Die im Verborgenen heiraten – Digitale Datenbanken bündeln das Wissen über Moose, Flechten und Pilze in Deutschland
(MO) In einer frei zugänglichen Internetplattform präsentiert die Zentralstelle Deutschland mehrere Millionen Datensätze über die heimischen Moose, Flechten und Pilze. Erklärtes Ziel ist es, die Öffentlichkeit von der Vielfalt der Kryptogamen zu begeistern und Hilfestellung beim Erkennen der Arten zu geben. Wissenschaftlern und Behörden liefert die Datenbank eine Übersicht über die Verbreitung und Gefährdung der Spezies.
Haarblättriger Kurzzahn, Bereiftes Spalthütchen, Wimpern-Glockenhut: Was sich hinter diesen klingenden Namen verbirgt, ist selbst versierten Pflanzenkennern ein Rätsel. Wer es lösen will, dem hilft ein Ausflug ins Internet. Dort tippt man den Namen in die Suchmaske von www.moose-deutschland.de. Ein Moos also! Noch ein Klick, und schon scheint eine Deutschlandkarte mit allen Orten auf, an denen ein kundiger Finder dieses spezielle Moos gesichtet hat – eines von 1.170 in Deutschland heimischen Arten.
Beim Wimpern-Glockenhut zeigt die Verbreitungskarte nicht weniger als 294 Fundorte. Sie sind bekannt, aber für gewöhnliche User nicht exakt zu lokalisieren – aus Gründen des Naturschutzes. Dieses Moos bildet, so erfahren wir weiter, mittelgroße, bläulich-grüne, lockere Rasen und wächst „an halbschattigen Stellen auf neutraler Erde, meist über Felsen, früher öfter auch an alten Mauern.“ Neben vielen Informationen zu Habitat, Ökologie, Verbreitung, Bestand und Gefährdung – die Art wird in der Roten Liste als „stark gefährdet“ eingestuft -, findet sich ein Verweis auf 13 weitere Arten der Gattung Encalypta, wie die Glockenhüte auf lateinisch heißen.
So möchte man endlos weiterklicken, von einem Moos zum nächsten. Die „Checkliste“ des Internetportals weist insgesamt 5.000 alphabetisch gelistete Namen auf. Von vielen Spezies finden sich neben Verbreitungskarten, Beschreibungen und Literaturhinweisen auch Fotos, darunter manche faszinierende Detailaufnahme unter dem Mikroskop. Nicht selten ist als Bildautor Dr. Oliver Dürhammer genannt. Sein Name ist omnipräsent in diesem weit verästelten Datenfundus – als Fotograf, Regionalstellenleiter, Organisator von Exkursionen und schließlich als oberster Verwalter der Zentralstelle Deutschland, Abteilung Kryptogamen. „Die im Verborgenen heiraten“, heißen die Kryptogamen in wörtlicher Übersetzung. Denn sie befruchten sich quasi heimlich, ohne offen sichtbare Geschlechtsorgane wie wir sie von den Blütenpflanzen kennen. Oliver Dürhammer ist es zu verdanken, dass sich heute jedermann mit wenigen Klicks Zugang zum gesammelten Expertenwissen über diese interessanten Organismen verschaffen kann. Denn er hat die digitalen Datenbanken für Deutschlands Moose, Flechten und Pilze aufgebaut.
„Anfangs war das ein mühsames Geschäft, das ich teils aus eigenen Mitteln, teils über Sponsoren finanziert habe“, erzählt der Botaniker, der heute als Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie arbeitet. In seiner Diplomarbeit hat er die Moose, in der Doktorarbeit dann die Flechten in und um Regensburg erforscht. Am Botanik-Lehrstuhl der dortigen Universität wurde damals eine Zentralstelle für die floristische Kartierung Bayerns betrieben. „Es hat mich geärgert, dass man mit dieser tollen Infrastruktur nur die Blütenpflanzen erfasst und die Moose einfach ignoriert hat“, erinnert sich Oliver Dürhammer. Um das zu ändern, wandte er sich ans Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) – wo man ihm schließlich fünf Jahre lang eine Stelle zur Erstellung einer bayerischen Datenbank der Moose, Flechten und Pilze finanzierte. „Ich dachte, jetzt gibt´s zwei Möglichkeiten, diese Zeit zu nutzen. Entweder geh´ ich selber raus ins Gelände zum Kartieren; dann kann ich vielleicht 100.000 Daten erfassen. Oder ich helfe den vielen Experten beim Digitalisieren ihrer eigenen Daten, die sie über Jahrzehnte gesammelt haben; dann kommt sehr viel mehr zusammen“, so der Biologe.
Zum Glück hat er sich für die zweite Option entschieden. Unter seiner Regie machten sich rund 60 studentische Hilfskräfte daran, die sorgfältig dokumentierten Aufzeichnungen unzähliger Moos-Spezialisten von oft handgeschriebenen Zetteln in eine clever angelegte digitale Datenbank zu übertragen. So kamen im Rahmen des LfU-Projektes „BayFlora Kryptogamen“ bis 2007 circa eine Million Moosdaten aus ganz Deutschland zusammen. Sie wurden 2008 in das Internet gestellt, ergänzt um die Inhalte des als Buch vergriffenen „Verbreitungsatlas Moose in Deutschland“ von Ludwig Meinunger und Wiebke Schröder. Mittlerweile ist der Bestand auf mehr als 1,1 Millionen Gelände-, Literatur- und Herbardaten angewachsen. Neben dem BUND und weiteren Unterstützern engagieren sich heute auch mehrere Umweltämter in Bayern und Thüringen mit Finanzmitteln.
2009 gingen dann die Flechten online, wo sie derzeit mit mehr als 150.000 Datensätzen aus Bayern, NRW, Hessen und Thüringen vertreten sind. Und seit 2015, nach fast 10 Jahren intensiver Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM), sind schließlich auch die Pilze über die Internetplattform einem breiten Publikum zugänglich – mit über 1,9 Millionen Verbreitungsdaten und etwa 1.800 Fotos aus ganz Deutschland. Alle Bundesländer sind einzeln aufrufbar, und in Bayern gibt es mit dem Feinrasterprojekt „Pilze am Ammersee“ zudem noch ein mit EU-Mitteln gefördertes Projekt zu bestaunen, das in Zusammenwirken mit der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft entstanden ist.
So ist es Oliver Dürhammer in mehr als zwei Jahrzehnten gelungen, die Kräfte der ehrenamtlichen Moos-, Flechten- und Pilzkundler zu bündeln und eine Infrastruktur für die Darstellung ihrer Funde kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Wissenschaftler und Behörden profitieren von den Daten ebenso wie interessierte Laien, die einfach nur ein wenig mehr über die verborgene Welt der Kryptogamen erfahren oder Fotos von Wimpern-Glockenhut & Co betrachten wollen. Dass das Angebot genutzt wird, zeigt eine Auswertung der Internet-Zugriffe: Pro Tag tummeln sich 15.000 User aus 20 Ländern der Erde – aus Universitäten, Behörden und Privathaushalten – auf den Seiten der Zentralstelle.
Mehr:
http://www.zentralstelle-deutschland.de
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http://www.moose-deutschland.de
http://www.flechten-deutschland.de
http://www.pilze-deutschland.de
http://www.pilze-ammersee.de
http://allgaeu.moose-deutschland.de/
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2016): „Die im Verborgenen heiraten – Digitale Datenbanken bündeln das Wissen über Moose, Flechten und Pilze in Deutschland“ – ANLiegen Natur 38/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/moose_pilze_in_deutschland/.