Checkliste für alle bayerischen Schmetterlingsarten
(MO) Mit mehr als 3.200 Arten stellen die bayerischen Schmetterlinge fast 10 Prozent der gesamten Tierarten Bayerns. Nun haben zwei Experten diese in einer detaillierten Checkliste erfasst und erstmals sowohl deren räumliche wie zeitliche Verbreitung im Freistaat aufgeschlüsselt. Das Werk ist das bisher umfassendste seiner Art und befindet sich taxonomisch auf dem neuesten Stand; die umfangreiche Kommentierung aller identifizierten Schmetterlinge durch die Autoren ist einzigartig für Faunenlisten dieser Größenordnung.
Die Erforschung der heimischen Schmetterlinge hat in Bayern Tradition und lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Neben hauptberuflichen Entomologen haben vor allem wissenschaftlich arbeitende Privatpersonen hierzu beigetragen. „Ohne das Engagement dieser zahlreichen ´Fachamateure´ und ihre beeindruckende Publikationsleitung wären die bayerische Schmetterlingsfaunistik und unsere Checkliste längst nicht auf dem hier präsentierten Stand“, heißt es im einführenden Teil des Werkes. Den Beweis dafür, welch unschätzbaren Wert das Fachwissen und Engagement von Fachamateuren sowie deren Zusammenarbeit mit professionellen Wissenschaftlern darstellt, liefern just die beiden Autoren des nun vorgelegten Schmetterlingskatalogs: Dr. Andreas H. Segerer ist an der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM) für die Kleinschmetterlinge zuständig; dagegen arbeitet Alfred Haslberger, der ein Studium der Pharmazie absolviert hat, hauptberuflich als Krankenhausapotheker in Traunstein und ist in seiner Freizeit ehrenamtlich als Entomologe am ZSM tätig. Auch an den Daten, die in die Checkliste eingeflossenen sind, haben Fachamateure wesentlichen Anteil: Das 340 Seiten umfassende Werk wurde von der Münchner Entomologischen Gesellschaft als Supplementum-Band herausgegeben; an den Druckkosten haben sich die Bürgervereinigung Obermenzing e.V. und die Crocallis-Stiftung beteiligt, die sich unter anderem der Förderung der wissenschaftlichen Entomologie verschrieben hat.
Mehr als zwei Jahre lang haben Alfred Haslberger und Andreas Segerer an dem Artenkatalog gearbeitet. Den Grundstock für die Revision historischer Angaben bildeten zunächst die umfangreichen Sammlungsbestände der ZSM sowie von Privatsammlern. Außerdem wurden knapp 400.000 elektronische Datensätze und eine Vielzahl nicht digitalisierter Literatur- und Sammlungsquellen ausgewertet; ihre Bündelung spiegelt 250 Jahre der Schmetterlingsbeobachtung wider. Wertvollen Input lieferte darüber hinaus das Projekt „Barcoding Fauna Bavarica“ der ZSM, bei dem nach und nach sämtliche Tierarten Bayerns anhand genetischer Daten erfasst werden. Bislang wurden die DNA-Barcodes für 94 Prozent der in Bayern bekannten Schmetterlingsarten erstellt und ermöglichen die eindeutige Bestimmung fraglicher Individuen. Mithilfe dieser vielfältigen Quellen konnten die beiden Experten insgesamt 3.243 Schmetterlingsarten identifizieren, die in Bayern vorkommen oder vorkamen – das entspricht knapp 87 Prozent der deutschen Schmetterlingsfauna.
Den Großteil der Checkliste füllen so genannte autochthone Arten, die seit jeher natürlicherweise in Bayern heimisch sind. Zusätzlich wurden auch einstmals nicht hier lebende (allochthone) Arten aufgeführt; dazu zählen Arten aus benachbarten Regionen, die sich mittlerweile im Freistaat etabliert haben (Arealerweiterer) sowie aus weit entfernten Gebieten eingeschleppte Neubürger (Neozoa). Außerdem wurden auch Wanderfalter erfasst, die immer wieder aus südlichen Regionen nach Bayern vordringen, sich jedoch aus klimatischen Gründen hier nicht dauerhaft ansiedeln können; für deren Berücksichtigung führen die Autoren überzeugende Argumente an: „Gerade alljährlich häufige Vermehrungsgäste wie Distelfalter, Admiral und Taubenschwänzchen tragen zum typischen Bild der bayerischen Schmetterlingsfauna bei und sie fehlen auch in keinem mitteleuropäischen Bestimmungsbuch. Es wäre also vollkommen unsinnig, sie als ´nicht-bayerisch´ aus dem Hauptkatalog auszuklammern, zumal einige von ihnen milde Winter durchaus überstehen können und sich auf diese Weise zumindest hypothetisch über einige Generationen hinweg bei uns reproduzieren könnten, vor allem im Zuge der allgemein zu erwartenden Klimaerwärmung“. So kann der neue Schmetterlingskatalog im Vergleich zu früheren Aufstellungen – die jüngste liegt 10 Jahre zurück – insgesamt 96 Neuzugänge verzeichnen, darunter auch eine neu entdeckte Art, die noch nicht im Detail beschrieben worden ist, sowie mehrere Arten, deren Vorkommen teils für Bayern, teils für Deutschland oder gar für ganz Mitteleuropa erstmals nachgewiesen wurden. Doch damit nicht genug: In separaten, ausführlich kommentierten Listen werden zudem 49 Irrgäste und weitere, nicht etablierte Arealerweiterer und Neozoa genannt, welche nicht zur bayerischen Fauna gerechnet werden dürfen, sowie 26 zweifelhafte und 162 auszuschließende Arten.
