten, sekundären Habitattypen unterschieden wurden. Alle relevanten Habitattypen wurden berücksichtigt und vierundzwanzig Habitatparameter charakterisiert.
- Eine angemessene Auswertemethodik. Drei Verfahren wurden vergleichend eingesetzt: Ordination (DCA), Indikatorarten-Analyse (ISA) und Tests mittels Chi2-Vierfeldertafel. Arten, die mittels der beiden letzteren Verfahren einem Habitattyp oder einer Gruppe zugeordnet wurden, erhalten ihre Zuordnung als Charakterart und so weiter erst nach einer kritischen Überprüfung anhand der Literatur („Literaturreferenzierung“).
- Eine breite Datenbasis und die kritische Anwendung angemessener Methoden sind Voraussetzungen für gut begründete Schlüsse. Hinzu kommen hier eine gründliche Kenntnis der Lebensräume und eine funktionell-dynamische Sichtweise der sie prägenden Standortfaktoren. Beispielsweise werden Kiefernwald-Ökosysteme hier im Kontext auch von Waldbränden diskutiert – im Forst oft ein Tabuthema.
- Schließlich müssen die publizierten Daten berücksichtigt werden: Die Literaturauswertung ist von beeindruckender Gründlichkeit mit kritischen Anmerkungen zu zahlreichen Fragen, aufgeführt im Teil 2 (Anlagenband). Besonders hervorzuheben ist, dass speziell auch Literatur aus jenen Teilen Europas systematisch ausgewertet wurde, in denen die Habitattypen ihren europäischen Verbreitungsschwerpunkt haben.
Das zentrale Ziel der Arbeit ist, Charakterarten und charakteristische Arten für die einzelnen Habitattypen und ihre Gruppierungen zu identifizieren. Als Charakterarten werden Arten mit sehr hoher Treue, also die auf ein bestimmtes Habitat weitgehend beschränkten Spezialisten bezeichnet, als charakteristische Arten alle jene, die zu dem Habitattyp eine statistisch nachgewiesene Beziehung haben und die mindestens zu einem seiner Schlüsselfaktoren (wie zum Beispiel Überflutungen in den Auen) ebenfalls eine nachgewiesene Affinität besitzen. Beide Begriffe werden in der Arbeit eindeutig definiert und ausführlich diskutiert.
Die mit kritischer Bewertung ermittelten charakteristischen Arten, und insbesondere die Charakterarten, sollten bei zukünftigen naturschutzfachlichen Bewertungen und Maßnahmen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Für diese Aufgabe liefert die Arbeit wichtige neue Antworten.
Fazit: Ein wichtiger Impuls für das Instrument der „charakteristischen Arten“ allgemein und zugleich ein hilfreiches Grundlagenwerk für eine Tiergruppe, die bei Naturschutz relevanten Planungen zunehmend vernachlässigt wird.
Mehr:
Stefan Müller-Kroehling (2015): Laufkäfer als charakteristische Arten in Bayerns Wäldern – eine methodenkritische Auseinandersetzung mit Definition und Verfahren zur Herleitung charakteristischer Arten und zur Frage von Artengemeinschaften, unter besonderer Berücksichtigung der nach § 30 BNatschG geschützten Waldgesellschaften und der Wald-Lebensraumtypen des Anhanges I der FFH-Richtlinie und vergleichenden Einbeziehung natürlicherweise waldfreier Sonderstandorte im Wald. – Diss. TU München, BfN-Skripten, Band 424 (in 2 Teilbänden), 312 Seiten und Anhänge 358 Seiten; www.bfn.de/.
Zitiervorschlag: Mossakowski, D. (2016): Laufkäfer als charakteristische Arten in Bayerns Wäldern – eine methodenkritische Auseinandersetzung . – ANLiegen Natur 38/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/laufkaeferbuch/.