Europaweite Analyse: Was bringen Ökologische Vorrangflächen für wildlebende Bestäuber-Insekten?
(Monika Offenberger) Seit 2015 müssen die Landwirte in der EU auf fünf Prozent ihrer Ackerfläche Ökologische Vorrangflächen (ÖVF) einrichten. Fünf Jahre später zeigt eine kritische Analyse, dass insbesondere die wildlebenden Blütenbestäuber von den derzeitigen ÖVF-Maßnahmen nicht optimal profitieren. Die Autoren der Studie geben Empfehlungen, wie sich ÖVF bereits durch einfache Management-Änderungen deutlich verbessern lassen. Zudem könnten sie räumlich und zeitlich besser aufeinander abgestimmt werden.
Experten stellen Ökologischen Vorrangflächen schon länger ein schlechtes Zeugnis aus (LAKNER et al. 2017; OFFENBERGER 2018). Diesen Befund bestätigt jetzt eine aktuelle Evaluation in 18 EU-Ländern, an der auch deutsche Fachleute mitgewirkt haben (COLE et al. 2020). „Neu an dieser Studie ist, dass sie auf Hummeln, Solitärbienen und Schwebfliegen abzielt, also auf die wildlebenden Bestäuber, die bei uns in Europa die größte Rolle spielen“, erklärt die beteiligte Professorin Andrea Holzschuh von der Universität Würzburg.
Neu ist auch die Herangehensweise: Es handelt sich nicht um eine Metastudie, die einzelne Feldstudien auswertet und zusammenfasst, sondern um eine Experten-Befragung. Auf den Prüfstand kamen insgesamt 16 Maßnahmen, die innerhalb des Greenings als ÖVF-Optionen zur Wahl stehen. Dazu zählen neben Brachen, Blühstreifen und Landschaftselementen, wie Trockenmauern, Feldraine, Gräben, Tümpel, Hecken, Feldgehölze, Einzelbäume, Baumgruppen und -reihen, auch Aufforstungen, Agroforstwirtschaft, Kurzumtriebsplantagen, Zwischenfrüchte und der Anbau von Stickstoff fixierenden Leguminosen. Für jede dieser Optionen wurden zwei mögliche Management-Regime betrachtet: Das derzeit praktizierte Standard-Management, das sich an den gesetzlich vorgegebenen Minimalanforderungen orientiert, und ein optimiertes Management, das an den Bedürfnissen möglichst vieler Bestäuber-Insekten ausgerichtet ist.
Jede Maßnahme wurde von 22 ausgewiesenen Bestäuber-Fachleuten aus 18 EU-Ländern auf ihre Eignung als Nahrungsquelle, Brutplatz oder Brutsubstrat für die verschiedenen Insekten-Gruppen geprüft. Als Kriterien für die Güte galten Blühzeiten (im Frühjahr, Sommer oder Herbst), Blütenformen (offen zugänglich oder mit langen Kelchen), Nistmöglichkeiten (für soziale und solitäre Wildbienen) und Nahrungssubstrate (für räuberische und saprophytische Schwebfliegenlarven). Für jedes dieser neun Kriterien vergaben die Experten einen Wert auf einer Skala von 0 (nicht vorhanden) bis 3 (optimal), auf den sie sich in einem mehrstufigen Meinungsbildungsprozess nach der Delphi-Methode geeinigt hatten.
Andrea Holzschuh bringt diese Aufgabe auf den Punkt: „Es ging darum zu schauen, was heute schon gemacht wird, und wie man es besser machen könnte“. Tatsächlich bekommt der Status quo überwiegend schlechte Noten. Unter Standard-Management kommt keine einzige der 16 ÖVF-Maßnahmen über ein Mittelmaß hinaus; mehr als die Hälfte der abgefragten Kriterien erhielten höchstens einen von maximal drei Punkten. In vielen Fällen lässt sich bereits durch einfache Management-Änderungen ein Mehrwert für die Bestäuber erreichen. Beispiel Leguminosen: „Die Ackerbohne blüht nur für kurze Zeit und wird nur von wenigen Bestäuber-Arten genutzt. Würde man eine Leguminosenmischung mit möglichst unterschiedlichen Blütenformen und Blühzeiten ansäen, könnten von der Maßnahme auf gleicher Fläche sehr viele Arten von Bestäubern profitieren“. Auch die Güte von Blühstreifen, Feldrainen, Zwischensaaten oder Baumgruppen ließe sich durch eine vielfältige und ausgewogene Artenzusammensetzung deutlich steigern.
