Pestizide gefährden die weltweite Biodiversität und Ökosystemleistungen
(MO) Neonikotinoide und Fipronil fügen zahlreichen wirbellosen Tieren und höheren Organismen erheblichen Schaden zu und gefährden dadurch unverzichtbare Ökosystemleistungen. Dies belegte eine umfassende Metaanalyse von 800 Studien über den Einsatz dieser Pestizide. Das internationale Autoren-Team appelliert an die zuständigen Behörden, die Regulierung dieser Giftstoffe deutlich zu verschärfen und lang-fristig auf ihren Verzicht hinzuwirken.
Neonicotinoide werden seit den 1970-er Jahren zur Bekämpfung von schädlichen Insekten eingesetzt. Heute sind diese Fraß- und Kontaktgifte in mehr als 120 Ländern als Pflanzenschutzmittel zugelassen. Zusammen mit dem ebenfalls synthetischen Wirkstoff Fipronil gehören Neonicotinoide weltweit zu den am häufigsten eingesetzten Insektiziden: 2011 erzielten sie einen Markanteil von 40 % mit Umsätzen von 2,63 Milliarden US-Dollar. Während der letzten zwei Jahrzehnte mehrten sich Bedenken über unerwünschte Nebenwirkungen dieser systemisch wirkenden Giftstoffe auf Natur und Umwelt.
Um endlich klare Aussagen zu diesem brisanten Thema treffen zu können, haben unabhängige Wissenschaftler aus 12 Universitäten in 5 europäischen Ländern, den USA und Kanada eine „Task Force Systemische Pestizide“ gegründet. Unter Leitung von Dr. Jeroen van der Sluijs vom Kopernikus-Institut für Nachhaltige Entwicklung der Universität Utrecht hat dieser Krisenstab insgesamt 800 wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Neonicotinoiden und Fipronil – kurz: Neonics – einer Meta-Analyse unterzogen. Die Ergebnisse der systematischen Auswertung sind ebenso eindeutig wie alarmierend: Neonics schädigen eine Vielzahl nützlicher Insekten und anderer Wirbelloser. Damit bilden sie eine erhebliche Bedrohung für landwirtschaftlich bedeutende Bodenorganismen und spielen eine Schlüsselrolle beim Rückgang der Honigbiene und weiterer wichtiger Bestäuber von Wild- und Nutzpflanzen.
Neonics stören die Reizleitung von Nervenzellen und führen bei den betroffenen Organismen zum sofortigen Tod oder zu chronischen Gesundheitsschäden. Zu den langfristigen Folgen zählen eingeschränkte Geruchs- oder Geschmacksempfindungen, Gedächtnisstörungen, verminderte Fruchtbarkeit und diverse Verhaltensänderungen. Wirbeltiere sind im Allgemeinen weniger anfällig gegenüber Neocorticoiden und Neopril. Häufig leiden sie jedoch an den indirekten Folgen: Durch die Dezimierung des Insektenaufkommens schrumpft das Nahrungsangebot für Reptilien und Vögel; manche Vogelarten vergiften sich auch direkt an behandeltem Saatgut. Am schlimmsten trifft es bodenbewohnende wirbellose Tiere wie Regenwürmer, Springschwänze und Milben. Denn sie nehmen die ausgebrachten Pestizide sowohl über verrottende Pflanzenteile als auch über Bodenpartikel und kontaminiertes Oberflächenwasser auf. Weil sich die Substanzen im Boden anreichern, können sie über lange Zeiträume auch in geringen Dosen Bodenorganismen schädigen und ganze Lebensgemeinschaften empfindlich stören. So sind zum Beispiel exponierte Regenwürmer nachweislich in ihren Grabaktivitäten beeinträchtigt.
Eine zweite Gruppe von Organismen ist besonders stark von den Neonics betroffen: die Bestäuber, allen voran Bienen, Hummeln und Schmetterlinge. Zwar haben Wissenschaftler und Umweltverbände schon seit Längerem auf die Gefahren durch die neurotoxischen Pestizide hingewiesen – doch die Hersteller beteuern nach wie vor die Harmlosigkeit ihrer Produkte. Die aktuelle Meta-Studie hat bei der Auswertung der gesamten verfügbarer Literatur nun eindeutige Belege für die vielfach schädlichen Wirkung dieser Substanzgruppen auf Honigbienen gefunden: Neonics beeinträchtigen die Navigationsfähigkeit, das Lernvermögen, die Sammelleistung, die Lebensdauer, die Fruchtbarkeit und die Widerstandskraft von Apis mellifera. Auch Hummelvölker wachsen langsamer und produzieren signifikant weniger Königinnen, wenn sie den Giftstoffen ausgesetzt sind.
Aufgrund dieser besorgniserregenden Fakten appellieren die Mitglieder der „Task Force“ an die zuständigen Institutionen, einen zügigen weltweiten Ausstieg aus der Anwendung von Neocorticoiden und Neopril einzuleiten – oder zumindest auf eine deutliche Reduzierung ihrer Ausbringung hinzuarbeiten.
Mehr:
Van der Sluijs, J. P. et al. (2015): Conclusions of the Worldwide Integrated Assessment on the risks of neonicotinoids and fipronil to biodiversity and ecosystem functioning. – Environmental Science Pollution Research 22: 148–154 DOI: 10.1007/s11356-014-3229-5; www.link.springer.com/article/10.1007%2Fs11356-014-3229-5#page-1.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2015): Pestizide gefährden die weltweite Biodiversität und Ökosystemleistungen. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/pestizide_oekosysteme/.