Wie der Naturschutz von der Genetik profitieren kann
(MO) Genetische Untersuchungsmethoden sind seit Jahrzehnten in allen Bereichen der Lebenswissenschaften wichtige Helfer in Forschung und Praxis. Wie sehr auch der Naturschutz vom Studium der Genetik schützenswerter Tiere und Pflanzen profitieren kann, zeigt der neu erschienene Sammelband „Naturschutzgenetik – Ein Handbuch für die Praxis“.
Das Buch, herausgegeben von dem Freiburger Wildtierökologen Prof. Dr. Gernot Segelbacher und seinem Züricher Kollegen Prof. Dr. Rolf Holderegger, macht die Potenziale der Naturschutzgenetik auch für Laien verständlich. Die Autoren zeigen auf, wie die Anwendung genetischer Methoden öffentliche Einrichtungen und Behörden bei ihrer Arbeit für den Naturschutz unterstützen kann: „Zum Beispiel kann die Anzahl der in einem Gebiet vorkommenden Individuen einer Tierart aufgrund von Kotproben genetisch bestimmt werden“, schreiben die beiden Herausgeber und weiter: „Es können aber auch genetische Methoden benutzt werden, um ökologische Prozesse zu untersuchen, etwa den Austausch von Individuen zwischen den Flächen eines Biotopverbundes. Zum anderen geht es in der Naturschutzgenetik auch um grundlegende genetische Themen: die negativen Folgen enger Verwandtschaft (Inzucht) in neu angesiedelten Populationen oder das Anpassungsvermögen von Arten an Umweltveränderungen“. Durch genetische Methoden lässt sich auch der Erfolg von Naturschutzmaßnahmen, wie die Anlage von künstlichen Gewässern oder Grünbrücken, überprüfen. Auch die Ausbreitung von invasiven Arten lässt sich mit vertretbarem Aufwand präzise verfolgen. So dokumentiert eine aktuelle Studie der Universität Basel über genetische Analysen die Ausbreitung der Schwarzmeergrundel (Neogobius melanostomus) in den Oberrhein. Ein vergleichbarer Nachweis hätte mit etablierten Abfangmethoden nur mit einem erheblichen Mehraufwand erzielt werden können.
In den elf Kapiteln des Handbuchs werden die Anwendungsmöglichkeiten genetischer Analysen umfassend beleuchtet; Praxisbeispiele zeigen, welche Ansätze für bestimmte Fragestellungen am besten geeignet sind. Dabei werden dem Leser zahlreiche Fachbegriffe, die zum Verständnis der Ökologie und Genetik von Populationen unverzichtbar sind, in unkomplizierter Sprache nahegebracht. So lehrreich diese theoretischen Einführungen in genetische Zusammenhänge sind, so wenig sollten sich Praktiker davon abschrecken lassen. Denn, so betonen die Autoren: „Vor allem bei den genetischen Analysen im Labor und den statistischen Auswertungen gibt es zahlreiche Schritte, die von den Praktikern und Praktikerinnen weder durchgeführt, noch im Detail genau verstanden werden müssen“. Wichtig sei dagegen, dass gleich zu Beginn der Planung einer Untersuchung ein enger Austausch zwischen Naturschützern und Naturschutzgenetikern gegeben ist.
In Deutschland wurde 2008 am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt ein naturschutz- und wildtiergenetisches Zentrum etabliert. Es dient als nationales Referenzzentrum für Wolfs- und Luchsgenetik und gewährleistet in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der Länder ein bundesweit einheitliches Monitoring dieser Arten. Neben weiteren Säugetieren werden auch die Populationen verschiedener Wirbelloser und Pflanzen anhand molekularbiologischer Methoden untersucht. Auf Anfrage analysiert das Zentrum auch Umwelt- und Wasserproben oder spezielles Material wie etwa Eierschalen und bietet darüber hinaus eine wissenschaftliche Kooperation bei naturschutzrelevanten Studien an.
Mehr:
Holderegger, R. & Segelbacher, G. (Hrsg., 2016): Naturschutzgenetik – Ein Handbuch für die Praxis. – Haupt Verlag Bern, 248 Seiten.
Aaron, B. A. et al. (2014): Genomics and the challenging translation into conservation practice. – Trends in Ecology & Evolution (2014) 1–10; www.dx.doi.org/10.1016/j.tree.2014.11.009.
Adrian-Kalchhauser, I. et al. (2016): An eDNA Assay to Monitor a Globally Invasive Fish Species from Flowing Freshwater. – PLoS ONE 11 (1): e0147558; www.journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0147558.
Informationen zu Möglichkeiten der wissenschaftlichen Kooperation mit dem Senckenberg Forschungsinstitut finden sich hier: www.senckenberg.de/root/index.php?page_id=15164.
Vielfältige Information zur Naturschutzgenetik, darunter Entscheidungshilfen zum Untersuchungsaufbau und zur Anzahl der benötigten Proben, bietet die mehrsprachige Internet-Plattform ConGRESS: www.congressgenetics.eu/Default.aspx.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2017): Wie der Naturschutz von der Genetik profitieren kann – ANLiegen Natur 39/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/naturschutzgenetik/.