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Expertenbefragung ist, dass nur eine Kombination vieler verschiedener Maßnahmen zum Ziel führt. „Es gibt nicht die eine sinnvolle Maßnahme, mit der man die Bestäuber retten kann. Zum einen, weil die zahlreichen Arten von Schwebfliegen, Hummeln und Solitärbienen sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben, die nur durch entsprechend unterschiedliche Maßnahmen befriedigt werden. Manche Wildbienen brauchen röhrenförmige Kelche, andere flache Blüten, einige fliegen eher im Frühling, andere später im Jahr, manche nisten in Sandböden, andere brauchen Lehm. Deshalb empfehlen wir eine große Diversität von Maßnahmen“, sagt Andrea Holzschuh. Zum anderen, so die Professorin, sei eine Planung auf Landschaftsebene notwendig: Die gezielte Kombination verschiedener ÖVFMaßnahmen könne hochwertige, vielseitige und vernetzte Lebensräume fördern. So könnten fehlende Ressourcen ergänzt und ihre Verfügbarkeit für alle Bestäuberarten verbessert werden.
Vor diesem Hintergrund ist eine abgestimmte, räumliche Verteilung der ÖVF entscheidend, damit etwa Bruthabitate und Nahrungsquellen einer Art in erreichbarer Nähe liegen – oder als Trittsteine und Verbindungskorridore zu natürlichen Lebensräumen dienen können. Und noch ein Punkt ist Andrea Holzschuh wichtig: „Wir müssen den Nutzen einzelner Maßnahmen für bestimmte Bestäuber-Insekten durch begleitende wissenschaftliche Untersuchungen dokumentieren. Nur durch ein solches Monitoring sehen wir später, welche Maßnahmen greifen und wie sehr sich das Management auf die Güte einzelner ÖVF-Optionen auswirkt“. Neben der Würzburger Entomologin hat ein weiterer Experte für Deutschland an der Delphi-Studie teilgenommen, der gebürtige Brite Prof. Robert Paxton von der Universität Halle. Aus den zentralen Ergebnissen der Evaluation wurden Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger abgeleitet. Sie sollen in Form eines „Policy Brief“ der EU-Kommission unterbreitet werden und – so die Hoffnung der Experten – in die 2021 anstehende Neuordnung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU einfließen.
Mehr:
COLE, L. J. et al. (2020): A critical analysis of the potential for EU Common Agricultural Policy measures to support wild pollinators on farmland. – Journal of Applied Ecology, Vol. 57: 681–694; https://doi.org/10.1111/1365-2664.13572.
LAKNER, S. et al. (2017): The German Implementation of Greening – Effectiveness, Participation & Policy Integration with the Agri-Environmental Programs. – Contributed Poster to the XV EAAE Congress Towards Sustainable Agri-Food Systems: Balancing between Markets and Society; http://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn059227.pdf.
OFFENBERGER, M. (2018): Europäische Studie: Biodiversität profitiert kaum von Ökologischen Vorrangflächen. – ANLiegen Natur 40/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/greening_biodiv/.
PERINO, A., PAXTON, M. & HOLZSCHUH, A. (2020): Policy Brief – Bestäuberschutz auf Ökologischen Vorrangflächen: Bessere Ergebnisse durch kombinierte Maßnahmen. – www.idiv.de/science-policy/publications/bestaueberschutz.
POTTS, S. G. et al. (2016): The assessment report on pollinators, polination and food production – Summary for policymakers. – https://ipbes.net/sites/default/files/spm_deliverable_3a_pollination_20170222.pdf.
Monika Offenberger (2021): Europaweite Analyse: Was bringen Ökologische Vorrangflächen für wildlebende Bestäuber-Insekten? – ANLiegen Natur 43/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/oevf-bestaeuber/.
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ANLiegen Natur 43/1 (2021): 4 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,3 MB).