Praxisbroschüre Waldnaturschutz: Aktiv im Wald – Naturschutz mit der Kettensäge
(Wolfram Adelmann) Die Broschüre „Aktiv im Wald: Naturschutz mit der Kettensäge“ gibt praktische Handlungsanleitungen, die zeigen, wie man gezielt Strukturen und Lebensräume fördert oder neue schafft, die aktuell in unseren Wirtschaftswäldern überwiegend fehlen.
Unsere Wälder sind auffallend „jugendlich“. Gerade einmal 8 % der Wälder in Mitteleuropa sind älter als 130 Jahre. Zudem sind sie deutlich reduziert bezüglich ihrer Baumartenvielfalt und -genetik. Und auch der Artenschwund macht nicht vor ihnen halt, so gingen rund 36 % der Arten innerhalb der letzten neun Jahren zurück (SEIBOLD et al. 2019). Ökologisch wichtige Strukturen naturnaher Wälder der Alterungs- und Zerfallsphase fehlen, allem voran die totholzreichen Verjüngungsphasen. Hier lebt jedoch das größte Artenspektrum unserer Waldarten: Die xylobionten Lebewesen, die auf zerfallendes Holz in all seiner Vielfalt angewiesen sind (vergleiche MÜLLER & HILMER 2020).
Die Broschüre „Aktiv im Wald: Naturschutz mit der Kettensäge“ ist eine Sammlung von praktischen Handlungsanleitungen, die zeigen, wie man gezielt Strukturen fördert oder neue schafft: Ab und zu ist der Griff zur Motorsäge eine Alternative, um Prozesse, die in der Natur durch Astabbrüche oder durch Pilzbefall von alleine entstehen würden, an bestimmten Orten zu beschleunigen. Das Ziel ist es, mit diesen künstlichen Strukturen eine zeitliche Lücke zu schließen – bis unsere Wälder sich ihrem natürlichen Alter annähern (zumindest dort, wo sie dürfen). Die aktiv geschaffenen Strukturen dienen also als Überbrückungshilfe: Mit der Motorsäge geschaffene Baumhöhlen, Rindenverletzungen und Totholz, wie Hochstümpfe oder Totholzinseln.
Daneben geht es auch darum, Entwicklung in der Natur frühzeitig zu erkennen und Prozesse zuzulassen, um gezielt Biotopbäume heranwachsen oder Totholz entstehen zu lassen. Besonders die Anfänge von Biotopstrukturen sind manchmal schwer erkennbar. Daher will die Broschüre auch hier den Blick besonders schärfen. In den klassischen Anleitungen zur Waldhygiene wird leider zu oft empfohlen, diese für die Natur wichtigen Anfänge (wie Zwiesel, Baumverletzungen, Astabbrüche) zu entfernen. Die Broschüre regt hier zum Umdenken an: Zumindest einzelne Bäume und Baumgruppen sollen ungesteuert wachsen, aber auch wieder vergehen dürfen. Belässt man die Anfänge von Biotopstrukturen, können sich herausragende, extrem selten gewordene Mikrolebensräume im Wald herausbilden, wie zum Beispiel Mulmhöhlen, die jedoch einige Jahrzehnte benötigen, um sich zu entwickeln.
Die Broschüre ist eine Praxisanleitung, die sowohl über Biotopbäume als auch Totholzlebensräume und Mikrohabitate informiert. Kern sind aber grafisch-illustrierte Schritt-für-Schritt-Anleitungen, um aktiv bestimmte Strukturen anzulegen. Diese Merkblätter enthalten sowohl Angaben zum naturschutzfachlichen Ziel der Maßnahme als auch zum Aufwand (Zeit, Kosten), zu Förderung und Kostenersparnissen sowie Hinweise zur Verkehrs- und Arbeitssicherheit.
Die Sammlung beruht auf Praxiserfahrungen aus verschiedenen Waldbetrieben, wie den Kirchenwäldern der Diözese des Bistums Passau, dem Waldbetrieb Eichelberg, dem Naturschutzwald „Rainer Wald“ des Landesbundes für Vogelschutz sowie kleineren Privatwäldern. Einige Maßnahmen wurden wissenschaftlich begleitet von Partnern der Universitäten Würzburg und Göttingen. Es ist sozusagen eine Forschung-in-die-Praxis-Broschüre, aber auch eine Praxis-in-die-Praxis-Information, weil alle Maßnahmen praktisch getestet wurden.
Diese Sammlung von aktiven Maßnahmen und Hinweisen zum passiven Zuschauen bei natürlichen Prozessen und Störungen im Wald ist sicher ein Novum. Das sicher ungewöhnliche an dieser Broschüre ist, dass sich die Autoren wünschen, dass sie in Zukunft überflüssig wird! Überflüssig, weil sie hoffen, dass dann auch in unseren Wirtschaftswäldern genügend Lebensraumstrukturen vorhanden sein werden. Jedoch sind wir davon aktuell leider noch weit entfernt.
Also seien Sie aktiv und entscheiden Sie selbst!
Zur Broschüre: www.anl.bayern.de/fachinformationen/naturschutz_mit_der_kettensaege/index.htm
Wolfram ADELMANN, Jonas HAGGE, Peter LANGHAMMER et al. (2021): Aktiv im Wald – Naturschutz mit der Kettensäge. – Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege 64 S.
Literatur
MÜLLER, J. & HILMER, T. (2020): Katastrophen für den Menschen – Segen für die Biodiversität. – LWF aktuell 4/2020: 13–15.
SEIBOLD, S. et al. (2019): Arthropod decline in grasslands and forests is associated with drivers at landscape level. – Nature 10/2019; https://doi.org/10.1038/s41586-019-1684-3.
Wolfram Adelmann (2021): Praxisbroschüre Waldnaturschutz: Aktiv im Wald – Naturschutz mit der Kettensäge. – ANLiegen Natur 43/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/naturschutz-kettensaege/.
Zum Volltext-Download:
ANLiegen Natur 43/2 (2021): 8 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,6 MB).