Den Systematischen Listen und dem umfassenden Literaturverzeichnis – es führt alle im Text zitierten Quellen sowie alle bisher bekannten weiteren Arbeiten mit Angaben zur Schmetterlingsfauna Bayerns auf – ist ein 50-seitiger Allgemeiner Teil vorangestellt. Er enthält 49 qualitativ hochwertige Farbbilder, die einen Eindruck von der Vielfalt der beschriebenen Arten und ihrer Lebensräume vermitteln. Außerdem beschreiben die Autoren darin detailliert ihre wissenschaftliche Vorgehensweise, ziehen Vergleiche mit dem Artbestand früherer Checklisten, diskutieren strittige Fälle und bewerten die Bestandsentwicklung. Ein ganzes Kapitel widmen sie einer unglücklichen Begriffsverwirrung, die auf der früheren Einteilung der Lepidoptera in so genannte „Groß-“ und „Kleinschmetterlinge“ basiert. Aus Gründen, die mehr mit dem Insektenhandel als mit Wissenschaft zu tun haben, wurden im 19. Jahrhundert die kommerziell interessanten großen und bunten Faltergruppen ungleich besser erforscht als die kleineren Arten. Entsprechend groß waren und sind die Wissensdefizite hinsichtlich der Verbreitung, Ökologie und Bestandsentwicklung der Kleinfalter. Die Vernachlässigung kleiner Arten steht in krassem Gegensatz zu ihrer tatsächlichen Bedeutung und ihrem potenziellen Nutzen für den Naturschutz, betonen Haslberger und Segerer: „Tatsächlich repräsentieren die ´Kleinschmetterlinge´ fast zwei Drittel (!) der heimischen Fauna und weisen die mit Abstand größte phylogenetische, biologische und ökologisch Diversität auf“.
Weiter prangern die Verfasser den im Volksmund gebräuchlichen Begriff „Motten“ an. Erstens, weil er durch seine pauschale Verwendung für die unterschiedlichsten Kleinschmetterlinge wissenschaftlich falsch ist. „Zweitens ist der Begriff ´Motte´ überaus negativ besetzt, weil das Wort automatisch mit ´schädlich´ verknüpft wird, was ebenso in rund 99 Prozent aller Fälle falsch ist“, betonen die Experten und schlagen vor, den irreführenden Begriff aus psychologischen und pädagogischen Gründen konsequent zu vermeiden: „Wenn die Leute hören, dass in Bayern laut aktueller Roter Liste 156 Arten von Kleinfaltern ausgestorben oder verschollen sind, hat das ein anderes Gewicht, als wenn von 156 Mottenarten die Rede ist“. Tatsächlich sind unsere Schmetterlinge – die großen ebenso wie die kleinen – stark gefährdet: Die Checkliste weist einen Verlust von 13 Prozent aller einst in Bayern vorkommenden Arten aus. Und auch bei den noch existenten Arten ist eine signifikante Abnahme der Populationsstärken zu beklagen – sogar bei einstigen „Allerweltsarten“. Verantwortlich machen die Münchner Wissenschaftler dafür vor allem die intensive Landwirtschaft: Durch den Einsatz von Düngern und Pestiziden sowie durch die stets fortschreitende Fragmentierung und Umgestaltung der Landschaft entzieht sie den Schmetterlingen ihre Lebensgrundlagen. „Solange sich daran nichts ändert, wird der Verlust an der Biodiversität der Schmetterlinge zwangsläufig weitergehen“, so das traurige Fazit der Autoren.
Mehr:
Haslberger, A. & Segerer, A. H. (2016): Systematische, revidierte und kommentierte Checkliste der Schmetterlinge Bayerns (Insecta: Lepidoptera) – Mitteilungen der Münchner Entomologischen Gesellschaft, Band 106 (Supplement); www.barcoding-zsm.de/bayernfauna/lepidoptera.
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2016): Checkliste für alle bayerischen Schmetterlingsarten – ANLiegen Natur 38/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/schmetterlingskatalog/.